2024-03-28T15:56:44.387Z

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Sieht  noch jede Menge Aufklärungsbedarf beim DFB: 02-Klubchef Horst Klee. Archivfoto. Udo Parker
Sieht noch jede Menge Aufklärungsbedarf beim DFB: 02-Klubchef Horst Klee. Archivfoto. Udo Parker

"Niersbach nur ein Bauernopfer"

Vielfältiges Meinungsbild zum Rücktritt des DFB-Präsidenten+++Elsenbast: Für die WM 2006 Dinge gelaufen, die nicht ganz koscher waren+++Rüppel: Keine Auswirkungen auf die Basis

Wiesbaden/Rheingau-Taunus. Der Rücktritt von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach wird in der heimischen Fußball-Szene keineswegs als reinigendes Gewitter und Grundlage für einen hoffnungsvollen Neubeginn interpretiert. Für die Verantwortlichen der Kreise Wiesbaden und Rheingau-Taunus sowie für die Steuermänner der Vereine besteht im vielfältigen Meinungsbild noch jede Menge Aufklärungsbedarf. Der Wiesbadener Fußballwart Helmut Herrmann empfiehlt die Flucht nach vorne: „Es wäre am besten, wenn die Beteiligten eingestehen würden, wie es wirklich war.“ Germania-Chef Hartmut Freudenberg sieht in Niersbach lediglich „ein Bauernopfer“.

Thomas Pröckl (Geschäftsführer des SV Wehen Wiesbaden): „Ich kenne Wolfgang Niersbach seit vielen Jahren und schätze ihn sehr. Ich bedauere es, dass er die politische Verantwortung übernehmen musste zu einem Zeitpunkt, an dem offensichtlich noch nicht alle Zusammenhänge und Fakten geklärt waren. Mir persönlich tut es sehr leid, dass Wolfgang Niersbach zurückgetreten ist, denn ich halte ihn für einen guten DFB-Präsidenten.“

Dieter Elsenbast (Fußballwart des Kreises Wiesbaden): „Wenn man die WM 2006 bekommen wollte, sind im Rahmen des seit Jahrzehnten korrupten Systems bei der Fifa sicher Dinge gelaufen, die nicht ganz koscher waren. Wer das nicht so sieht, ist realitätsfern. Und Wolfgang Niersbach war sicher nicht komplett in Unkenntnis gewesen. Aber was Theo Zwanziger geritten hat, ist für mich nicht nachvollziehbar. Franz Beckenbauer hat aus meiner Sicht für die WM 2006 einen super Job gemacht. Ihn zur Rechenschaft zu ziehen, das sehe ich nicht ganz so. Insgsamt finde ich das Ganze nicht so tragisch. Da ist vieles aufgebauscht worden. Jetzt weinen diejenigen Krokodilstränen, die sich 2006 mitgesonnt haben. Das halte ich für grenzwertig. Ich hoffe nun, dass Rainer Koch, der mit dem Amateurfußball verbunden ist, die Nachfolge von Wolfgang Niersbach antritt. Ich fürchte aber, dass es Reinhard Rauball wird. Er ist der Chef-Lobbyist des deutschen Profifußballs. Wo doch die Deutsche Fußball-Liga den Kurs beim DFB bestimmt. Wenn es Rauball wird, wäre das eine Katastrophe für die Amateure. Hoffentlich zeigen die Landesverbände bei der Wahl Rückgrat.“

Gerhard Rüppel (Fußballwart des Kreises Rheingau-Taunus): „Ich halte es für ausgeschlossen, dass es Auswirkungen auf die Basis gibt. Den Fußballern im Kreis dürfte es egal, wer beim DFB an der Spitze steht. Zumal das Ganze in Bezug auf die Vergabe der WM 2006 schon weit über zehn Jahre her ist. Im Geflecht der Fifa-Korruptionen war es offensichtlich nur möglich mitzuspielen, um ein solches Event überhaupt zu bekommen. Letztlich war Wolfgang Niersbach der einzig noch in der Verantwortung stehende, der zurücktreten konnte. Trotz allem war die WM 2006 ein tolles Erlebnis.“

Horst Klee (seit 1971 Vorsitzender des FV Biebrich 02): „Es ist immer gut, wenn die ganze Wahrheit schnell ans Tageslicht kommt. Trotz des Rücktritts von Wolfgang Niersbach erschließt sich mir aber immer noch nicht, was alles nicht in Ordnung ist. Die Kommunikation des DFB nach draußen ist ein Desaster der besonderen Art, und ich sehe derzeit keinen, der als völlig Unbelasteter die Niersbach-Nachfolge antreten könnte. Kummer bereitet mir, dass durch alle Vorgänge die WM 2006 belastet wird. Für mich wird es aber das Sommermärchen bleiben.“

Helmut Herrmann (Wiesbadener Ehrenfußballwart): „Egal, wer neuer DFB-Präsident wird: Mit den Amateuren wird er nichts am Hut haben. Es geht in erster Linie um Profifußball im Fernsehen, möglichst rund um die Uhr. Und keiner geht mehr auf die heimischen Plätze. Was die WM 2006 betrifft, ist es doch so, dass keiner eine solche internationale Veranstaltung bekommt, ohne zu schmieren. Der DFB wollte zuerst den Spiegel verklagen, hat dann zurückgezogen. Also muss doch etwas an den Vorwürfen dran sein. Es wäre am besten, die Flucht nach vorne anzutreten und zu sagen: So war es. Wobei es vorstellbar scheint, dass es sich um eine Retourkutsche von Theo Zwanziger handelt. Diese Rechnung hätte er aber auf andere Weise begleichen sollen.“

Hartmut Freudenberg (Trainer und Vorsitzender von Germania Wiesbaden): „Ich sehe Wolfgang Niersbach als Bauernopfer, während Franz Beckenbauer und Günter Netzer als die großen Legenden und Strippenzieher im internationalen Fußball geschützt werden. Und Dr. Theo Zwanziger, von dem ich eigentlich viel gehalten habe, hat den Sport wohl aufgrund gekränkter Eitelkeit nach unten gezogen. Doch man muss auch sehen, dass bei Weltmeisterschaften seit der Kommerzialisierung der letzten 20, 25 Jahre sicherlich stets bezahlt oder irgendetwas wohlwollend getan wurde.“

Aufrufe: 011.11.2015, 17:09 Uhr
Stephan Neumann/Tobias GoldbrunnerAutor