2024-05-02T16:12:49.858Z

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Heidenheimer Rückschau auf den DFB-Pokal

Als Kurt Ilg gegen den Bundesligisten Hertha BSC wirbelte

Nach dem Aufstieg des 1. FC Heidenheim in die 2. Liga werden sich in dieser Saison namhafte Kontrahenten wie Kaiserslautern, Nürnberg, Düsseldorf oder 1860 München auf dem Schlossberg die Ehre geben. Im Jahre 1979 war man von solch edler Gegnerschaft noch weit entfernt.

Die Fußballer des HSB kickten in der Verbandsliga, statt nach Braunschweig und St. Pauli ging's nach Ofterdingen und Au. Doch mit einem Schlag - oder besser: mit einem Griff in die Lostrommel - kam Abwechslung ins triste Liga-Alltagsgrau. Im Albstadion, wo damals nur in den Derbys gegen Aalen und Giengen vierstellige Zuschauerzahlen winkten, tauchte Hertha BSC auf. Mit Wolfgang "Otto" Kleff im Tor, "Funkturm" Uwe Kliemann als Libero und Kuno Klötzer, genannt "Ritter Kuno", als Trainer. Jedenfalls: Nie zuvor stand eine Heidenheimer Fußballmannschaft in einem Pflichtspiel solch geballter Fußballprominenz gegenüber.

Der Provinzausflug der Berliner in den entlegenen Süden lockte am 25. August 1979 über 4000 Zuschauer in die schmucke Arena, in der ein Jahr zuvor Karl-Hans Riehm immerhin einen Hammerwurf-Weltrekord (80,32 m) erzielt hatte. Damals war keine Kamera im Stadion, gegen Hertha BSC aber kam das Fernsehen. Wo derartige Bestmarken erzielt werden, hielt man in Rundfunkanstalten offenbar auch Pokal-Überraschungen für möglich. Und in der Tat: Nicht die "alte Dame" Hertha sondern die vier Klassen tiefer spielenden HSB-Jungspunde bestimmten in der ersten halben Stunde den Rhythmus. Und einer trumpfte besonders auf: Kurt Ilg. Niemand hatte den gerade erst aus der A-Jugend rekrutierten Mittelfeldspieler auf der Rechnung.

Und so grätschte Uwe Kliemann, wegen seinen fast zwei Metern Körperlange nur "Funkturm" genannt, schon nach acht Minuten ins Leere, als Heidenheims wildgewordene Nummer 10 erstmals im Hertha-Strafraum auftauchte. Ein Spieler namens Hans-Joachim Förster holte darauf Ilg von den Beinen. Doch die Pfeife von Schiedsrichter Sahner aus Maulburg bei Lörrach blieb stumm. Dafür pfiff das Publikum.

"Den Elfmeter hätte man geben können, musste aber nicht", ließ sich Hertha-Trainer Klötzer hinterher zitieren. "Für meine Begriffe war es ein Elfmeter", sagt dagegen Kurt Ilg noch heute. "Wer weiß, wie es gelaufen wäre, hätten die Gastgeber ein durchaus mögliches frühes Führungstor erzielt", fragte Sportredakteur Franz Oszfolk in der Heidenheimer Zeitung nicht zu Unrecht.

Damals sei es wieder aufgewärmt worden, das Vorurteil, wonach ein Kleiner gegen einen Großen eben im Zweifelsfall immer benachteiligt werde, erinnert sich Ilg. Nicht nur wegen des verweigerten Elfmeters blieb jedoch der kleine Kurt das Maß aller Dinge an diesem Nachmittag. "Der 18-jährige Blondschopf avancierte zum besten Spieler auf dem Platz, er neckte und narrte ausgekochte Bundesliga-Profis und lieferte ein Riesenspiel", schrieb Reporter Oszfolk. Er befand sich damit auf einer Linie mit "Ritter Kuno": "Die Nummer 10 der Heidenheimer hat ein Riesenspiel gemacht", betonte auch Klötzer.

"Es war wohl meine beste Partie in jungen Jahren", erinnert sich Ilg, der mittlerweile in Aalen wohnt und dort als Lehrer arbeitet. Damals habe sich der HSB in einer Umbruchphase befunden. Der Versuch, mit einer aus vielen regionalen "Stars" zusammengekauften Mannschaft in der neugegründeten Oberliga Fuß zu fassen, war zuvor kläglich gescheitert. Zuviele Häuptlinge und keine Indianer - das musste schiefgehen. "Wir Jungen mussten jetzt in die Bresche springen", erzählt Ilg. Da sei es natürlich eine "unheimliche Motivation" gewesen, gleich gegen einen Bundesligisten antreten zu dürfen.

Zwar hat das Fernsehen in seiner Zusammenfassung den bisherigen Heidenheimer No-Name fälschlicherweise als "Kurt Jung" tituliert, doch das hinderte im Nachgang einige große Klubs nicht, bei Familie Ilg anzurufen. Zuerst meldete sich Hertha, dann Bayer Leverkusen.

"Die Leverkusener boten parallel zur Fußballkarriere eine Ausbildung an. Aber ich hätte sofort kommen müssen. Und das kam auch für meine Eltern nicht in Frage. Schließlich stand ich vor dem Abitur", sagt Ilg. Nicht mal Bayern Münchens Manager Uli Hoeneß, der den Heidenheimer Schüler zunächst in die Amateurmannschaft holen wollte, konnte da etwas ausrichten.

Ilg blieb erst einmal in Heidenheim, wechselte dann ausgerechnet zum HSB-Dauerrivalen VfR Aalen, was anfangs "viel Wirbel" verursacht habe. Doch der dynamische Mittelfeldspieler machte in der Oberliga seinen Weg, kehrte nach einem zweijährigen Gastspiel bei den Amateuren des VfB Stuttgart nochmals nach Aalen zurück - und freut sich heute darüber, dass es in der Region gleich zwei Zweitligisten in unmittelbarer Nachbarschaft gibt. "Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust", sagt der inzwischen 53-Jährige, der den Weg seiner Ex-Klubs aufmerksam verfolgt.

Ach ja: Das Pokalspiel gegen Hertha BSC verlor der HSB seinerzeit standesgemäß mit 0:4 durch Tore von Sidka (30.), Rasmussen (39.), Milewski (63.) und Krämer (84.). Fast wäre Ilgs Bruder Wolfgang wenigstens noch der Ehrentreffer gelungen, doch dessen Schuss knallte an die Berliner Querlatte.

Kuno Klötzer, zwei Jahre zuvor noch Europapokalsieger mit dem Hamburger SV, wurde ziemlich genau zwei Monate nach dem Spiel in Heidenheim aufgrund anhaltender Erfolgslosigkeit entlassen. Am Saisonende stieg die Hertha ab - der HSB, zum Zeitpunkt des damaligen Pokalspiels immerhin Verbandsliga-Tabellenführer, aber (leider) nicht auf.

25 Jahre lang pendelte der HSB zwischen Verbands- und Landesliga. Erst mit der Rückkehr in die Oberliga 2004 begann der kometengleiche Aufstieg, der bis in die 2. Liga führte. Und Gegner mit Namen wie Hertha BSC Berlin sind seitdem keine Ausnahme mehr.

Aufrufe: 014.8.2014, 18:20 Uhr
Südwestpresse / THOMAS GRÜNINGERAutor