2024-05-02T16:12:49.858Z

FuPa Portrait
Letzter Höhepunkt an der Pfeife: Kai Voss (Mitte) mit den Assistenten Tim Becker und Jan-Henrik Krüger vor dem SHFV-Pokalfinale 2014 zwischen Holstein Kiel und dem ETSV Weiche. Foto: Romahn
Letzter Höhepunkt an der Pfeife: Kai Voss (Mitte) mit den Assistenten Tim Becker und Jan-Henrik Krüger vor dem SHFV-Pokalfinale 2014 zwischen Holstein Kiel und dem ETSV Weiche. Foto: Romahn

Kai Voss legt die Fahne aus der Hand

Der Schiedsrichter blickt auf eine bewegte Karriere zurück

Die Schiedsrichter Schleswig-Holsteins verlieren im Sommer auch ihr letztes Aushängeschild. Die Ende Januar erfolgte Ankündigung von Kai Voss, im Sommer die Pfeife und Fahne an den Nagel zu hängen, wird den SHFV als einzigen Landesverband ohne einen Unparteiischen in den Bundesligen zurücklassen.

Zwar hätte der Großhansdorfer, der jahrelang auch international tätig war, noch sechs weitere Jahre als Schiedsrichter-Assistent in der Bundesliga bis zur Altersgrenze vor sich haben können. Dennoch kommt der Entschluss des 40-Jährigen, seine aktive Karriere zu beenden, für Insider nicht ganz unerwartet.

,,Natürlich war das keine leichte Entscheidung", erklärt Voss, ,,schließlich endet damit ein Lebensabschnitt." Doch eine Mischung aus beruflichen, gesundheitlichen und familiären Aspekten ließ den Entschluss über längere Zeit reifen. ,,Ich habe als einer der wenigen Schiedsrichter, die in der Bundesliga unterwegs sind, immer in Vollzeit gearbeitet", sagt der Stormarner, der als Betriebswirt im Mineralölkonzern BP in Mönchengladbach, wohin er vor einigen Jahren des Jobs wegen zog, inzwischen eine leitende Stellung übernommen hat.

,,Ich bin in einem internationalen Team für Absatzplanung verantwortlich, muss dabei auch viel reisen. Das lässt sich mit dem Zeitaufwand in der Bundesliga immer weniger vereinbaren. Die Anforderungen an Schiedsrichter im Profifußball sind in den vergangenen Jahren immer mehr gestiegen", betont Voss.

Anhaltende Rückenprobleme lassen sich so nicht mehr in den Griff bekommen. Und schließlich wollen ja auch seine Frau und die zweijährige Tochter zu ihrem Recht kommen. Der Unparteiische des SV Großhansdorf hört zudem im Wissen auf, nahezu alle Höhepunkte des Fußball-Geschäfts erlebt zu haben. ,,Ich kann für mich sagen, dass ich aus meinem Talent das Optimale gemacht habe", ist Voss überzeugt.

Zu den besten 44 Schiedsrichtern und zu den besten zehn Assistenten der Republik hat er zeitweise gezählt. ,,Nicht mehr, aber auch nicht weniger", ordnet er die beste Zeit seiner 25-jährigen Laufbahn, davon 15 Jahre als Assistent in der Bundesliga, richtig ein. ,,Wäre ich unter den besten 20 gewesen, hätte ich in der Bundesliga gepfiffen. Hätte ich zu den besten drei oder vier Assistenten gehört, wäre ich bei internationalen Turnieren dabei gewesen."

Dafür hat es nicht gereicht. Doch 23 Zweitliga-Spiele als Schiedsrichter, am Ende wohl knapp 200 Bundesliga-Spiele als Assistent und vor allem sieben A-Länderspiele, 16 Europapokalspiele und zahlreiche weitere internationale Einsätze mit der Fahne in der Hand sind eine überaus stolze Karriere-Bilanz.

Mehr noch als diese Zahlen sind es aber die damit verbundenen außergewöhnlichen Erlebnisse, an die Voss sein Leben lang zurückdenken wird. ,,Ich war zu Spielen in Saudi-Arabien, Libyen oder Katar, mindestens im halben Ostblock", erzählt er. Orte, an die man im normalen Leben sonst kaum einmal kommen würde. ,,Die persönlichen Erlebnisse waren in diesen Ländern, die sportlich nicht zur ersten Kategorie zählen, besonders beeindruckend. Das weiß man während der aktiven Zeit oft gar nicht so zu schätzen."

