2024-06-14T14:12:32.331Z

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Ein Profi zum Anfassen: Ralph Gunesch (rote Jacke) als Gast in Heuchelheim.	Fotos (2): Friese
Ein Profi zum Anfassen: Ralph Gunesch (rote Jacke) als Gast in Heuchelheim. Fotos (2): Friese

Ralph Guneschs perfekte Welt

Heuchelheim. ,,Richtig schön hier, eine klasse Anlage für den Amateurbereich." Die Turn- und Sportfreunde Heuchelheim wird's freuen, das Lob von Ralph Gunesch, der am Mittwochmorgen den Reißverschluss seiner FC Ingolstadt-Jacke hochzieht und die Fußballschuhe schnürt, um gleich mit 60 Kindern zu kicken. Camp-Pate ist er - ,,und da ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ich auch vorbeikomme, ich weiß doch, was mir das als Kind bedeutet hat." Dafür hat sich der nach einem ,,Totalschaden im Knie" derzeit vereinslose, aber immer noch dem FCI verbundene Profi um 6.30 Uhr ins Auto geschwungen und ist aus Bayern ins Mittelhessische gedüst.

Gunesch ist 32 Jahre alt und seit 15 Jahren Profi, er hat beim FSV Mainz als Innenverteidiger in der Bundesliga Tore verhindert, beim FC St. Pauli Erstligaluft geschnuppert und 190 Partien für den Kiezclub bestritten, ehe er ab 2012 mit dem FC Ingolstadt die 2. Liga rockte - bis zum Aufstieg im Mai. Gunesch, der aus der Gegend um Aachen stammt und mit 17 Jahren bei der Alemannia sein Profi-Debüt gab, ist ein Name, den man kennt. Auch deshalb, weil der 1,90-Mann nicht in die Klischee-Schubladen passt, in die man gemeinhin die Kicker-Zunft einordnet. Er ist keiner der Spieler, die mit vorgestanzten Antworten, im Medientraining eingeübt, das Gegenüber ratlos zurücklassen. Über Ralph Gunesch gibt es eine Story in der etwas anderen Fußballzeitschrift ,,Elf Freunde", weil er einerseits das Klischee erfüllt - als Auto-Narr wurde er von einem Bildzeitungsreporter vor vielen Jahren ,,Felgenralle" getauft, unter diesem Spitznamen kennen ihn auch viele. Andererseits ist der baumlange Innenverteidiger einer, der vor allem eines verteidigt: das Recht auf klare Positionierung. Gegen Rassismus, gegen rechte Populisten, gegen Ausgrenzung, weil ,,wir als Profis mit gewisser Popularität, und ich bin da ja nur ein vergleichsweise kleines Licht, auch Verantwortung haben." Gunesch - ,,ich bin da schon St. Paulianer, da wird man noch einmal ganz anders sensibilisiert" - kann ohne Mühe 30 Minuten druckreif sprechen und sehr fundiert seine Sicht der Dinge auf den Punkt bringen. Das tut er auch immer wieder - auf Twitter oder seiner Homepage. Nicht immer zum Amüsement ,,der da oben", wie er die oberste Funktionärsebene nennt, die ,,mit dem, was auf dem Platz und in der Fankurve abgeht, nichts mehr zu tun haben." Im Mai 2014 hat am Millerntor die deutsche Nationalmannschaft trainiert, zur Vorbereitung auf das Testspiel gegen Polen. Der DFB hatte - wie üblich - die Werbebanner abkleben lassen. Neutralisieren heißt das im Fachjargon. Darunter auch die Statements des FC St. Pauli gegen Rassismus. Gunesch schüttelt den Kopf: ,,In einer perfekten Welt wünschte ich mir, dass sich die gesamte Mannschaft unter das Banner ,,kein Fußball den Faschisten" stellt und sich damit fotografieren lässt. Das wäre ein Zeichen. Man muss sich mal vorstellen, dass die erste Vereinigung, die das Abkleben der Banner gelobt hat, die AFD war." Gunesch holt Luft: ,,Dann hat man viel falsch gemacht, wenn man von denen gelobt wird."

Ralph Gunesch ist in Sighisoara in Siebenbürgen geboren, ehe er als Kleinkind in die Aachener Kante kam. ,,Meine Eltern haben mich weltoffen und tolerant erzogen, das lebe ich", sagt Gunesch, der als Fußballer immer gerne bei Vereinen gespielt hat, die eine starke Fan-Szene haben. Alemannia Aachen, FC. St. Pauli, FSV Mainz 05 - ,,die Vereine leben", sagt er. Und merkt auf den kritischen Reporterblick an, dass ,,da Ingolstadt zunächst nicht so reinzupassen scheint. Aber das stimmt so nicht. Klar habe ich bei meinem ersten Spiel für den FC vor 2500 Zuschauern beim FSV Frankfurt gekickt, wo doch bei St. Pauli bei einem Testspiel schon 5000 Leute kamen, aber es ist auch interressant, so einen jungen Verein mitzuentwickeln." Da ist sie wieder: die Verantwortung. Ralph Gunesch (,,Ich bin mit meinem Herzen immer ein Paulianer, habe aber Ingolstadt nie als eiskalten Job gesehen") ist einer, der auf die Leute zugeht. Und hat das bei den Fans in Ingolstadt auch getan, ,,um meinen Teil" beizutragen. Gunesch setzt Zeichen, so viele, dass er mal gefragt wurde, warum er soviel Politik mache. ,,Ich habe dann nur gesagt, ich mache keine Politik. Es kann jeder zu allen Themen wie Flughafen-Startbahn oder PKW-Maut seine Meinung haben, da muss ich nicht drüber reden." Der zweifache U20-Nationalspieler wird deutlich: ,,Mir geht es schlicht um Menschlichkeit, gegen Ausgrenzung jeglicher Art, das ist alles." Ein großes Ding sei das nicht, sich einzusetzen aber lohne sich, auch weil ,,die da oben die Chance oft nicht erkennen, wie man jenseits der plakativen Werbekampagnen etwas tun kann". Er bedauert die Unfähigkeit des DFB, Chancen zu erkennen. ,,Sieht man ja auch in der Sommermärchen-Affäre."

Gunesch hat seine Chance erkannt, mit 17 hat er (,,links lag die Abi-Klausur, rechts der Profivertrag, die Abi-Klausur blieb leer") bei Aachen unterschrieben und seinen Profi-Traum gelebt. Nach dem Kreuzbandriss wurde er nur im letzten Spiel eingesetzt - feierte die Meisterschaft des FCI so mit. ,,Vielleicht", sagt er, ,,kommt noch mal ein Verein, aber es muss passen, ansonsten habe ich breit gefächerte Interessen, orientiere mich neu. Ich genieße auch die Phase der Freiheit." Dann steht er auf: ,,Hat mich gefreut, aber jetzt muss ich raus, die Kinder warten doch."



Aufrufe: 031.10.2015, 12:44 Uhr
Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger)Autor