2024-04-15T13:50:30.002Z

Analyse
Bom dia: Pedro (oben, Nr. 8) und Bruno (14) jubeln in der Landesliga für die SG Burg. F: Gollasch
Bom dia: Pedro (oben, Nr. 8) und Bruno (14) jubeln in der Landesliga für die SG Burg. F: Gollasch

Samba im Spreewald

Diverse Brasilianer spielen derzeit in der Lausitz, um Profi zu werden. Doch sie haben nicht viel Zeit

Ein Pole im deutschen Amateurfußball ist keine Seltenheit. Ein Brasilianer gilt da schon als größerer Exot. Mehr als eine Handvoll Südamerikaner tritt derzeit in Burg, Lübbenau und Guben gegen den Ball. Die Jungs vom Zuckerhut haben ihre Heimat verlassen, um ihren Traum zu leben. Der handelt von Bundesliga und Champions League. Manche von ihnen müssen aber erst durch die Kreisliga.

Seit November sind sie in Deutschland und spielen für die SG Burg. Doch das Erste, was Bruno und Pedro kennenlernten, waren nicht etwa Kartoffelsalat, der hierzulande optimistisch ausgeprägte Bierkonsum oder des Deutschen Schwäche für Helene Fischer. Vielmehr mussten die jungen Brasilianer Bekanntschaft mit der Bürokratie machen. Denn bis die Papiere vom Landessportbund Brandenburg unterzeichnet waren, die sie zu einer Art Austauschpraktikanten machen und finanziell absichern sollten, verging eine halbe Fußballsaison. Im Februar hatten die beiden immer noch kein Geld auf der Hand. Hätte Waltraud, die Casino-Betreiberin im Burger Vereinsheim, nicht so viel Mitgefühl aufgebracht und ihnen nach dem Training mehr als einmal ein Bauernfrühstück aufgetischt, hätte es mit warmen Mahlzeiten wohl nicht allzu gut ausgesehen.

Es ist eines von vielen Sinnbildern, das zeigt, wie beschwerlich der Weg nach oben daherkommen kann. Die Geschichte von Bruno Rodrigues Costa (21) und Pedro Belini Fagan (22) steht stellvertretend für diverse Landsmänner, die zeitgleich ihr Glück in der Lausitz (ver)suchen. Ob Caio Henrique Rodrigues (21) bei der TSG Lübbenau oder Marcus Picciarelli (24) beim BSV Guben Nord, sie alle eint die Sehnsucht nach der großen Bühne. Und dafür lassen sie fast alles zurück.

Über eine Agentur, die sich "Fußballakademie Brasilien" nennt, sind Bruno und Pedro nach Deutschland gekommen. Ein brasilianischer Kontaktmann in Berlin, um den sich nur wenig Konkretes hält, hat das Geschäft eingefädelt. Ein Geschäft, das durchaus kritisch gesehen wird, stehen Versprechungen und Realität dabei schließlich nicht immer in Einklang. Manch einer spricht sogar von Menschenhandel. Die Flüge haben die Familien selbst bezahlt. Oneway. Geld für etwaige Rückflüge haben die Jungs nicht. Mit der Aussicht auf Profiverträge sind sie um die halbe Welt geflogen. Doch was die neue Heimat tatsächlich für sie bereithielt, war zunächst nicht mehr als ein Zimmer im Feuerwehr-Gebäude von Krieschow. Mehr als 10 000 Kilometer von Familie und Freunden entfernt, waren Bruno und Pedro nun Abend für Abend allein in einem Dorf, das nach 20 Uhr nicht viel Zivilisation erahnen lässt. In der kalten Dunkelheit des Novembers. Mehr Symbolik geht nicht.

Der Berater, der die Jungs vom Zuckerhut eingesammelt hat und ihre Bezugsperson in der neuen, weiten Welt sein sollte, zeigte sehr schnell nicht mehr viel Präsenz. Also hat es sich Ex-Energie-Profi Vragel da Silva zur Aufgabe gemacht, für seine Brüder da zu sein. "Ich will nichts davon wissen, was jemand versprochen oder nicht eingehalten hat. Mich interessieren nur die Jungs", sagt der 41-jährige Brasilianer. Neben seiner Tätigkeit als U 23-Trainer beim FC Energie spielt da Silva dieser Tage Patenonkel für Bruno, Pedro & Co. "Ich bin jetzt gerade der Papa für die Jungs."

