2024-04-23T13:35:06.289Z

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Theo als Gastspieler in Aktion und vorneweg.
Theo als Gastspieler in Aktion und vorneweg.

Kleiner Kicker auf dem Weg in große Fußball-Welt

PORTRÄT: +++ Theo Schäller wechselt nach bestandener Aufnahmeprüfung vom TSV Klein-Linden zu Lok Leipzig und ins Sportgymnasium +++ Geplante Rückkehr +++

Giessen. Was haben Bernd Hobsch, Olaf Marschall, Frank Rost, René Adler oder Clemens Fritz gemeinsam? Richtig, alle haben mal Nationalmannschaft gespielt, waren oder sind Bundesliga-Profis - und haben die Kaderschmiede von Lok Leipzig durchlaufen. Frank Rost war und René Adler ist zudem Torwart des Hamburger SV. Und weil mancher Einstieg einfach zu schön ist, wenn auch krumm wie eine Banane, nun zum Punkt: Theo Schäller (noch 9) ist Fan des Hamburger SV und macht sich demnächst auf den Weg zu Lok Leipzig.

Ein Gastspielrecht hat der E-Junior schon, ab Sommer ist er in der Nachwuchsakademie für den renommierten Großverein am Ball, der (noch) Oberliga spielt, die Tabelle aber anführt und für seine hervorragende Jugendarbeit bekannt ist. Theo, der Junge mit dem kecken Lachen und den Sommersprossen, spielt bisher beim TSV Klein-Linden. Und wer ihn mal hat spielen sehen, der wusste schnell, warum er seinen Jahrgang locker überspringen konnte. Theo Schäller ist ein gewitzter Bursche, der schon mit sieben, acht Jahren seinen Alterskollegen hoch überlegen war. Gute Pässe, den Blick für den Raum, ein knallharter Abschluss, den Instinkt, in den unterschiedlichen Spielsituationen richtig zu entscheiden, das zeichnet ihn aus. Zufall? Dass der rothaarige Junge von der Ludwig-Uhland-Schule eine gehörige Portion Talent von seinen Eltern mitbekommen hat, ist unschwer nachzuvollziehen. Vater Till Schäller lacht: ,,Naja, Fußball ist jetzt nicht unbedingt meine Sache, aber ein bisschen gegen den Ball treten konnte ich auch."

Die Sache Schällers (37) ist das Turnen, von sieben bis 14 Jahren hat er es leistungsmäßig, bis zu einer schwerwiegenden Verletzung, am Sportgymnasium in Leipzig betrieben. Mit Mitte der Zwanziger stieg er wieder ein und schaffte es auch mit über 30 noch locker in die 3. Bundesliga in Linden. Theos Mutter Annett war Leistungsschwimmerin. Ganz zufällig ist es also nicht, dass auch Theo zum Bewegungstalent wurde, ,,wobei aber immer der Ball dabei sein musste", wie Till Schäller sagt, der 2001 aus Sachsen nach Mittelhessen kam. Er trainierte beim KTV Wetzlar, dann beim Turnteam Linden. Auch Theo war mit in der Halle, turnte. Wolfgang Hambüchen, Trainer und Vater des deutschen Turn-Stars Fabian Hambüchen bestätigte, dass Theo auch das Zeug zu einem guten Turner habe. Indes: Da ist kein Ball weit und breit. Den aber braucht das kickende Kerlchen. Und er wird ihm ab den Sommerferien täglich serviert.