Gerade jene Spiele, in denen das deutsche Schiedsrichtergespann eigens wegen besonderer Brisanz angefordert wurde, hebt Voss hervor. Zu Liga-Stadtderbys in Tripolis, Doha, Baku oder Prag war er so angesetzt, zu den brisantesten Vergleichen der ukrainischen Liga. ,,Es ist eine Ehre, wenn diejenigen, die uns für diese besonderen Spiele ausgesucht haben, dann am Ende auch zufrieden sind", betont der 1,95-Meter-Schlaks.

Sportliche Höhepunkte seien freilich auch andere gewesen. Die Bundesliga-Top-Spiele zählt er dazu, angefangen von Klassikern mit Bayern, Schalke, Dortmund, Bremen oder dem HSV. 2004 war er dabei, als Werder Bremen kurz vor Saisonende ausgerechnet beim FC Bayern die Meisterschaft sicherte. Zudem steht ein DFB-Pokal-Finale (2007 bei der Partie 1. FC Nürnberg - VfB Stuttgart) im Berliner Olympiastadion ganz oben auf seiner persönlichen Erlebnisliste. International bedauert er einzig ein wenig, nie bei Real Madrid oder beim FC Barcelona eingesetzt worden zu sein. Höhepunkte gab es dennoch einige.

,,Ein K.o.-Spiel in der Champions League in Istanbul ist schon ein besonderes Erlebnis", erinnert er sich an die wohl ,,heißeste" Umgebung und zählt weitere sportliche Top-Momente auf: ,,Ich war dabei beim ersten Heimspiel der italienischen Nationalmannschaft dabei, nachdem die Italiener 2006 Weltmeister geworden waren und mit dem Pokal von den Fans gefeiert wurden. Und ich habe bei einem Länderspiel im Londoner Wembley-Stadion auf dem Platz gestanden."

Bei den vielen herausragenden Erlebnissen gab es natürlich auch Tiefpunkte, wenn auch seltener. ,,Damit muss man leben können", stellt er klar. ,,Ein guter Schiedsrichter ist man erst dann, wenn man auch mit der Kritik nach schlechten Leistungen umgehen kann." Doch den vordergründig negativen Karriereeinschnitten kann er Positives abgewinnen. Als er 2003 als (bis heute letzter schleswig-holsteinischer) Schiedsrichter aus der Riege der Zweitliga-Unparteiischen ausschied, wurde durch die Spezialisierung als Assistent erst die internationale Karriere an der Linie so richtig möglich.

Und als er trotz ansprechender Leistungen 2010 seinen FIFA-Platz als Assistent verlor, tat sich die berufliche Karrierechance auf. ,,Das war natürlich schade", weiß er heute. ,,Aber mit den internationalen Terminen hätte ich den Job, in dem ich heute erfolgreich bin, gar nicht annehmen können." So bleiben ein paar einzelne Spiele mit Fehlentscheidungen als Negativerlebnisse. Doch die gehören zum Schiedsrichterleben eben dazu. Und selbst überwiegend richtige Entscheidungen können einen Unparteiischen manchmal in Bedrängnis bringen.

,,Schon in meiner ersten Saison als Assistent in der Bundesliga war ich beim Spiel Dortmund - Bayern dabei", erinnert sich der Großhansdorfer. Hartmut Strampe zieht seine Linie in diesem brutalen Spiel knallhart durch, zeigt am Ende 16 Karten, darunter drei Rote, unter anderem für Bayerns Stefan Effenberg - noch heute Bundesliga-Rekord. Voss: ,,Die Beurteilung des Beobachters war gar nicht so schlecht. Aber die Reaktionen der Vereine und der Öffentlichkeit, noch Tage danach, die waren schon heftig. Da dachte ich gleich: Wo bist du denn hier gelandet?"

Richtig an die Nieren ging dem Referee Kritik aber erst dann, wenn sie auch das Privatleben betraf. Morddrohungen beispielsweise. ,,Wenn meine Frau die Post aufmacht, und da liegt ein Brief mit einem Fadenkreuz obenauf, dann sind die Grenzen mehr als überschritten", stellt Voss klar. Ebenso galt das für den Moment, als ein Fan ihn im Stuttgarter Waldau-Stadion mit einem Bierbecher bewarf und am Hinterkopf traf. Voss ging k.o., war einige Minuten benommen, das DFB-Pokal-Spiel zwischen den Stuttgarter Kickers und Hertha BSC wurde abgebrochen. ,,So etwas braucht kein Mensch", ärgert er sich noch heute.