Da Silva weiß am besten, dass die veranlagten Burschen mit anderen Vorstellungen hierher gekommen sind. Pedro ist daheim in der 3. Liga aufgelaufen, die von der Qualität her mit der Oberliga zu vergleichen ist. Unter professionellen Bedingungen hat er dort zweimal am Tag trainiert. In Burg steht er jetzt nur noch zweimal in der Woche mit der Mannschaft auf dem Übungsplatz und spielt in der 7. Liga gegen den Abstieg. Caios Startlinie ist sogar die 10. Liga. "Natürlich ist ihr Anspruch anders", sagt da Silva. Zumindest aber würden sie Vereinen hier helfen, die personell auf dem Zahnfleisch gehen. "Und vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht, wenn sie erstmal die deutsche Kultur kennenlernen und sich akklimatisieren. Denn wenn sie Erfolg haben wollen, müssen sie den brasilianischen Fußball vergessen." Mit dem Ball flirten und als Stürmer vorne stehen bleiben, bringt in Europa schließlich keine Punkte.

Das Problem: Die Jungs haben nicht viel Zeit. Ihr Visum und der Vertrag mit dem LSB sind lediglich auf ein Jahr ausgelegt. Wenn sie es bis dahin nicht geschafft und sich in den Notizblock eines Profiklubs gespielt haben, ist ihre Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen – und sie müssen wieder zurück. Es gehört schon eine Menge Mut dazu, die Koffer zu packen und alles auf eine Karte zu setzen. Nicht so für Pedro. "Wir Brasilianer definieren uns über den Fußball und verlassen unsere Familien schon mit 13, 14 Jahren, um uns unseren Traum vom Profifußball zu erfüllen", lässt er den Dolmetscher übersetzen. "Und selbst, wenn es nicht klappt, haben die Jungs durch ihre Erfahrungen in Europa ein ganz anderes Standing in Brasilien. Deutschland steht für Ordnung und ein gutes Leben", bemerkt Vragel da Silva. Deutschland scheint wohl selbst in Zeiten des BER-Flughafens nichts an seinem guten Ansehen in der Welt eingebüßt zu haben.

Bruno und Pedro jedenfalls beziehen mittlerweile eine WG in Burg, die vom Verein bezahlt wird. Die Mutter eines Mitspielers kümmert sich um die beiden, gibt ihnen Deutsch-Unterricht und kocht. Sie nennen sie "Mama". Pedro schwärmt: "Sie macht alles für uns. Das ist optimal." Was man von seiner sportlichen Entwicklung noch nicht behaupten kann. Hoffnung verbreitet zumindest Vragel da Silva. Nicht zuletzt durch seinen eigenen Werdegang. Mit 24 kam er 2000 nach Deutschland, hatte zuvor bei Bröndby Kopenhagen in Dänemark gespielt und war in der Champions League gegen Manchester United aufgelaufen. Joachim Löw lotste den Verteidiger nach Karlsruhe, über Ulm führte sein Weg schließlich nach Cottbus, wo er zum Bundesliga-Spieler wurde. "Natürlich spreche ich mit den Jungs über meine Erlebnisse. Die ersten drei Monate in einem fremden Land, das ist nix. Du schaltest den Fernseher ein und verstehst nix, da drehst du durch."

Über diesen Punkt sind Bruno und Pedro nun hinaus. Sie sind bestens integriert, verstehen vereinzelte Sätze und flachsen mit ihren Mitspielern herum. Wie oft sie schon mit der 1:7-Schmach vom WM-Halbfinale aufgezogen wurden? "Jeden Tag", winkt Pedro ab. Er und Bruno aber sind nicht nach Deutschland gekommen, um Freunde zu finden. Sie wollen Fußball spielen. Und Geld verdienen. Um vielleicht auch Waltraud mal einen ausgeben zu können.

Aufrufe: 030.4.2015, 16:00 Uhr
LR-Online.de/Steven WiesnerAutor