2024-04-25T14:35:39.956Z

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Bewegliche Tore sind für das flexible Einrichten verschiedener Spielfeldgrößen unentbehrlich. Foto: GB
Bewegliche Tore sind für das flexible Einrichten verschiedener Spielfeldgrößen unentbehrlich. Foto: GB

Norweger-Modell als Lösung des Problems

Bei Personalmangel eines Teams reduzieren beide Mannschaft die Anzahl der Spieler - Test in der Frauen-Bezirksliga

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Der Gegner hat nicht genügend Spieler? Dann müssen beide Teams reduzieren. So funktioniert das Norweger-Modell, das seit kurzem auch im Bezirk angewendet wird. Zurzeit nur in der Frauen-Bezirksliga.

Sieht so die Zukunft im Spielbetrieb der Aktiven im Bezirk Böblingen/Calw aus? Es ist Sonntagmorgen. Auf dem Öschelbronner Sportplatz fängt man leicht das Frösteln an. Nur sechs Grad, grauer Himmel, leichter Nieselregen. Trotzdem sehen immerhin 35 wetterfeste und mit Regenschirmen ausgestattete Zuschauer eine neue Spielform, die es so im Aktiven-Bereich im hiesigen Bezirk Böblingen/Calw noch nicht gegeben hat. Das „Norweger Modell“ – es spielen pro Mannschaft nur neun Spieler respektive Spielerinnen – wurde vor anderthalb Wochen im Bezirk eingeführt. Auslöser war der Personalmangel bei der Spvgg. Berneck/Zwerenberg II, so dass fortan alle gegnerischen Mannschaften ebenfalls nur neun Spielerinnen aufs Feld schicken dürfen.

Gekickt wird auf einem Kompaktspielfeld

Es ist allerdings kein normales Spielfeld, sondern ein sogenanntes Kompaktspielfeld, nur 70 auf 55 Meter groß. Gespielt wird von 16-Meter- zu 16-Meter-Strafraum. Ein satter Abschlag von Öschelbronns Torspielerin Gloria Graf landet dabei fast schon am gegnerischen Strafraum. Ein Mittelfeld gibt es nicht. Auch auf Taktiktipps verzichtet Öschelbronns Trainer Hans Schikotanz an diesem Morgen ganz. „Auf einem so kleinen Feld ist vor allem die individuelle Klasse der Spielerinnen gefragt. Eine Viererkette oder ein übliches Spielsystem wären hier komplett kontraproduktiv“, meint der Coach, der von der Seitenlinie nur zu einem auffordert: „Spekulieren, ihr müsst spekulieren“.
Viele Ballverluste prägen so auch das anfangs recht chaotisch wirkende Spielgeschehen. Schüsse aus dem Halbfeld oder von der Mittellinie aus aufs gegnerische große Tor – ein Trainingstor auf Rollen wurde am Strafraum aufgebaut – sind keine Seltenheit mehr. Nach rund 20 Minuten fällt schließlich der erste Treffer der Begegnung. Einen strammen Schuss von TSV-Spielführerin Nadja Reutter aus gut 20 Metern lässt Gästetorhüterin Sarah Wurster nach vorne abprallen. Svenja Schleh ist auf der Höhe und staubt zum 1:0 ab – allerdings aus klarer Abseitsposition. Doch auch Schiedsrichter Yasar Polat (Magstadt) muss sich offenbar erst einmal auf die ungewohnten Verhältnisse einstellen. Alles wirkt fast schon wie ein Trainingsspielchen, das im Vorfeld für den Gastgeber allerdings einiges an Aufwand mit sich brachte. Über eine Stunde mussten Linien für das neue Feld gezogen und die Rolltore, ohne die das Ganze ohnehin nicht möglich gewesen wäre, in Position gebracht werden. Trotzdem sieht TSV-Platzwart Peter Benkowitsch die Angelegenheit eher gelassen: „Wenn der Gegner nur noch zu neunt spielen kann, ist das einmalig natürlich kein allzu großes Problem. Aber wir konnten damit nicht aufs Hauptspielfeld gehen. Jetzt im Herbst, wenn das Gras nicht mehr wächst, sind die Linien mindestens noch drei, vier Wochen zu sehen.“ Trotz der ungewohnten Neuerungen konnten die Einheimischen in einem torreichen Spiel schließlich über einen verdienten 5:2-Erfolg jubeln.

