2024-05-02T16:12:49.858Z

Team Rückblick

Neitzel und Holstein - das passt derzeit

Wenn man Karsten Neitzel mit einem Wort beschreiben müsste, kommt einem als erstes ,,authentisch" in den Sinn. Wenn sich der Trainer der ,,Störche" in den vergangenen eineinhalb Jahren so viel Respekt erarbeitet hat, dass es an seiner vorzeitigen Vertragsverlängerung keine Kritik, sondern nur Zustimmung gibt, dann hat das vor allem damit zu tun, dass Neitzel sich an vielen Stellen abhebt von vielerorts üblichen Charakteren im Profifußball. Der 47-Jährige ist kein Selbstdarsteller, auch wenn er immer mal wieder für einen markigen Spruch gut ist. Wer fragt, bekommt ehrliche Antworten. Das macht einen Trainer sympathisch.

Es hat hier und da ein wenig Anlaufzeit gebraucht, um das festzustellen. Neitzel kann in seiner Offenheit auch schonungslos sein. Im Umgang mit der Öffentlichkeit hat das auch Nachteile. Journalisten, die unvorbereitet erscheinen oder unsinnige Fragen stellen, merken dies bisweilen an der Reaktion. Wer das als Arroganz auslegt, liegt daneben. Denn umgekehrt ist Neitzel für jede Kritik offen, wenn sie denn sachlich fundiert vorgetragen wird. Dann wird aus einem Interview oder einer Fan-Fragerunde schon mal eine Grundsatzdiskussion über Fußball, in der der Holstein-Coach immer bereit ist, andere Meinungen zu akzeptieren.

Was den Umgang mit den Aktiven betrifft, ist es ähnlich: Ein Spieler kann - auch öffentlich - durchaus mal mit wenig druckreifen Attributen belegt werden. Auch intern wird Klartext geredet, wenn unnötige oder leichtfertige Fehler passiert sind. Um aber das Vertrauen des Trainers zu verlieren, gehört bei Neitzel mehr dazu. Nimmt der Akteur die Kritik an, hat er nichts zu befürchten. Zumindest nicht mehr als die sportlich objektive Beurteilung, die ein Trainer eben treffen muss. Nachtragend ist der gebürtige Sachse nämlich nur, wenn der Gegenüber mit der Kritik nicht richtig umgeht.

Die Maßstäbe, die Neitzel anlegt, sind dabei hoch. Das gilt ebenfalls für ihn selbst. Ohne irgendeinen ehemaligen KSV-Trainer abzuqualifizieren - wohl kaum ein Coach hat die Arbeit rund um die Mannschaft so sehr in den Mittelpunkt gestellt. Man mag es eigenartig oder eindimensional finden, dass Neitzel zugunsten des Fußballs auf ein Privatleben quasi komplett verzichtet, seine Frau monatelang nicht sieht. Holstein jedoch profitiert von diesem Lebensstil, der fast rund um die Uhr den Fußball zum Inhalt hat. Dass in Trainerteam und Vorstand des Vereins Vertrauenspersonen sitzen, mit denen sich Neitzel am Arbeitsplatz auch vertraulich austauschen kann, ist dabei aber besonders wichtig.

Sportlich ist die Bilanz Neitzels ebenfalls gut. Er hat der Holstein-Mannschaft eine klare Handschrift verpasst und sich von diesem Weg auch in schwierigen Phasen nicht abbringen lassen. Im Vorjahr reichte das zu ordentlichen 45 Punkten, die den Klassenerhalt aber erst nach einer kleinen Zitterpartie bedeuteten. In der laufenden Saison gehören die Kieler zur oberen Hälfte, zumindest mit Tuchfühlung nach ganz oben.Wer Neitzel, dessen Team die beste Abwehr der Liga stellt, Mauertaktik vorwirft, liegt falsch. Zweifellos hat die Mannschaft ihre Stärken im Defensivverhalten. Doch Holstein ist eine der am mutigsten verteidigenden Mannschaften der Liga. Niemand käme auf die Idee, Borussia Dortmund in der Bundesliga eine defensive Spielidee zu attestieren - dabei ist die Grundhaltung, das Spiel ohne Ball und die schnelle Balleroberung in den Mittelpunkt zu stellen, durchaus vergleichbar.

Neben zwei Spielklassen hat dieser Vergleich natürlich auch einen weiteren Haken: Während der BVB - zumindest in guten Zeiten - den hohen Druck auf den ballführenden Gegner auch zu unmittelbar folgenden Chancen und Toren nutzt, ist Holstein für die Gegner bislang ,,nur" unbequem. Hier liegt Neitzels Aufgabe für die kommenden zweieinhalb Vertragsjahre. Mehr Tore aus den Vorteilen, die man sich durch offensives Verteidigen erarbeitet, müssen her. Die Grundidee des Trainers, in der Offensive die Spieler nicht durch allzu viele Vorgaben zu belasten, sondern der Freiheit der Spielsituation zu überlassen, muss verfeinert werden, hier und da mehr Risiko (für das dann ein paar Vorgaben gelten müssen) hinzu kommen.

Gelingt die Umsetzung, wird das nicht terminierte Ziel, der Aufstieg in die 2. Bundesliga, ernsthaft ins Visier der Kieler kommen. Es wäre die logische Weiterentwicklung in den kleinen Schritten, die Holstein seit 2010 macht. Seit damals Wolfgang Schwenke, Andreas Bornemann und Thorsten Gutzeit antraten, geht es Jahr für Jahr voran. Nicht immer ohne Rückschläge, aber immer mit Tendenz nach oben. Nachhaltig eben. Daran hat sich auch nach dem Wechsel auf zwei dieser Führungspositionen nichts geändert.

Neitzel und Holstein tun dabei auch gut daran, das (intern sicher formulierte) Ziel des Aufstiegs in den jetzt vereinbarten Vertragsjahren nicht öffentlich auszurufen. Eine Selbstverständlichkeit gibt es dafür - im Gegensatz zur Regionalliga, wo Holstein mit seinen Möglichkeiten am Ende dem Rest der Vereine deutlich voraus war - nämlich nicht. In Konkurrenz mit traditionellen Ex-Erstligisten wie Bielefeld, Duisburg, Dresden und anderen wird Kiel vielleicht zum Mit-, aber nie zum haushohen Topfavoriten werden. Um dennoch aufzusteigen, sind neben Geduld richtige, manchmal auch unbequeme Entscheidungen notwendig. In Zusammenarbeit mit Schwenke, Ralf Heskamp und seinem Trainerteam ist Neitzel zuzutrauen, auch bisweilen unpopuläre Entscheidungen durchzusetzen. Die Unabhängigkeit dazu hat er sich bewahrt.

Für beide Seiten ist die weitere Zusammenarbeit eine Chance. Holstein kann den eingeschlagenen Weg weitergehen und sich nach Jahren im Hauruck-Stil als nachhaltig arbeitender Verein profilieren. Neitzel, anerkannter Fußballfachmann, aber bislang als Cheftrainer noch nicht bundesweit wahrgenommen, hat im Kieler Umfeld Möglichkeiten, die er in Clubs mit unruhigerer Vorstands- und Presselandschaft so nicht vorfinden würde. Es ist eine ,,Win-Win-Situation". Jetzt müssen alle Beteiligten ,,nur" noch das Beste daraus machen.
Aufrufe: 04.2.2015, 18:00 Uhr
SHZ / Christian JessenAutor