Die verbleibenden 30 Minuten nutzen sie dann recht erfolgreich dazu, ihre Außendarstellung zu sabotieren. Erst lässt sich einer von den Gästefans provozieren, im Anschluss daran können die Ordner nur mit viel Mühe verhindern, dass auf die verbale auch noch eine körperliche Auseinandersetzung folgt und als das Spiel dann endlich vorbei ist, wollen sich die Fußballer des Türkischen SV sogar untereinander ans Trikot, bevor sie dann doch noch gemeinsam die Tore aufräumen und frustriert Richtung Kabine schleichen.
Kuru Zeki beobachtet all das an der Seitenlinie, dann sagt er völlig unaufgeregt den Satz „Ich habe diese Aufregung noch nie verstanden“ und schüttelt den Kopf. An manchen Tagen ist Kuru Zeki, 51 Jahre, weiße Haare, Teil dieser temperamentvollen Gruppe, heute hat er es aber vorgezogen, seine Lederjacke anzulassen, seine Haare unter einer Mütze zu verstecken und das Geschehen von außen zu beobachten. „Die jungen Spieler sind immer so impulsiv“, sagt er, „aber man kann doch nichts erzwingen, wenn man so viel redet“. Und erst recht nicht, wenn man die eigene Faust im Gesicht des Gegenübers sehen will.
Zeki, das darf man ihm einfach mal glauben, war auch früher auf dem Fußballfeld ein friedlicher Zeitgenosse, „spätestens, wenn abgepfiffen wird“, findet er, „sollte alles vergessen sein. Es ist doch nur Fußball.“ So entspannt kann das wohl nur einer sehen, der schon ein bisschen was erlebt hat. Mit zehn Jahren hat er angefangen, dem Leder (damals war es wirklich noch eins) hinterherzurennen, vier Jahrzehnte später tut er das immer noch regelmäßig – ob für die erste Mannschaft, die zweite oder die Ü30 ist ihm dabei egal. Ihren „fittesten Mitspieler“ nennen ihn die Kollegen, manche sind selbst schon längst Ü30 oder sogar Ü40.
„Wir haben ein Nachwuchsproblem“, erzählt Zeki, auch wenn er das bei einem Blick auf den Platz eigentlich nicht extra hätte erwähnen müssen. „Am Ende stehen immer wir Alten auf dem Platz“, sagt er und er tut es ohne zu klagen. Manchmal kämen neue Spieler gleich in ganzen Gruppen, aber oft seien die Freunde dann auch schnell wieder weg. „Eigentlich müssen wir jedes Jahr von vorne anfangen.“ Seit zwölf Jahren ist er im Verein, die Atmosphäre sei gut, sagt Zeki, auch wenn der Verein an diesem sonnigen Tag im Wiesengrund einen anderen Eindruck hinterlässt.
Abschrecken lassen hat er sich von all den Aufgeregtheiten trotzdem nicht, der Spaß am Fußball treibt ihn auch mit 51 Jahren noch an – „Fußball“, sagt Kuru Zeki, „ist wie ein Virus“. Mit zehn Jahren ist er infiziert worden, damals noch in, nunja, West-Berlin. Es ist eher selten, dass sich anhand eines aktiven Fußballers auch die jahrzehntelange Geschichte eines ganzen Landes erzählen lässt. Bei den Berliner Amateuren hat er angefangen, 1965 war das, der Türkische SV Gostenhof war da noch gar nicht gegründet. 1992 zog er aus dem wiedervereinten Berlin nach Nürnberg, ein gutes Jahrzehnt später fand er eher zufällig zu seinem heutigen Verein.
Nach Berlin fährt Zeki inzwischen nur noch ab und zu, um seine Eltern zu besuchen. In Kreuzberg ist er aufgewachsen, „früher wollte dort keiner wohnen, heute wollen sie alle hin“, sagt er, lacht und schüttelt noch einmal den Kopf. Besonders gut gefällt es ihm in seiner alten Heimat nicht mehr, findet Zeki. Er meint: Noch aufregender als ein Spiel in der A-Klasse.