Norweger-Modell als Problemlösung

Den Bezirksliga-Frauen wird, wenn man nicht mehr genügend Akteure für das übliche Elf-gegen-elf mobilisieren kann, dieser flexible Spielbetrieb, das sogenannte „Norweger Modell“ – als Problemlösung angeboten. Dieser erlaubt allen gemeldeten Mannschaften während der Runde in den flexiblen Modus zu wechseln. Zum Zeitpunkt des Wechsels spielt das betroffene Team zwar weiterhin in Konkurrenz, verliert allerdings sein Aufstiegsrecht. Und während das „Norweger Modell“ für einige Vereine so die einzige Möglichkeit darstellt, weiterhin aktiv ins Ligageschehen eingreifen zu können, bedeutet es für andere vor allem eines: Zusätzlicher Aufwand und Hobbyspielcharakter. Denn dass auf einem kleineren Spielfeld automatisch mehr Tore fallen, ist kein Geheimnis. Dass auch Vereine im Männerbereich immer wieder personell auf dem Zahnfleisch daherkommen und deshalb zur Spielabsage gezwungen werden, aber ebenso wenig.

Ein Aufschrei in Baden

Genau das hat auch der Badische Fußballverband (BFV) erkannt, der das „Norweger Modell“ zur kommenden Saison prompt auch in den B-Ligen in seinem Spielbetrieb einführen wird. Bei den betroffenen Vereinen sorgte diese Botschaft hauptsächlich für einen großen Aufschrei. Kein Wunder, bringt das neue Spielsystem doch nicht nur den zusätzlichen Vorbereitungsaufwand mit sich, sondern auch ein komplett neues Fußballspiel: Kein Spielen auf Abseits, kein Verschieben. Von Abwehr- oder Angriffstaktik ist nichts mehr zu sehen. Spielen mit Viererkette? Fehlanzeige. Darüber hinaus würden bei dem dynamischeren Männerspiel und dem stärkeren Schussverhalten bei Partien über 90 Minuten wohl Trainingsspiel-Ergebnisse wie 13:8 oder 15:14 eher zur Regel werden.
Doch trotz solcher Nachteile scheint das „Norweger Modell“ für den Württembergischen Fußballverband (WFV) längst nicht mehr nur Utopie zu sein. „Wir haben dieses Thema bereits angesprochen und schließen eine Einführung des flexiblen Spielmodus nicht mehr aus“, meinte dazu José Macias, beim WFV für den Spielbetrieb der Frauen und Senioren sowie für die neue Hallensportart Futsal zuständig. Aber eine schnelle Einführung des Modells wird es laut Macias nicht geben: „Zum jetzigen Zeitpunkt sehen wir im Herrenbereich allerdings noch nicht die nötige Dringlichkeit, um aktiv zu werden. Wir wollen mit der Einführung bei den Frauen erste Erfahrungen sammeln, um dann die positiven und negativen Aspekte gegenüberstellen zu können. Falls es irgendwann tatsächlich dazu kommen sollte, wollen wir vorbereitet sein.“ Unbestritten ist, dass das „Norweger Modell“ eine Möglichkeit ist, Mannschaften mit Personalsorgen – wie in diesem Fall Berneck/Zwerenberg II – im Spielbetrieb halten zu können. Für die Frauen-Bezirksliga hätte es in der Tat schlecht ausgesehen: Die Staffel umfasst momentan nur noch sieben Vereine. Bei einem Bernecker Abgang hätten einige Vereine wochenlang auf ein Spiel verzichten müssen. Von daher scheinen Clubs wie der TSV Öschelbronn sogar froh zu sein, wenigstens gegen einen Gegner mit neun Spielerinnen aktiv werden zu können. Auch wenn das Ganze von außen wie ein Trainingsspielchen ausschaut.

Aufrufe: 015.10.2016, 20:00 Uhr
David GroßAutor