2024-04-24T13:20:38.835Z

Allgemeines
F: Zink
F: Zink

Kampf um Talente: Der 1. FC Nürnberg will wieder sexy sein

Keine Angst vor finanzkräftiger Konkurrenz

Wenn schon nicht gleich Barcelona oder Arsenal, dann doch immerhin Hoffenheim oder Leipzig. Der 1. FC Nürnberg gilt auf dem Markt der Talente-Ausbilder nicht mehr als sexy. Das soll sich ändern.

Es läuft die Nachspielzeit auf dem A-Platz, benannt nach Max Morlock, der Vereinslegende. Sekunden trennen den 1. FC Nürnberg von einer großen Überraschung, immerhin gegen den deutschen Vizemeister. Kaum jemand sitzt mehr, als die Gäste wenige Meter vor dem Tor zum Abschluss kommen. Heilloses Durcheinander im Strafraum, es geht drunter und drüber, das 1:0 wackelt bedenklich. Zum letzten Mal. Den ersten Schuss pariert der überragende Torwart, den zweiten blockt ein Abwehrspieler auf der Linie, der dritte ...

Es ist schwülwarm, eigentlich Flip-Flop-Wetter. Aus dem nahen Club-Bad ziehen Schreie von kleinen Kindern herüber in den Sportpark Valznerweiher, wo einiges los ist. Oben trainieren die Profis, geheim, weiter hinten misst sich die U15 mit dem FSV Erlangen-Bruck. Zur Halbzeit steht es 6:0 für den deutlich überlegenen Club. Im Frühjahr ist die ältere C-Jugend aus der Regionalliga Süd abgestiegen, der höchsten Klasse, in der zweithöchsten heißen die Gegner JFG Wendelstein oder SG Quelle Fürth.

Die ersten Drei der Abschlusstabelle qualifizieren sich für eine Art Regionalliga Bayern. „Natürlich müssen wir wieder aufsteigen“, sagt Michael Köllner. Der Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, der Nachfolger von Rainer Zietsch, lehnt an einer Spielfeldumrandung aus Holz, eine kleine Flasche Wasser in der rechten Hand. Er schaut aus großer Entfernung der U15 zu, in ein paar Minuten beginnt zwei Plätze weiter hinten das Spiel der U17. Gegner: Viktoria Aschaffenburg. Bayernliga. Auch die ältere B-Jugend ist in der vergangenen Saison nicht gut genug gewesen. Der nächste Abstieg. Köllner ist für die vielen Niederlagen vor seiner Zeit nicht verantwortlich, muss sie aber jetzt mit ausbaden. Veränderte Trainings-Konzepte sollen die häufige Unterforderung im Wettkampf kompensieren. Auch deshalb hat Michael Köllner keine Angst vor der finanzkräftigen Konkurrenz. Wenn es gilt, Talente zu verpflichten. Und auch langfristig zu halten. Die Spieler, sagt Köllner, „müssen bei uns das Gefühl haben, dass es nichts Besseres gibt, dass sie woanders nicht besser ausgebildet werden können.“

Wunderkinder und Wunderjugendliche sind auch im Land des Weltmeisters eher selten. Die Nachfrage übersteigt das Angebot längst bei weitem, was den Preis in die Höhe treibt. Jahr für Jahr werden die Stars von übermorgen wieder teurer, im Einkauf und auch im Unterhalt. Die Kosten sind in den vergangenen Jahren förmlich explodiert. Vorn dabei ist oft nur noch, wer es sich leisten kann. RB Leipzig zum Beispiel gibt es erst seit sieben Jahren, im Spätsommer 2016 hat der Werksklub zwölf deutsche Juniorennationalspieler aus den wichtigsten Jahrgängen unter Vertrag. Der 1. FC Nürnberg: einen. Immerhin ist Patrick Engelhardt für die U18- und die U19-Auswahl des DFB eingeplant.

Die fetten Jahre sind vorbei im Sportpark Valznerweiher; über vier Millionen Euro standen dem NLZ zuletzt zur Verfügung, pro Saison wohlgemerkt. Den stolzen Betrag hat der Kaufmännische Vorstand Michael Meeske ungefähr halbiert. Den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst, wie es heißt. Alles hängt von den Ergebnissen der Profis ab. RB Leipzig musste auch als Zweitligist nicht aufs Geld schauen. Das Nachwuchsleistungszentrum dort ließ sich das aufstrebende Fußball-Unternehmen rund 33 Millionen Euro kosten. „Wer sich das anschaut, ist natürlich beeindruckt“, sagt Dieter Nüssing, beim Club für die Talentsichtung zuständig. Für einen Verein wie den 1. FC Nürnberg, sagt Nüssing, „wird es schwer, da mitzuhalten“.

