2024-04-24T13:20:38.835Z

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Den Blick nach oben gerichtet. Viele Nachwuchskicker haben ein großes Ziel vor Augen und um das zu erreichen, wird alles versucht.  Aber die große weite Welt des Profifußballs ist und bleibt eine schillernde Scheinwelt. F: Lommel
Den Blick nach oben gerichtet. Viele Nachwuchskicker haben ein großes Ziel vor Augen und um das zu erreichen, wird alles versucht. Aber die große weite Welt des Profifußballs ist und bleibt eine schillernde Scheinwelt. F: Lommel

Lernen fürs Leben

Immer mehr Geld fließt im Profifußball in die Nachwuchsförderung+++Aber die große weite Welt des Profifußballs ist und bleibt eine schillernde Scheinwelt

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Es war natürlich wieder einiges geboten beim diesjährigen Junior-Cup in Sindelfingen. Beim großen Schaulaufen der Talente im Sindelfinger Glaspalast zeigten die nationalen und internationalen Topclubs wie jedes Jahr, wer in naher Zukunft den Schritt zu den ganz Großen packen könnte. Erstmals mit von der Partie auch eine Mannschaft aus dem Reich der Mitte. Guangzhou Evergrande mit Cheftrainer Marco Pezzaiouli.

Die größte Fußball-Akademie der Welt

Zwar landeten die Kicker aus Fernost wenig überraschend auf dem letzten Rang, aber nichtsdestotrotz muss sich deren Nachwuchsakademie zuhause in der 13-Millionen-Einwohner (!) Stadt im Süden Chinas vor keiner deutschen Nachwuchsakademie verstecken. Ganz im Gegenteil! Rund 140 Millionen Euro hat der ortsansässige Immobilienunternehmer Xu Jiayin in den Bau des Nachwuchsleistungszentrums fließen lassen. Die Guangzhou Evergrande International Football School ist mit 50 Sportplätzen verteilt auf einen 675 825 Quadratmeter großen Campus, die größte Fußball-Akademie der Welt. Der gigantische Komplex wurde in nur zehn Monaten aus dem Boden gestampft: Wohnheime, ein olympisches Schwimmbecken, ein Supermarkt, ein Kino, ein Stadion und 500 Vollzeitmitarbeiter machen die Fußballschule zu einem Projekt der Superlative. Und damit auch ja keiner der rund 10.000 Schüler das große Ziel aus den Augen verliert, steht vor dem Eingang eine fünf Meter große Nachbildung des WM-Pokals. Den großen Traum vor Augen, aber zu welchem Preis?

Khedira, Neuer, Özil, Trapp….

Zwar geht es beim Mercedes-Benz Junior Cup nicht um den größten Pokal der Welt, aber in der Vita einiger späterer Weltmeister taucht der MBJC dann doch immer wieder auf. Mesut Özil war im Januar 2006 in Sindelfingen am Start, gewann mit Schalke den Juniorcup, wurde Torschützenkönig und gab sein erstes Fernsehinterview. Sami Khedira, Manuel Neuer, Kevin Trapp, Nuri Sahin, Lars Ricken, Carsten Jancker und noch viele mehr. Rund 90 Nachwuchsspieler, die später zu Nationalspielern ihrer Heimatländer wurden, standen schon in Sindelfingen auf dem künstlichen Grün.

Umdenken nach dem Fiasko bei der EM 2004

Nach dem Fiasko bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal fand bei den großen Entscheidern beim DFB in Frankfurt ein Umdenken statt. Seitdem müssen die Profivereine viel Geld und Fachwissen in die Nachwuchsleistungszentren investieren. Die Idee dahinter: Gut geschulte Spieler aus dem eigenen Nachwuchs und der heimischen Region sollten es, anstatt teurer Neuverpflichtungen aus dem Ausland, in die Profikader schaffen. Wie der Titelgewinn in Rio zehn Jahre nach dem Vorrundenaus bei der EM 2004 gezeigt hat, ohne Zweifel der richtige Weg, ein Erfolgsmodell. Fünf Spieler, die im Juli 2014 den WM-Pokal in den Nachthimmel stemmen durften, standen als talentierte Nachwuchskicker für ihr damaliges Team in Sindelfingen auf dem Platz.

