2024-05-10T08:19:16.237Z

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Mindestlohn bringt Fußballvereine in die Klemme

Kostenexplosion bei höherklassigen Amateurvereinen - Sportfunktionäre fordern eine schnelle Anpassung der Gesetzgebung

Ravensbur / sz - Für viele Amateurfußballer wäre der 1. Januar 2015 eigentlich ein Glückstag. Denn dank des neuen Mindestlohngesetzes müssten sie ab sofort mit 8,50 Euro pro Stunde entschädigt werden, wenn sie als Vertragsamateure angestellt sind. Das wäre für die meisten eine satte Lohnerhöhung. Aber die Vereine zahlen das nicht. Denn für die Klubs zwischen Landes- und Regionalliga drohen die Kosten zu explodieren. Außerdem fürchten die Vereine einen riesigen Verwaltungsaufwand. Die Sportfunktionäre fordern deshalb eine Befreiung des Amateursports vom Mindestlohn.

„Es wäre der Tod der Landesliga, der Verbandsliga, der Oberliga und es wäre auch das Aus für die Regionalliga“, sagt der Ravensburger Fachanwalt für Arbeitsrecht, Andreas Maccarti. Der 54-jährige Jurist arbeitet unter anderem für einen Spielerberater aus der Bundesliga und vertritt Profis bis in die höchste Klasse in Rechtsangelegenheiten. Maccari ist außerdem ehrenamtlich im Vorstand des Fußball-Oberligisten FVRavensburg tätig. „Kein Oberligaspieler verdient mehr als ein geringfügig Beschäftigter“, sagt Maccari, das wären maximal 450 Euro im Monat.

Würde man aber den Zeitaufwand, den die FV-Spieler für Training, Spiele und Auswärtsfahrten haben, nach dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro entlohnen, müsse man jedem Spieler etwa 1200 Euro pro Monat zahlen. „Bei einem Kader von 20 Spielern wären das 24000 Euro pro Monat, das kann sich kein Oberligist leisten“, sagt der Anwalt, „wir müssten unsere Mannschaft abmelden.“ Und: „Wenn der Mindestlohn gezahlt werden müsste, wären von der Landesliga bis zum unteren Bereich der 3. Liga alle gefährdet.“ Denn auch in der dritten Liga verdienen viele Spieler laut Maccari nur zwischen 1000 und 1500 Euro im Monat (ohne Prämien), Topspieler bis zu 10000 Euro. Aufgrund des viel höheren Trainingsaufwands könnte es ebenfalls Schwierigkeiten mit dem Mindestlohn geben.

Massiv würden die Probleme ab der Regionalliga, der vierten Liga in Deutschland, bis zur sechsten Liga, der Landesliga. Hier sind überwiegend Vertragsamateure im Einsatz. „Es sind Zehntausende Spieler betroffen“, sagt Maccari. Laut dem Anwalt hätten dann nur noch die erste und die zweite Liga eine Überlebens-chance, sowie eine dritte Liga mit einigen wohlhabenden Traditionsvereinen. Und am anderen Ende stünden dann die Kreis- und Bezirksligen mit reinen Hobbyfußballern. Dazwischen gäbe es ein großes Loch. „Das wäre der Tod des gehobenen Amateurfußballs.“

Neben der finanziellen Belastung käme auf die Vereine ein riesiger Verwaltungsaufwand zu, um die Arbeitszeiten von Trainern, Spielern und sonstigen Mitarbeitern zu erfassen. „Dann würden die Dokumentationspflichten gelten“, sagt Maccari. Wer war heute im Training? Wann hat das Training angefangen? Wann hat es aufgehört? Mit welchem Kader sind wir wann zum Auswärtsspiel aufgebrochen? All das müsste der Trainer erfassen. Dies betreffe aber nicht nur die Spieler, sondern auch den Geschäftsführer oder sonstige Angestellte im Verein. „Diesen Verwaltungsaufwand kritisiere ich aufs Schärfste“, sagt Dieter Schmidt-Volkmar, der Präsident des Landessportverbandes Baden-Württemberg (LSV). Der Verband sieht sich als Sprachrohr der Vereine in politischen Fragen. Es werde immer von der Politik betont, wie wertvoll das Ehrenamt sei, „und dann kommt so was“. „Wir müssten jemand anstellen, ihm den Mindestlohn bezahlen, damit er unsere Zeiterfassung erledigt“, sagt Maccari.