Seit 2013 hat sein Club vier Spieler an RB Leipzig verloren, Nüssing kann die Namen aufzählen. Geboten wird neben einer soliden Ausbildung verhältnismäßig viel Geld und, falls der Wunsch besteht, auch eine neue Arbeitsstelle für den Vater oder für die Mutter oder gleich für beide. Das Gesamtpaket lässt nicht viele Wünsche offen, einen fairen Wettbewerb in den jeweiligen Altersklassen zwischen den Vereinen aber eigentlich nicht mehr zu. Wegen seiner finanziellen Probleme wird der Club künftig noch stärker auf eigene Talente angewiesen sein. Cedric Teuchert oder Lukas Mühl zählten bis Ende Juni noch zum Kader der U19 und sind jetzt Berufsfußballer, andere sollen zeitnah folgen.

Nach fünf Minuten führt die U17 gegen Aschaffenburg

Aber ist das überhaupt noch realistisch, wenn die Besten bereits mit 14 oder 15 von reichen Vereinen abgeworben werden? „Ich habe ein gutes Gefühl, dass es bei uns in Zukunft richtig gut werden kann“, sagte Köllner schon vor einigen Wochen, am Samstagmittag schwärmt er von Spielern, „die eines Tages den Sprung schaffen können“. Den Sprung zu den Profis. Auch in der U17 kickt der eine oder andere Hochbegabte. Nach fünf, maximal sechs Sekunden steht es 1:0 gegen Aschaffenburg. Anstoß, Pass auf die linke Seite, Pass in den Rücken der Abwehr, Tor. So in etwa will das Köllner sehen. „Ein einstudierter Spielzug“, sagt er, besonders viel Wert legt er auf das Verhalten im letzten Platzdrittel, wenn es richtig eng wird. Deswegen verkürzt er beim Üben häufig das Feld, um entsprechende Situationen simulieren zu können. Was er sieht, scheint ihm zu gefallen. Nach einer Viertelstunde muss der Club eigentlich 4:1 führen, praktisch im Minutentakt kombiniert sich die Nürnberger U17 zu einer Großchance.

Edward Hinz, der Mittelstürmer, braucht drei, vier Versuche, bis er endlich trifft. Dann aber vier Mal in 14 Minuten, zum Teil muss er nur noch seinen Fuß hinhalten. „Es ist doch ein Unterschied, ob einer in einer Saison drei oder 30 Tore schießt“, findet Nüssing, Köller nickt zustimmend. Ein wenig versuchen sie, die Bayernliga schönzureden; "unheimlich viel Selbstvertrauen“ würden die regelmäßigen Erfolgserlebnisse doch bringen, die beiden reden über Präzision, Sicherheit, solche Sachen.

Köllner, der auch Trainer der U21 ist, betreibt mit seinen Kollegen einen hohen Aufwand, um mögliche Nachteile durch die Abstiege der U17 und U15 aufzufangen. In den nächsten Tagen, erzählt er stolz, werde die U21 ihre 100. Einheit hinter sich haben, ihre 100. Einheit seit dem 16. Juni. „Mentale Stärke“ fordert Köllner von den Nachwuchskräften ein, auch wenn es mal weh tut oder nicht so viel Spaß macht. Nur so kann es etwas werden mit der angestrebten Karriere im Profifußball. Topleute, sagt Köllner, „Topleute wachsen nicht auf den Bäumen, Topleute muss man ausbilden.“ Sich geduldig heranziehen. Mindestens zwei Mal pro Woche steht auch Daniel Wimmer beim Training der U21 mit auf dem Platz. Daniel Wimmer ist neu im Club, kennt den Verein aber aus seiner aktiven Zeit. Vier Jahre hat er für den 1. FC Nürnberg gespielt, zuletzt war er Leiter des Nachwuchsleistungszentrums in Unterhaching und Co-Trainer der ersten Mannschaft dort. Daniel Wimmer hätte auch in den Trainerstab eines Erstligisten wechseln können, wie er sagt, zog aber die U17 des 1. FC Nürnberg vor. Bayernliga Nord.