Die Qual der Wahl

Stuttgart, Hoffenheim, Schalke, Leverkusen, Wolfsburg, München und neuerdings auch Leipzig – Toptalente in Deutschland haben in der heutigen Zeit die Qual der Wahl. Mit positiven wie negativen Folgeerscheinungen. Bereits in den U-Mannschaften fließen fünf- bis sechsstellige Transfersummen. Wo früher zwischen den Bundesligisten eine Art ungeschriebenes Gesetz herrschte, sich die besten Nachwuchskräfte nicht gegenseitig abspenstig zu machen, gelten heutzutage die Gesetze des freien Markts. Für sogenannte Jahrhunderttalente und Wunderkicker werden bereits im frühen Alter astronomische Transfersummen ausgerufen und die Beletage des europäischen Fußballs beteiligt sich munter am großen Wettbieten um die Jugendlichen.

14 Prozent Transfers weltweit entfallen auf die Wechsel von Minderjährigen – Tendenz steigend

Beim diesjährigen Turnier in Sindelfingen haben sich auch wieder einige Toptalente in den Fokus spielen können. Scouts und Berater waren auf den gut gefüllten Rängen im Glaspalast nur schwer zu übersehen. Für die Hochbegabten die große Chance den nächsten Karriere Schritt zu gehen. Clubs locken mit Geld und Infrastruktur, Spielerberater lauern mit ihren Dienstleistungen und Versprechungen. Viel Geld und viele Interessen sind im Spiel, da zeigen Jugendlich und ihre Eltern oftmals wenig Geduld, wenn die Karriere nicht mehr schnell vorangeht. Der letzte Transferreport der Fifa für das Jahr 2014, untermauert diese Entwicklung. Summierten sich die Transferkosten für das Jahr 2014 auf mehr als vier Milliarden Dollar, entfielen dabei etwa 14 Prozent, der registrierten 13 090 Transfers weltweit, auf die Wechsel von Minderjährigen. Ein Trend, der sich mit Sicherheit in den nächsten Jahren weiter verstärken wird.

Lernen fürs Leben

Vereine mit beschränkten finanziellen Mitteln versuchen indes sich diesem Trend zu wiedersetzen. Sie versuchen ihre Nachwuchskicker möglichst früh und möglichst lange vertraglich an den Verein zu binden. Auch rücken neue Konzepte und Kompetenzen bei der Nachwuchsförderung wieder in den Vordergrund. Ehrgeiz, Verantwortungsbewusstsein, Identifikation, familiäres Umfeld und die regionale Bindung - Kurzum, Werte sollen in der Ausbildung zum Fußballprofi wieder vermehrt eine Rolle spielen. Schließlich sollen die Jungs nicht nur nicht nur auf den großen Zirkus Profifußball vorbereitet werden, sondern später auch mit beiden Beinen fest im Leben stehen können. Zwar ist der Fußball die schönste Nebensache der Welt, aber die große weite Welt des Profifußballs ist und bleibt eine schillernde Scheinwelt, die mit der Realität oft nur sehr bedingt zu tun hat. Hier liegt die wohl wichtigste Aufgabe der Proficlubs in Sachen Nachwuchsförderung. Den Jungs zu vermitteln, dass die Zeit, welche sie in dieser Scheinwelt verbringen werden, begrenzt ist. Wie jeder andere Jugendliche auch, müssen die Nachwuchskicker gerade in dieser Phase ihres noch so jungen Lebens, vor allem fürs Leben lernen. Geld und Erfolge sind nicht alles im Leben. Eine einfache und vielleicht gerade auch deswegen so ungemein wertvolle Erkenntnis.

Aufrufe: 08.1.2016, 15:30 Uhr
Danny GalmAutor