2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines

Kicken ohne Fifa

Jens Jockel ist Südamerika-Direktor des alternativen Fußball-Weltverbandes

Der Fußball ist - pardon - nicht am Arsch. Trotzdem bejubelt die Po-Ebene gerade einen Europameistertitel. Wie das zusammengeht, was dahinter steckt und wie sich auch eine Alternative zur Fifa in Fallstricken aus politischem Kalkül verheddern kann - der Lenneper Jens Jockel kann davon ein Lied singen.
Eigentlich ist Jockel 25 Jahre jung, hat mal für den FC 04 Hückeswagen und bei der SG Hackenberg gekickt und studiert Fußball-Management in Düsseldorf. Nebenbei ist er aber auch noch Südamerika-Direktor des alternativen Fußball-Weltverbandes ConIFA und hat gerade dazu beigetragen, dass die erste Europameisterschaft in Ungarn über die Bühne ging. Übrigens mit Padanien als Sieger. Das Team aus der italienischen Po-Ebene gewann im Finale mit 4:1 gegen den amtierenden Weltmeister "County of Nice", der Grafschaft Nizza, die fast 500 Jahre (bis 1860) von der Provence verwaltungsmäßig abgetrennt war und in der 2013 ein eigener Fußballverband (The Countea De Nissa Football Association) gegründet wurde. Aber das nur mal am Rande . . .

Jockel ist also inzwischen ein Fußball-Funktionär, vor allem aber ein großer Fußball-Fan und - das ist entscheidend - ein nicht minder begeisterter Trikot-Sammler. Rund 210 Fußball-Leibchen aus aller Herren Länder nennt er sein Eigen, und über diesen Umweg begann seine Karriere bei der ConIFA.

Der Verband, der offiziell "Confederation of Independent Football" heißt, wurde vor zwei Jahren gegründet und ist ein Sammelbecken von Fußball-Organisationen, die nicht zur FIFA gehören und die keinen eigenständigen Ländern angegliedert sind. Dazu zählen inzwischen 27 Verbände, darunter Abchasien, Darfur, Sansibar, Kurdistan oder Quebec. Eine der Triebfedern bei der Gründung war der heutige Generalsekretär Sascha Dürkopp, den Jockel auf einer Internet-Tauschbörse kennenlernte.

"Im vergangenen Frühjahr gab es von der ConIFA eine lockere Anfrage, ob ich mitmachen will", erinnert sich der Lenneper. Kurz darauf war er mit im Boot. Weil er des Spanischen mächtig ist, wurde er ruckzuck Südamerika-Direktor - und damit zunächst ein König ohne Land. Denn der Kontinent der Peles, Maradonas und Messis war für die ConIFA ein weißer Fleck. Wenigstens, bis Jockel im Frühjahr eine Low-Budget-Reise nach Chile antrat, um dort mit den Aymara zu verhandeln. "Das ist ein indigenes Volk, das im Länderdreieck Chile, Bolivien und Peru lebt", klärt Jockel auf. Die Gespräche - auch mit der Sportministerin Chiles - verliefen mitunter zäh und nicht komplikationslos, waren am Ende aber doch erfolgreich: Die Aymara sind das erste Mitglied der ConIFA in Südamerika.

Bei der ersten großen Veranstaltung des alternativen Welt-Fußballverbandes, der WM 2014 im schwedischen Östersund, waren die Aymara noch nicht vertreten. Dieses Jahr war vom 17. bis 21. Juni die Europameisterschaft in Ungarn an der Reihe. Sechs Verbände spielten in Debrecen um den Titel. Aber hier offenbarten sich plötzlich auch für die ConIFA erhebliche Schwierigkeiten, den Sport und besondere Interessen unter einen Hut zu bringen.

Ursprünglich sollte die EM auf der Isle of Man in der Irischen See stattfinden. "Allerdings wollten wir im Hinblick auf Sponsoren, die auch bei uns wichtig sind, nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit spielen", sagt Jockel. Die Fans über Fähren auf das Eiland zu karren, wäre zu aufwendig gewesen. London bot sich zwar als Alternative an, doch dieses Vorhaben scheiterte am Veto der Isle-of-Man-Kicker. Ausgerechnet dem großen Nachbarn den EM-Ruhm zu überlassen, den man selber nicht auskosten konnte? Kam nicht infrage.

Am Ende fand sich mit Ungarn ein neuer Ausrichter, zumal mit Felvidek (Oberungarn) und Szekelyföld (ungarischsprachige Volksgruppe in Rumänien) zwei "Local Heros" dabei waren. Dumm nur: Mit der Bewerbung schienen die Magyaren ein eigenes, sportpolitisch motiviertes Spiel zu spielen. Jockel: "Die höchsten politischen Kreise aus Ungarn haben den Teams von Abchasien, Südossetien und sogar Nordzypern die Visa verweigert."

Für den Lenneper war das "ein perfides Spiel", denn bei Abchasien, Nordzypern und Südossetien handelt es sich um starke Teams. "Diese Entscheidung war wohl eher ein verzweifelter Versuch, die Chancen der zwei ungarisch-stämmigen Teams zu erhöhen." Denn die drei Erstplatzierten des Turniers lösten das Ticket für die WM 2016 . . .

Die ungarische Rechnung ging allerdings nicht auf. Felvidek wurde nur Vierter, Szekelyföld sogar Letzter. Für die WM haben sich neben Padanien und dem Titelverteidiger "County of Nice" auch die Isle of Man qualifiziert.

Dass die große FIFA von einem Schmiergeld-Erdbeben erschüttert wird, ist bei der ConIFA und Jens Jockel nur am Rande ein Thema. "Ich bin nicht überrascht, was da jetzt zum Vorschein kommt, aber ich spüre auch keine Genugtuung", sagt Jockel, der betont, dass er die ConIFA als Ergänzung, nicht aber als Konkurrenz zum Weltverband in Zürich sieht. Es müsse eine Dachorganisation wie die FIFA geben, aber es bedürfe auch dringender Reformen. Zum Beispiel im Wahlrecht. Jockel: "Es kann nicht sein, dass Tuvalu dasselbe Stimmrecht genießt wie Deutschland oder England."

Übrigens hatte Jockel vor einiger Zeit "Beweise, dass Spiele in Kolumbien verschoben worden waren". Dies habe er der FIFA auch gemeldet, "doch dann sind die Kontakte leider im Sande verlaufen . . ."

Aufrufe: 016.7.2015, 19:38 Uhr
RP / Henning SchlüterAutor