„Bei uns hat jeder ein gültiges Arbeitspapier“, sagt Christian Sakru, der Geschäftsführer des Fußball-Oberligisten SC Pfullendorf. Es sei aber schwierig im Fußball, die erbrachte Arbeitszeit genau zu kalkulieren. „Wenn wir 20 Spieler in der Kabine haben und machen eine Stunde Sitzung, dann kostet die Teambesprechung 200 Euro ohne Sozialkosten.“ Das größte Problem sieht auch Sakru in der finanziellen Belastung. „Das ist für die Vereine schlicht nicht machbar. Wenn der Mindestlohn für Amateurvereine gilt, kann man den Spielbetrieb nicht mehr aufrechterhalten.“

Den Spielern keinen Vertrag mehr zu geben oder den Mindestlohn durch eine Verzicht-Passage im Vertrag („nicht in Erwartung einer adäquaten Gegenleistung“) auszuhebeln, ist für Maccari keine Option. Schwarze Kassen wären wohl die Folge. „Darin sehe ich keine Lösung, da ein Spieler nie ehrenamtlich tätig sein wird“, sagt Maccari. Gewisse wirtschaftliche Motive seien bei den Vertragsspielern im oberen Amateurbereich offensichtlich und hätten auch Tradition. Schon in der legendären Schwarzwald-Bodenseeliga floss laut Maccari in den 1960er-Jahren die eine oder andere Mark. Und: „Wir halten uns an die bestehenden Gesetze.“ Es gebe eben nicht nur Schwarz und Weiß im Fußball, also Profis und Amateure. „Ein Spieler, der einen hohen Anteil an Freizeit einbringt, erwartet auch etwas dafür.“ Die höherklassigen Amateurvereine seien schließlich auch das Sprungbrett für den Profibereich. „Deshalb muss es zwingend diese Übergangszone zwischen reinen Amateuren und Profis geben.“

Der Ball liegt laut Maccari bei der Politik. „Wenn Gesetze vor dem Hintergrund von Wahlkampfaussagen im Hauruck-Verfahren durchgebracht werden, dann leidet die handwerkliche Qualität, und es muss nachgebessert werden“, sagt der Anwalt zum Mindestlohngesetz. Auch der Deutsche Fußball Bund (DFB) sei hier gefordert. „Es muss klargestellt werden, dass Amateurfußballer keine Arbeitnehmer sind. Nur dann haben wir Rechtssicherheit.“ Beim Mindestlohngesetz seien Bereiche wie der Amateursport bewusst übersehen worden. Die Lösungsformel für Maccari lautet daher: „Sportler, die einer Vollzeittätigkeit oder einem Studium oder einer Ausbildung nachgehen, Vereinsmitglied sind und nicht mehr als BetragX erhalten, sind vom Mindestlohn ausgenommen.“ So ein Ansatz müsste laut Maccari parteiübergreifend durchsetzbar sein.

Vereine auf dünnem Eis

Auch Christian Sakru wünscht sich schnell Klarheit: „Der Mindestlohn wurde zum 1. Januar eingeführt und wir bewegen uns zurzeit alle auf ganz dünnem Eis, weil wir die Anforderungen nicht erfüllen.“ Man sei zwar in engem Austausch mit dem Steuerberater, „aber wir haben seitens des Verbandes keine Klarheit“.

Wird der Mindestlohn bald die Arbeitsgerichte beschäftigen? „Es könnte sein, dass ein Spieler, der im Unfrieden von einem Verein geht, vor ein Gericht zieht“, sagt Maccari. Ein Spieler könnte versuchen, den Mindestlohn für eine Saison für seinen Zeitaufwand einzuklagen. „Dem müsste man durch eine eindeutige gesetzliche Regelung vorgreifen.“

„Ich fordere, dass der gesamte Sport aus diesem Mindestlohngesetz herausgenommen wird“, sagt der LSV-Präsident Schmidt-Volkmar. Falls das nicht möglich sei, „muss man den Verwaltungsaufwand auf ein Minimum reduzieren“. Es müsse dann zumindest bei der Förderung des Sports nachgebessert werden. „Der Deutsche Olympischen Sportbund ist unser Sprachrohr zur Bundesregierung. Leider hat er die Auswirkungen des Gesetzes auf den Sport in der Schwere nicht gesehen.“ Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles hätten bereits signalisiert, dass an dem Gesetz nachgebessert werden muss. „Das Signal von Frau Nahles war schon lange fällig“, sagt Schmidt-Volkmar. „Man muss ihr vor legen, was sie alles im Sport kaputt machen würde.“

„Das Mindestlohngesetz ist berechtigt, um Missbräuchen Vorschub zu leisten“, sagt Andreas Maccari, „es wird von den meisten größeren Arbeitgebern begrüßt.“ Aber: „Das Gesetz muss dringend nachgebessert werden. Sonst leidet der Sport insgesamt, nicht nur der Fußball.“

Aufrufe: 06.2.2015, 13:25 Uhr
Schwäbische Zeitung / Alexander TutschnerAutor