2024-04-25T14:35:39.956Z

Analyse
Musterbeispiel: Diego Schütze vom FC Energie Cottbus liegt am Boden, Max Leon Graßmel vom Kolkwitzer SV hilft ihm auf. Foto: Frank Lyttko
Musterbeispiel: Diego Schütze vom FC Energie Cottbus liegt am Boden, Max Leon Graßmel vom Kolkwitzer SV hilft ihm auf. Foto: Frank Lyttko

Piepmätze statt Punkte

In der Fairplay-Liga spielen Kinder ohne Ergebnisse - doch diese ist umstritten

Um Kindern den Leistungsdruck zu nehmen und übermotivierte Eltern zu bändigen, lässt der DFB nun ohne Tore, Punkte und Schiedsrichter spielen. In der Lausitz macht man verschiedene Erfahrungen mit der Fairplay-Liga.

Es ist ein verregneter Sonntagmorgen im Oktober. Die F-Junioren vom VfB Cottbus spielen gegen Rot-Weiß Merzdorf in der Kreisliga Niederlausitz. Zu behaupten, dass der Vergleich eine klare Angelegenheit ist, wäre eine Untertreibung. 16:0 heißt es am Ende für die Jünglinge von der Schlachthofstraße. Doch in einem öffentlichen Protokoll wird dieser Spielstand in diesem Leben nicht mehr eingetragen. Denn seit dieser Saison bewegen sich die F-Junioren in der sogenannten Fairplay-Liga, in der weder Tore noch Punkte gezählt werden und es somit am Ende des Jahres auch keine Abschlusstabelle geben kann. Fußballspielen ohne Konsequenzen.

Was auf den ersten Blick nach einem perfekten Modell für den Hamburger SV aussieht, ist in Wirklichkeit eine Maßgabe vom Deutschen Fußball-Bund (DFB), um aus dem Kinderfußball etwas Luft rauszunehmen. Des Weiteren sieht dieses Konzept vor, ohne Schiedsrichter zu spielen und auch die Eltern nur noch mit großem Sicherheitsabstand an das Spielfeld heranzulassen. Die Kinder sollen in aller Ruhe wieder das tun können, worauf es ankommt: ohne Störgeräusche von außen gegen den Ball treten.

Zwei Jahre lang hatten die Fußballkreise diesen Entwurf schon deutschlandweit bei den Bambini getestet, also den jüngsten Heranwachsenden im offiziellen Spielbetrieb. Nun hat man bei den F-Junioren nachgezogen – und geht es nach besagtem DFB-Masterplan, soll diese Idee schon bald bis hoch zur D-Jugend praktiziert werden, wo die Kinder zwischen elf und 13 Jahre alt sind.

In der Lausitz macht man verschiedene Erfahrungen mit der Fairplay-Liga. Ohne Sieg und Niederlage zu spielen, widerspricht dem Leistungsgedanken vieler Übungsleiter. Und auch, dass mit dem Schiedsrichter die ordnende Hand fehlt, kann nicht jeder gutheißen. "Es gibt Bedenken", sagt beispielsweise Gottfried Dießner, der Jugendausschussvorsitzende im Fußballverband Oberlausitz. Dass sich kleine Knirpse, die eigentlich noch am meisten Hilfestellungen gebrauchen können, nun selbst erziehen sollen, wird durchaus skeptisch gesehen. Manche Kinder wissen in diesem Alter gerade erst, in welche Richtung sie überhaupt zu stolpern haben. Und nun sollen sie eigenhändig entscheiden, wann sie Foul gespielt haben und mit dem Ball über die Außenlinie gedribbelt sind. Dies mutet nicht nur für Dießner ein bisschen an, wie eine fragwürdige Lehrmethode in der Schule, nach der Kinder die Rechtschreibung erst falsch, weil so lernen, wie sie sprechen. Und die Fehler erst Jahre später korrigiert werden.

Andere Fußballkreise aber sind überzeugt von der Fairplay-Liga. "Wir waren skeptisch, aber es hat sich relativ gut eingespielt", lässt sich Mario Schicketanz, Dießners Kollege aus dem Fußballkreis Südbrandenburg zitieren. Dirk Liebeck, Jugendleiter von Lausitz Forst, ergänzt: "Es ist eine zweischneidige Sache. Für große Vereine wie Energie Cottbus, die andere Ansprüche haben, ist diese Liga eine Katastrophe, für alle anderen aber ist es gut, ohne Ergebnisse zu spielen. In erster Linie ging es aber eher darum, die Eltern zu zügeln. Denn sie sind oft die Verrückten, die stören."

Das wird in Ansätzen auch an besagtem Tag in der Schlachthofstraße noch deutlich. Auch hier scheint sich so mancher Papa für sein Erbgut zu schämen, wenn es gerade zum x-ten Mal den Ball verliert. Auch das Fehlen eines Unparteiischen wird deutlich, wenn sich die Kinder per Fingerzeig an die Stirn Piepmätze zuwerfen und "Nein – doch – nein – doch"-Diskussionen entstehen.

Wie umstritten die Fairplay-Liga bleiben wird, zeigen die beiden Trainer nach der Partie. Trainer A: "Ich finde das ist Schwachsinn. Ohne Schiedsrichter ist ok, aber ich hätte gerne Ergebnisse zur Orientierung." Trainer B: "Ergebnisse spielen keine Rolle, aber ein Schiedsrichter wäre schön."

Aufrufe: 011.1.2017, 16:30 Uhr
LR-Online.de/Steven WiesnerAutor