Da die Eltern mit der Rückkehr in die alte Heimat geliebäugelt hatten, hatte Till Schäller den Gedanken, Theo mal zum 1. FC Lok mitzunehmen und das, rechtzeitig zum Übergang auf die weiterführende Schule, mit der Aufnahmeprüfung am Sportgymnasium zu verbinden. Theo bekam ein Gastspielrecht für Lok und schon nach dem ersten Spiel gegen RasenBall Leipzig wollten ihn die Trainer haben. Seitdem waren Vater und Sohn viel unterwegs, Theo spielte weiter für Klein-Linden, war aber auch schon bei Turnieren in Berlin, Nürnberg, Duisburg oder Düsseldorf am Ball, wo die Gegner schon mal Bayern München, Schalke 04, Sparta Prag oder Lokomotive Moskau hießen. Die große weite Fußball-Welt zog ein ins Leben des kleinen Theo, der nicht nur den ersten Test (,,da war er ganz locker"), sondern auch den zweiten Test (,,da war ich skeptisch, weil das echt eine Herausforderung war") für das Sportgymnasium schaffte. Nur drei von über 30 Bewerbern gelang das. Und einem Jungen außerhalb der Kaderschmiede von RB Leipzig wurde dieses Privileg seit ,,einigen Jahren" nicht mehr zuteil. Vater Till ist gleichermaßen stolz wie demütig, denn er weiß aus eigener Erfahrung, was auf seinen Sohn zukommt. ,,Die Schule ist wichtig, der Fußball das Bonbon. Ich zwinge ihn nicht dorthin, sich da aber durchzubeißen, ist eine Schule fürs Leben." Zweimal die Woche wird Theo nun bei Lok Leipzig trainieren, einmal im kooperierenden DFB-Stützpunkt, dreimal im Sportgymnasium. Sechsmal Training die Woche, dazu Spiele am Wochenende. Alle zwei Jahre werden Leistungstest durchgeführt. Wer den nicht besteht, muss die Schule verlassen. Harte Bandagen, angesichts derer manche einwenden werden, ob dies nicht eine Überforderung darstelle. Theo wird im Sommer zehn. Till Schäller weiß das, sagt aber auch, dass ,,man bei schulischen Aufgaben sehr unterstützt wird und die Kinder die bestmögliche Förderung, auch pädagogisch, erhalten." Einen Moment überlegt er, und sagt: ,,Das war ja auch zu meiner Zeit nicht so schlimm, wie es dargestellt wird, und heute kommt da noch mehr Empathie dazu. Die hat damals vielleicht manchmal gefehlt." Warum eigentlich Lok und nicht RB Leipzig? Der Club ist zwar derzeit als Oberliga-Tabellenführer erst auf dem Sprung in die Regionalliga, aber auf dem Plan des Traditionsvereins aus dem Bruno Plache-Stadion steht die 3. Liga bis 2020. Zudem sei es mehr ein kooperierendes als ein konkurrierendes Verhältnis in Leipzig - außer bei den ,,zum Glück immer weniger werdenden Hardcore-Fans". Gerade in den jüngeren Jahrgängen sei die Trainingsarbeit auf gleich hohem Niveau angelegt, erklärt Schäller. Ein Blick auf die Lok-Homepage bestätigt, dass hier deutlich mehr geleistet wird, als in anderen Oberliga-Vereinen. Die Internetpräsenz genügt Bundesliga-Ansprüchen. Und wenn Theos Präsenz den Lok und RB-Ansprüchen auf Dauer genügt, wer weiß, wo sein Weg hinführt? Das aber ist eine nicht zu beantwortende Frage. Erst einmal geht es von Gießen nach Leipzig, wo Till Schäller künftig im Leistungszentrum der TUG Leipzig arbeiten wird. 20 Stunden als Trainer, 20 Stunden in koordinierender Tätigkeit. Das Leipziger Allerlei der Familie Schäller wird vom Sport geprägt sein. Natürlich ist der Wohnort- und Schulwechsel für den Sohnemann nicht nur mit Vorfreude verbunden. Seinen Schulfreunden hat er gesagt, dass er ,,traurig ist, weil ich euch sicher vermisse". Und auch Gießen, wo er geboren ist. Er hat aber auch gesagt, dass er sich ,,total freut", weil er seinen Fußball-Traum leben kann. Neulich ist er schon ins große Stadion eingelaufen - mit RB gegen Bochum. Als Einlaufkid. Vielleicht wird er auch in 15 Jahren in große Stadien einlaufen. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Bis dahin kann er aber zum Beispiel den Hamburger SV angucken. Wenn der bei RB spielt in der Bundesliga. Unten auf dem Rasen René Adler in seiner alten Heimat, oben auf der Tribüne Theo Schäller - in seiner neuen.



Aufrufe: 022.4.2016, 08:15 Uhr
Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger)Autor