2024-05-08T14:46:11.570Z

FuPa Portrait
(g_sport <g_sport5@volksfreund.de)
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»Heute bin ich mit mir im Reinen«

TV-Serie Nachspielzeit: Der einstige "Rastelli" Rainer Poltrock hat seinen Platz im Leben gefunden

Er galt als "Zaubermaus" am Ball. Als einer, mit dessen Kleinkunst am runden Leder es niemand in der Region aufnehmen konnte. Aber der "Mann mit dem goldenen Fuß" war auch einer, an dessen angeblichem Lebenswandel, seinem Sozialverhalten, sich die Geister schieden. Heute, mit 57 Jahren, gibt Rainer Poltrock erstmals auch einen Einblick in sein Innenleben. In das von damals und das von heute.
Minheim. Der erste Eindruck war ernüchternd. "Hier soll ich spielen, Herr Fuchs? Nie!" Wer vor dreieinhalb Jahrzehnten durch das kleine idyllische Voreifel-Dörfchen Salmtal fuhr, war genau so schnell raus aus dem Dorf, wie er reinkam. Und er sah, dass er nichts sah. "Niemand auf der Straße, keine Geschäfte, wie eine ausgestorbene Westernstadt", erinnert sich Rainer Poltrock an seine erste Begegnung mit dem Ort, der sein sportliches Wirken auf lange Zeit bestimmen sollte.

Nachspielzeit Rainer Poltrock


Seinen Mentor und Trainer Fritz Fuchs, der nach seiner Demission beim VfR Bürstadt gemeinsam mit dem dribbelstarken Nachwuchskicker beim FSV Salmrohr in der Oberliga Südwest eine neue Aufgabe suchte, "habe ich bestimmt 15 Jahre gesiezt. Das war immer der Herr Fuchs für mich." Beim westpfälzischen SV Kindsbach hatte Fuchs, der einen Blick für Talente besaß, den jungen Poltrock entdeckt, ihn mitgenommen zum Zweitligisten VfR Bürstadt, wo dieser in der Bundesliga-Nachwuchsrunde eingesetzt wurde.
Poltrocks erster Eindruck wurde noch am gleichen Abend revidiert: "Beim Spiel gegen TuS Neuendorf waren fast 1000 Zuschauer an den Salmrohrer Hartplatz gekommen." Es sollte nicht sein letzter Besuch dort gewesen sein. "Am Abend habe ich auch den Herrn Rauen kennen gelernt" erzählt er, und beide, der Fußball-besessene Unternehmer und der junge Mann aus der Nähe von Kaiserslautern, wurden sich einig.

Der echte "Poldi"


In Salmrohr wurde "Poldi", wie er noch lange vor dem Kölner Urgestein genannt wurde, nicht nur heimisch, sondern auch ob seiner Künste bewundert. Der Name Poltrock wurde zu einem Gütesiegel in der Oberliga. Was für den einfach aber ehrlich gestrickten jungen Burschen allein auf dem Land, ohne Führerschein und Auto, Fluch und Segen zugleich war. Denn sein Weg vom Kind über die Pubertät ins Erwachsenenleben war nicht gerade eine Flaniermeile gewesen. Die Eltern früh auseinander, wuchs der kleine Rainer bei seiner Großmutter auf, zu der ihn Zeit seines Lebens eine tiefe emotionale Beziehung verband.
"Wenn es mir mal richtig schlecht ging, habe ich mich in den Zug gesetzt oder mich hin fahren lassen." Die Oma war Vertrauens- und Bezugsperson für den jungen Kicker, der außer dem Fußball nichts hatte und dem es schwerfiel, in dem kleinen Eifeldorf soziale Kontakte zu knüpfen. So wurde der FSV Salmrohr seine frühe Bühne, auf der er gefeiert wurde. Dort holte er sich seine Streicheleinheiten fürs Miteinander ab. Da war er wer.
Aber halt nur für 90 Minuten. Und etliche angebliche Freunde entpuppten sich als voreilige Schulterklopfer, die sich flugs hinters eigene Scharnier zurückzogen, wenn es mal nicht so lief auf dem Platz. Schnell wurde "Poldi" von der Masse der angeblichen Besserwisser stigmatisiert. "Der kann nix außer kicken, der hängt sonst nur in der Kneipe rum." Gerüchte haben bekanntlich Flügel, und denen war auch ein Rainer Poltrock nicht gewachsen. Und das tat ihm weh.