„Wir wollen wieder hoch“, versichert Wimmer nach dem 7:0 gegen Aschaffenburg, dem zweiten Sieg im zweiten Spiel, dem zweiten Sieg ohne Gegentor. Auch Edward Hinz aus Deggendorf, der offenbar viel versprechende Torjäger der U17, durfte bereits bei der U21 mittrainieren, Hinz ist erst 16. Wenn einer richtig gut ist, so sagen sie sich beim kleinen Club, spielt das Alter nur eine untergeordnete Rolle. „Ich finde die Aufgabe, den Weg hier richtig spannend“, sagt sein Trainer Wimmer, hinter ihm kommt gerade die U19 der TSG Hoffenheim aus der Kabine. Der Dorfverein leistet sich ebenfalls ein kostspieliges Leistungszentrum, 15 Millionen soll der gigantische Komplex in Zuzenhausen verschlungen haben. Das viele Geld würde allerdings wirkungslos verpuffen, wenn nicht eine Idee, ja eine Philosophie dahinterstehen würde.

Mit ihrer U19 zählt die TSG schon seit ein paar Jahren zur nationalen Spitze. In der wichtigsten Nachwuchsmannschaft tummeln sich Spieler aus ganz Süddeutschland, von München bis Miltenberg, aber auch erstaunlich viele aus der Region Rhein-Neckar. Aus Pforzheim, Mannheim, Heidelberg. In der vergangenen Saison verlor Hoffenheim erst das Finale um die deutsche Meisterschaft gegen Dortmund, ebenso 2015 gegen Schalke, 2014 hatte Hoffenheims U19 mit 5:0 gegen Hannover souverän den Titel geholt – aber, noch wichtiger, regelmäßig den Kader der Profis verstärkt. Mit Niklas Süle. Oder Nadiem Amiri. So in etwa stellen sie sich das beim 1. FC Nürnberg auch vor, selbst unter erschwerten Bedingungen: das eigene NLZ als Zulieferbetrieb für die wichtigste Mannschaft im Verein. Um das Gefühl für die Bundesliga nicht zu verlieren, vereinbart die U17 auch hin und wieder Tests gegen erstklassige Gegner.

In der Vorbereitung hatten Dresden und Unterhaching das Nachsehen, Leverkusen brauchte etwas Glück. „Die gegnerischen Trainer haben hinterher gesagt, dass wir klar besser waren", sagt Wimmer, in dieser Saison wäre seine U17 wahrscheinlich kein Abstiegskandidat. In der Bayernliga sind sie Aufstiegsfavorit, nur der Erste kommt durch. Die Konkurrenz ist groß. Die Spielvereinigung Greuther Fürth. Der FC Ingolstadt. Jahn Regensburg, dazu 1860 II und der FC Bayern II mit ihren jüngeren Jahrgängen. Es wird schwer. „Für jeden Gegner ist es das Highlight, gegen uns zu spielen“, sagt Wimmer, nennt es eine „große Aufgabe“, Woche für Woche möglichst ohne Gegentreffer zu bleiben, mit dem Druck, immer gewinnen zu müssen, richtig umzugehen. Wimmer sagt auch: „Die Bundesliga ist durch nichts zu ersetzen.“

Nach dem 7:0 gegen Aschaffenburg schaut er sich noch die U19 an, gegen die TSG Hoffenheim, Junioren-Bundesliga Süd/Südwest. Der Club ist vor dem vierten Spieltag ohne Sieg, führt gegen den Favoriten aber kurz vor Schluss mit 1:0. Nach einer relativ ausgeglichenen ersten Halbzeit erhöhen die Gäste in der zweiten den Druck, der überragende Torhüter Leon Kraft hält aber wirklich alles. Auch Niklas Sommer, der rechte Verteidiger, macht ein richtig gutes Spiel, Patrick Engelhardt hingegen, der Stürmer und einzige Nationalspieler des 1. FC Nürnberg von der U15 bis hinauf zur U19, hängt ganz vorn oft in der Luft. Vor der Pause bringt Robin Heußer seinen Club in Führung, beim Gegner kurbelt Noah Schorn, ein Oberfranke, kräftig mit an. An ihm ist auch der Club interessiert, schon länger, muss sich aber hinten anstellen. Schorn hat sich vor zwei Jahren für das Hoffenheimer NLZ entschieden – und scheint seine Wahl nicht zu bereuen.

In der Nachspielzeit ist Noah Schorn nicht mehr auf dem Platz, als Moritz Kwarteng, Nationalspieler Meris Skenderovic und Justin Karlein den Ausgleich auf dem Fuß haben. Der dritte Schuss fliegt aus fünf Metern Entfernung hoch über das Tor, danach ist Schluss. Es bleibt beim 1:0. Glück brauchen sie schon auch, im Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Nürnberg.

Aufrufe: 015.9.2016, 14:36 Uhr
Wolfgang LaaßAutor