2024-04-25T14:35:39.956Z

Team Rückblick
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Heute vor 30 Jahren: Die Schmach für den großen FC Bayern

Als die Münchener gegen eine Kehdinger Auswahl verloren

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Heute vor 30 Jahren, am 8. März 1987, war der deutsche Rekordmeister FC Bayern München in Freiburg zu Gast. Es war eines der großen Fußballereignisse im Landkreis Stade – es endete mit einer Sensation und einembösen Uli Hoeneß.

Die von Udo Lattek trainierte Mannschaft traf auf eine Kehdinger Auswahl, gebildet aus den Vereinen SV Drochtersen/Assel, TuSV Bützfleth, SV Dornbusch und SG Freiburg/Oederquart. Den Auftritt hatte der ortsansässige Bäckermeister Hans-Jürgen Kühlcke mit seinen bundesweiten Kontakten eingefädelt. Was niemand auch nur ahnen konnte: Auf dem hartgefrorenen Boden am Elbdeich besiegten die Bezirks- und Kreisliga-Kicker die mit allen Nationalspielern angereiste Star-Truppe vor 2200 Zuschauern am Sonntagmittag mit 5:3 Toren. Eine Sternstunde für die Kehdinger Akteure. Natürlich sorgte das unfassbare Ergebnis für riesige Schlagzeilen im deutschen Blätterwald.

Ich, Dieter Albrecht, war an diesem Tag für den Sport-Informations-Dienst (SID) tätig, der von mir routinemäßig einen Kurzbericht vom Spiel anforderte. Es sollte anders kommen. Ich musste dem verantwortlichen Redakteur der Agentur klar machen, dass es sich bei dem unglaublichen Ergebnis um keinen verfrühten Aprilscherz handelte. Aus einer schlichten Meldung wurde eine längere Geschichte mit Hintergründen und Stimmen, vor allem des FC Bayern.

Die Pressekonferenz nach dem Abpfiff hatte es in sich. Bayern-Manager Uli Hoeneß erschien mit Zornesröte im Gesicht, entschuldigte sich zuerst für den blamablen Auftritt seiner offensichtlich lustlosen Truppe. Die Platzverhältnisse wollte er nicht als Rechtfertigung oder Entschuldigung gelten lassen, auch wenn auf dem knüppelharten Geläuf keiner der hochbezahlten Profis das Risiko einer Verletzung eingehen wollte.

Für Hoeneß, der seinem Ärger schon zur Halbzeitpause in der Kabine lautstark Luft gemacht hatte, standen die Außendarstellung des Vereins und das zu erwartende Echo in den Medien im Vordergrund. Spontan kündigte der Manager an, dem örtlichen Kindergarten 5000 Mark der vereinbarten Gage zu spenden. Die Geste hinterließ Eindruck. Doch es blieb bei einem Versprechen, denn der Geldbetrag kam in Freiburg nie an. Eher untypisch für Hoeneß, der für seine soziale Einstellung bekannt ist.

Der FC Bayern spielte keineswegs mit der zweiten Garnitur oder einer Reisetruppe. Mit Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus (150 Länderspiele), Andreas Brehme, Dieter Hoeneß, Michael Rummenigge, Norbert Eder, Holger Willmer, Hans Dorfner, Ludwig Kögl, Norbert Nachtweih, Lars Lunde und Torhüter Bobby Dekeyser, dazu Roland Wohlfahrt und Helmut Winkelhofer standen ausschließlich hochbezahlte Profis auf dem Platz. Aus der Stammbesetzung fehlten nur Belgiens Nationaltorhüter Jean-Marie Pfaff, Klaus Augenthaler und Hans Pflügler.

2200 Zuschauer konnten sich trotz bitterer Kälte an der Spielfreude der unbekümmert auftrumpfenden Kehdinger Auswahl erwärmen. Sie glaubten, ihren Augen nicht zu trauen, als die Amateur-Kicker nach 25 Minuten gegen indisponiert wirkende Bayern 3:0 vorn lagen. Nach einem 1:4-Pausenstand und dem entsprechenden Donnerwetter kamen die Münchener auf 3:4 heran, schienen nun endlich ernst zu machen. Es blieb bei einem kurzen Strohfeuer, denn die Auswahl legte den fünften Treffer nach. Die Kehdinger Torschützen waren der wieselflinke Linksaußen Uwe Dräger, der technisch versierte Jens Beyer (je 2) und Berti Umland. Für die Bayern trafen Lothar Matthäus, Michael Rummenigge und Dieter Hoeneß.

Die Bayern-Profis zeigten sich zunehmend genervt, fluchten vor sich hin, weil sie die von Auswahl-Trainer Lutz Bendler hervorragend eingestellten Amateure nicht in den Griff bekamen. Der Ehrgeiz, sich gegen die großen Bayern gut zu präsentieren, beflügelte die Männer. Es hatte den Anschein, als würde es sich um ein eingespieltes Team handeln. Dabei hatte Bendler seinen Kader nur zweimal zum Training auf dem Grandplatz in Drochtersen versammeln können.

Spielmacher Frank Laskowski erinnert sich: "Lothar Matthäus hat mich ständig beschimpft, war total angefressen, auch deshalb, weil viele Zuschauer ihn und die Mannschaft wegen der indiskutablen Vorstellung mit wenig freundlichen Worten bedachten." Schiedsrichter Horst Wartner: "Ich bekam in der Nachbarkabine mit, wie Uli Hoeneß schimpfte und stinksauer über die Blamage war." Einem blieb die Schmach erspart. Udo Lattek hielt sich an diesem Wochenende zu einem Besuch in Spanien auf. Die Trainerlegende wurde von seinem Assistenten Werner Olk vertreten, der die Bürde des peinlichen Auftritts am Elbdeich mit voller Breitseite ertragen musste.

Wie nicht anders zu erwarten, schüttete die Presse Hohn und Spott über den Deutschen Meister aus. Die Münchener Abendzeitung titelte: "Ein Dorfteam blamierte Bayern". Als "Schlappe in der Provinz" bezeichnete der Münchner Merkur die desolate Vorstellung. Die Süddeutsche Zeitung sprach von einer "Blamage hinterm Elbdeich". Eine andere Schlagzeile lautete: "Kehdinger Auswahl zog dem Deutschen Meister die Lederhosen aus". Bild-München ging noch einen Schritt weiter: "Fliegt Adler Olk?". Dazu kam es für den Co-Trainer der Bayern nicht.

Für die Auswahl bleibt das einmalige Erlebnis auch nach 30 Jahren in lebhafter Erinnerung. Bendler: "Meine Spieler brannten, liefen alle heiß. Für uns war wichtig, den erheblichen Leistungsunterschied möglichst zu minimieren." Mannschaftskapitän Jörg Richters: "Bei uns spielten viele kleine Leute, die sich auf dem rutschigen Boden wohl fühlten. Den tollen Sieg haben wir in Müllers Hotel in Drochtersen und dann in einer Disco bis weit in die Nacht gefeiert." Der für die Organisation zuständige Hans-Jürgen Kühlcke hatte vom Spiel wenig gesehen, aber allen Grund zur Freude: "Die Bayern einmal in Freiburg zu erleben, das ist schon etwas Besonderes."

Eines ist geblieben: Von den fünf Toren gegen den großen FC Bayern wird auch nach 30 Jahren noch gesprochen.

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Aufrufe: 08.3.2017, 08:30 Uhr
Tageblatt / Dieter AlbrechtAutor