Probetraining bei Heynckes


Am Ball ein Phänomen, war er im Umgang mit seinen Mitmenschen, in der Kommunikation reserviert: zurückhaltend und scheu. Er war keiner, der zu diskutieren verstand und suchte doch nach Anerkennung außerhalb der Strafräume. "Ich war jung, ich war allein, habe Fehler gemacht. Vielleicht habe ich auch den falschen Leuten vertraut. Natürlich haben wir auch gerne gefeiert, einen getrunken, aber wir haben auch vier oder fünf Mal in der Woche hart trainiert. Die Siege sind uns nicht in den Schoss gefallen." Rainer Poltrock musste oft die schmerzliche Erfahrung machen, dass man sich wahre Freunde nicht erkaufen kann und dass am Ende des Geldes manchmal noch zu viel Monat übrig war.
Sein Können aber machte die Runde. Eine Woche Probetraining in Mönchengladbach unter Jupp Heynckes, eine Woche beim VfL Bochum unter Rolf Schafstall. "Gladbach hat mir zwei Wochen später einen Vertrag angeboten", blickt er heute zurück und bekennt: "Ich habe lange überlegt. In Salmrohr war ich König, in Gladbach niemand. Ich war und blieb ein Dorfjunge." Also hat er abgelehnt, beim FSV haben sie vielleicht noch ein bisschen draufgelegt und der "König" blieb an seinem Hof. Heute sagt Poltrock: "Ich war nicht nur jung, vielleicht war ich auch einfach nur dumm, dass ich nicht Ja gesagt habe."
So blieb der kleine Blondschopf ein fußballerisches Ausrufzeichen in der Region. Bei Eintracht Trier hatte er nach einem Gespräch mit Coach Werner Kern einen Vorvertrag unterschrieben, als die Gründung der eingleisigen zweiten Bundesliga anstand. "Dann hat die Eintracht in der Rückrunde ein Spiel nach dem anderen verloren und das Ding war wertlos." Seine Künste am Ball zeigte er noch lange Jahre beim SV Leiwen, später in Haag/Horath, wo er noch mit 37 Jahren mithalf, die Verbandsliga zu halten. "Menschlich und kameradschaftlich war das meine schönste Zeit", erinnert er sich."
Inzwischen wohnt Rainer Poltrock seit gut 25 Jahren in Minheim an der Mosel. Einer, der seinen Werdegang nach dem Fußballer-Leben maßgeblich zum Positiven beeinflusst hat, ist Dietfried Hönig. Der damalige Büroleiter der Verbandsgemeinde Neumagen-Dhron, ein passionierter Fußballer, hatte ihm eine Wohnung und eine Perspektive besorgt. Mittlerweile arbeitet Poltrock seit 15 Jahren in Festanstellung bei der Gemeinde Minheim.

Mit 57 Jahren noch am Ball


Und der Fußball? Hat der ihn losgelassen? "Ich gehe nicht mehr bei Wind und Wetter auf jeden Sportplatz, ich suche mir die Spiele aus." Lassen kann es der einstige Rastelli am Ball immer noch nicht ganz. In der dritten Mannschaft des SV Niederemmel kickt er noch in der Kreisliga C. Mit 57 Jahren. "Ab und zu sagt auch mal einer: Du hast bestimmt früher mal höher gespielt." Was ihn dann sehr freut. Mehr Genugtuung aber empfindet er darüber, es all denjenigen gezeigt zu haben, die "immer gesagt haben, wenn der Poltrock keinen Fußball mehr spielt, dann geht der unter". Seine Arbeit bei der Gemeinde Minheim verrichtet er seit 15 Jahren. Regelmäßig. Rainer Poltrock ist angekommen. Auch außerhalb des Platzes. Darauf, sagt er uns, sei er stolz. Und bekräftigt: "Ich bin mit mir im Reinen." Vielleicht sein schönster und sein wertvollster Sieg.



Extra

… die unerfüllte fußballerische Liebe von Rainer Poltrock, die er uns im Gespräch offenbarte. "Ich war von Kindesbeinen an ein Fan der Münchener Löwen gewesen. Das war der Verein, der zu mir einfach am besten gepasst hat. Eigentlich war es immer mal ein Traum von mir gewesen, mal das 60er Trikot tragen zu dürfen." Ein Wunsch, der allerdings nie in Erfüllung gehen sollte. jüb

Extra

Wer ist eigentlich Rastelli? Wenn Fußballer besonders tolle Tricks draufhaben, nennt man sie manchmal "Fußball-Rastelli". Aber Enrico Rastelli aus Italien hatte gar nicht bei großen Vereinen wie Inter Mailand, Real Madrid oder Bayern München gespielt - er war nämlich ein Jongleur, der im Wanderzirkus angefangen hatte. Das ist aber schon ganz, ganz lange her. Enrico Rastelli konnte wohl mit zehn Bällen gleichzeitig jonglieren. Deswegen vergleichen vor allem die ein bisschen Älteren heute noch gerne tolle Fußballer mit Rastelli. AF
Aufrufe: 09.2.2016, 09:56 Uhr
volksfreund.de/Jürgen C. BraunAutor