Es sind jene Situationen, in denen trotz des guten Geldes, das alle Bundesliga-Unparteiischen längst verdienen, Gedanken über Sinn und Unsinn der Tätigkeit in den Kopf kommen. Doch die Momente der Freude, die die Schiedsrichterei für Voss bedeuten, sind bedeutend mehr. ,,Das müssen nicht immer die großen Bundesliga-Spiele sein", erklärt er. Auf Landesebene bleibt die fehlerfreie und viel gelobte Leitung des Landespokal-Endspieldramas im Vorjahr (Holstein Kiel schlug den ETSV Weiche mit 14:13 nach Elfmeterschießen) für ihn unvergessen. ,,Aber auch an ein simples SH-Liga-Spiel wie 2013 in Husum zurückzudenken, ist einfach schön", stellt er heraus.

Dabei geht es um mehr als die 90 Minuten. ,,Einen Tag mit zwei Assistenten, die gute Freunde sind, zu verbringen, macht einfach Spaß. Von der gemeinsamen Bahnfahrt, über den Kaffee am Hafen, bis zum gemütlichen Beisammensein nach dem Spiel." Diese Erfahrungen abseits der Kameras und des großen Geldes haben Voss einst Gefallen am Hobby finden lassen, das er 1990 begann. ,,Mach' es doch besser", entgegnete ein Unparteiischer dem mosernden 15-jährigen Jugendspieler Voss während einer Partie. ,,Der Schiri war wirklich schlecht und ich war mir sicher, es wirklich besser zu können."

Nach dem erfolgreich besuchten Lehrgang bewies er das, stieg Jahr für Jahr auf - nur in der Bezirksliga musste damals jeder zwei Jahre verbringen. ,,Mein erstes Spiel überhaupt war bei der C-Jugend des SSV Großensee, das erste Landesliga-Spiel in Dornbreite, das erste SH-Liga-Spiel in Rendsburg", kann er sich an die ersten Spielleitungen als junger Unparteiischer im Gespräch deutlich schneller erinnern als an die Premierenspiele in internationalen Wettbewerben. Ein Vorbild hat er dabei nie gehabt.

,,Es bringt nichts zu sagen, jetzt will ich so sein wie Collina", betont er. ,,Den wird es so nicht wieder geben. Man sollte sich von jedem das Beste abschauen." Ihn haben dabei nicht nur große Namen beeindruckt. ,,Als junger Schiedsrichter haben mich Kollegen wie Carsten Schaar oder Matthias Borzym, später Klaus Hovorka oder Thomas Romahn geprägt", nennt Voss einige ältere Mitstreiter aus dem Leistungskader seiner Anfangsjahre. ,,Sie haben mein Talent gesehen und waren dabei immer ehrliche, fast väterliche Ratgeber."

Auch wenn er selbst Pfeife und Fahne an den Nagel hängen wird - Termine für seine Abschiedsspiele auf Bundesliga- und SHFV-Ebene stehen noch nicht fest -, möchte er künftig gern als solch ein Ratgeber seine Erfahrungen weitergeben, wie er es schon jetzt bei jungen Kollegen gern tut. ,,Ich könnte es mir leicht machen und einem Verein in der Nähe meines Wohnortes beitreten, was den zeitlichen Aufwand dank der kurzen Wege minimieren würde", sagt Voss. ,,Aber mir geht es darum, dort etwas zurückzugeben, wo auch ich groß geworden bin."

Ganz leicht ist das ob der räumlichen Distanz nicht. Der 40-Jährige hat dem Verbandsausschuss um Holger Wohlers mitgeteilt, in welchem Zeitrahmen er für den SHFV tätig werden könnte. Wie ein künftiges Ehrenamt aussehen könnte, muss jetzt beraten werden. Und dann wird Kai Voss mit daran arbeiten, dass er nicht allzu lange in den SHFV-Statistiken steht als derjenige, der als letzter Schleswig-Holsteiner ein Zweitliga-Spiel pfiff und in der Bundesliga an der Linie stand.

Aufrufe: 012.2.2015, 07:00 Uhr
SHZ / Christian JessenAutor