2024-05-10T08:19:16.237Z

Allgemeines
Da geht es lang: Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck zeigt bei einem Drittliga-Spiel in Bielefeld die Richtung an. | Foto: Starke
Da geht es lang: Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck zeigt bei einem Drittliga-Spiel in Bielefeld die Richtung an. | Foto: Starke

Matthias Jöllenbeck pfeift in der dritten Liga

In Matthias Jöllenbeck pfeift nach 24 Jahren wieder ein Schiedsrichter aus Freiburg bei den Profis

Fünf Spielklassen hat Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck in sieben Jahren übersprungen. Mittlerweile pfeift der 27-Jährige Spiele in der dritten Liga. Was für ein Mann ist der Schiedsrichter des SV Weilertal?
Fallen wir gleich mal mit der Tür ins Haus. Fallen wir über ihn her. Was zeichnet einen guten Schiedsrichter aus? Matthias Jöllenbeck macht das geschickt. Der Schiedsrichter antwortet auf die Frage aller Fragen zunächst mit einem verschmitzten Lächeln. Das verschafft ihm die notwendige Pause für einen formvollendeten Satz, der eine seiner Stärken auf dem Platz offenlegt: die Umgangsformen. „Ein guter Schiedsrichter versucht im Rahmen des Reglements, ein Spiel mit seiner Persönlichkeit zu lenken.“

Persönlichkeit? Ist für einen Spielleiter des Fußballs nicht eher Regelkunde statt Charakter gefragt? „Natürlich müssen gewisse Entscheidungen einfach stimmen“, präzisiert Matthias Jöllenbeck. Doch mit seinem Auftreten, seiner Körpersprache und Kommunikation könne ein Schiedsrichter ein Spiel maßgeblich beeinflussen. Er sei keiner, der im Spiel groß mit den Armen fuchteln würde, sagt der 1,92 Meter große Jöllenbeck. Er sei eher der Knut-Kircher-Typ. Einer, der frühzeitig den Kontakt zu den Spielern sucht, um eine gute Gesprächsebene zu schaffen. „Wenn du viel Ruhe und Souveränität ausstrahlst, kannst du viel erreichen.“

Jöllenbeck hat für seine 27 Jahre schon eine Menge erreicht. Der Mediziner aus Freiburg, der in Müllheim aufgewachsen ist und für den SV Weilertal pfeift, leitet seit dieser Saison erstmals Spiele in der Dritten Liga. Jöllenbeck gehört damit zu den 70 Top-Referees in Deutschland. Fast 24 Jahre nach dem Ausscheiden von Karl-Heinz Tritschler ist der Bezirk Freiburg wieder im Profispielbetrieb des deutschen Fußballs vertreten.

Anton Dixa, der Obmann der Schiedsrichtervereinigung Freiburg, kann sich noch gut an den Schlaks erinnern, der bereits als 16-Jähriger in der Kreisliga B der Aktiven tönende Signale aussandte. Als der Jungspund wieder in die Jugend versetzt werden sollte, machte sich Dixa für das Talent stark: „Der Kerl kann pfeifen.“

Und wie. In sieben Jahren übersprang Jöllenbeck fünf Spielklassen und katapultierte sich von der Kreisliga A bis in die Regionalliga. Hier dauerte es freilich fünf Spielzeiten, bis Jöllenbeck den nächsten Schritt in die Dritte Liga schaffte. „Man darf sich nicht verrückt machen lassen“, sagt der Aufsteiger. Je höher das Niveau, desto mehr entscheiden Nuancen. Es reicht schon, wenn der Schiedsrichterbeobachter eine Gelbe Karte anders beurteilt. Im Ligaranking der Schiedsrichter rutscht der Kandidat prompt zurück.

Sein großer Vorteil: Er hat lange Zeit selbst gespielt

Ausdauernde Physis, ausgeprägte Intelligenz, eine in sich ruhende Natur und hohe Frustrationstoleranz – bei Matthias Jöllenbeck stimme das ganze Paket, hat Dixa festgestellt: „Er hat sich seine Natürlichkeit bewahrt und ist nicht abgehoben wie manch anderer.“ Sein großer Vorteil: Jöllenbeck spielte bis zu den A-Junioren weiter selbst Fußball, schaffte es auf der Zehnerposition in die südbadische Verbandsauswahl. „So einer entwickelt ein feines Gespür dafür, wann einer den Ball treffen will oder nur den Mann“, sagt Dixa.

Als 18-Jähriger entschied sich Jöllenbeck für eine Karriere als Schiedsrichter, „eine Schule fürs Leben“, sagt er. Seine Mutter habe ihm mal gesagt, er sei durch diesen Job als Mensch unheimlich gereift. Diese Verbindung aus körperlicher Belastung – die Laufleistungen von Bundesligaschiedsrichtern liegen mit etwa zwölf Kilometern meist über jenen der Spieler – und mentaler Beanspruchung; diese Ungewissheit, mit unvorhersehbaren Entscheidungen konfrontiert zu werden, 22 schwierige Charaktere in den Griff zu bekommen, während ein Stadion tobt. Das sei eine enorme Herausforderung, zugleich aber eine Leidenschaft mit hohem Gänsehautfaktor, für das sich der hohe Trainings- und Fahrtaufwand lohne. „Schiedsrichter – das ist praktisch eine eigenständige Sportart“, sagt Jöllenbeck.

2500 Euro Grundgehalt bekommt er als Referee pro Jahr. Jeder Einsatz in der Dritten Liga wird dazu mit 750 Euro vergütet. Unparteiische in der ersten Liga erhalten 3800 Euro pro Spiel. Das ist nicht viel, gemessen an den üppigen Einkommen der Profis, aber weitaus mehr als noch vor einigen Jahren. Die Professionalisierung des deutschen Schiedsrichterwesens ist international gesehen weit vorangekommen, Berufsschiedsrichter aber lehnt Jöllenbeck ab. Was sollte ein Referee dann unter der Woche machen? Wo bliebe der notwendige Ausgleich? Wie könnte man sich dann zu einer vielschichtigen Persönlichkeit mit Weitblick und Augenmaß entwickeln? Und: Was sollte man machen, wenn man mit 47 Jahren aus der Riege der Profis ausscheidet?

Jöllenbeck, der als Arzt in der Freiburger Sportmedizin beschäftigt war, strebt einen Beruf als Sportorthopäde an. Seine Doktorarbeit liegt in den letzten Zügen, Bewerbungen stehen an. Liebend gerne würde er in Freiburg bleiben und einen Chef finden, der für sein professionelles Hobby Verständnis aufbringt. Denn es gibt da diesen Satz, den Dixa ihm ins Ohr geflüstert hat: „Wenn ich in zwei Jahren als Obmann aufhöre, würde ich gerne einen Bezirk mit einem Erstliga-Schiedsrichter hinterlassen.“ Als Jöllenbeck diesen Satz noch einmal hört, sagt er spontan „sehr unrealistisch“. Dann huscht dieses verschmitzte Lächeln über sein Gesicht.
Aufrufe: 020.11.2014, 20:00 Uhr
Matthias Kaufhold (BZ)Autor