2024-05-10T08:19:16.237Z

FuPa Portrait
Tobias Berg jubelt nach seinem ersten Tor für den SV Bergfried mit zwei Teamkollegen, links: Tunaj Franquez., Foto: Uli Herhaus
Tobias Berg jubelt nach seinem ersten Tor für den SV Bergfried mit zwei Teamkollegen, links: Tunaj Franquez., Foto: Uli Herhaus

Große Geschichte ohne Worte

Seit der Rückrunde spielen beim Bezirksligisten SV Bergfried Leverkusen die drei hörgeschädigten Fußballer Tobias Berg, Nils Berg und Tunaj Franquez. Der DFB nennt den Klub ein leuchtendes Beispiel für die Inklusion im Fußball.

Leverkusen. Die Beziehung ist innig und funktioniert ohne Worte, das wird nach wenigen Sekunden klar. Tobias Berg greift sich einen Ball aus dem Netz und wirft ihn auf den vom Flutlicht erleuchteten Kunstrasen in Leverkusen-Neuenhaus. Dann streichelt er den Ball mit seiner linken Fußsohle, einmal, zweimal — und der Ball gehorcht. Langsam traben seine Mitspieler auf den Platz, Berg nickt ihnen mit einem breiten Grinsen zu. Auch die Beziehung mit seinen Teamkollegen kommt ohne große Worte aus. Weil sie muss.

Tobias Berg (24) ist einer von drei hörgeschädigten Fußballern, die seit diesem Jahr beim SV Bergfried Leverkusen in der Bezirksliga spielen. Die anderen beiden, Tunaj Franquez (27) und Nils Berg (20), hören stark eingeschränkt, Tobias Berg ist komplett gehörlos. Gemeinsam mit ihrem Trainer Karl Slickers sitzen sie vor dem Training im spärlich möblierten Vereinsheim an einem Holztisch. Es ist extrem laut — die 16 Junioren- und drei Seniorenteams des Klubs trainieren draußen dem Geräuschpegel nach zu urteilen scheinbar gleichzeitig — und das Gespräch, das Franquez und Nils Berg für Tobias Berg in Gebärdensprache übersetzen, ist nicht einfach. Doch es funktioniert. So erzählen zunächst Franquez und Tobias Berg ihre Geschichte.

Beide wuchsen im gleichen Ort in Schleswig-Holstein auf, besuchten denselben Kindergarten und dieselbe Schule. Irgendwann zog der drei Jahre ältere Franquez ins Rheinland, um dort seine Frau zu heiraten. Franquez, von Beruf Lagerist, spielte in mehreren Kreisligavereinen Fußball, „doch ich hatte einige Probleme”, sagt er: Probleme mit seinen Mitspielern. Sich mit ihm zu unterhalten ohne die Gebärdensprache zu beherrschen, kostet mehr Zeit und Engagement als normaler Small Talk. Die Wörter verlassen oft nur bruchstückhaft seine Lippen. In seinen vorherigen Vereinen hat sich schlichtweg niemand die Zeit genommen, ihm zuzuhören.

400 000 Euro vom DFB für den Förderschwerpunkt Behindertenfußball

„Mitspieler und Trainer müssen sich bewusst machen, dass Hörbehinderte von jeglicher allgemeinen Kommunikation ausgeschlossen sind. Man muss sich diesen Menschen bewusst zuwenden und mit ihnen kommunizieren. Sonst fühlen sie sich schnell isoliert”, erklärt Frank Zürn. Er trainiert die deutsche Gehörlosennationalmannschaft, ist selbst nicht gehörlos, beherrscht aber die Gebärdensprache perfekt und kommuniziert mit seinen Spielern ohne Dolmetscher. Im Alltag ist dies für seine Nationalspieler eine Seltenheit, doch für Zürn ist es unumgänglich, dass sie sich trotzdem einem „Hörenden-Verein” anschließen. „Die regelmäßige Wettkampfarbeit ist ein Muss, der Inklusionsgedanke ist ein positiver Nebeneffekt”, sagt er. Mehrere Gehörlose würden sich oft in einem Verein gruppieren, um die Kommunikation zu erleichtern. Der SV Bergfried ist kein Einzelfall.

Der Klub sei ein leuchtendes Beispiel für die Inklusion im Fußball, sagt Tobias Wrzesinski, stellvertretender Geschäftsführer der Sepp-Herberger-Stiftung des Deutschen-Fußball-Bundes, die im vergangenen Jahr über 400 000 Euro für den Förderschwerpunkt Behindertenfußball ausgab. Im Gehörlosenfußball werden davon Nationalmannschaftslehrgänge finanziert. Menschen wie Patrick Bauer, Fußball-Abteilungsleiter beim Kölner Gehörlosen Sportverein, wünschen sich darüber hinaus Aufklärungsprogramme zur Förderung der Inklusion. „Mir persönlich ist es wichtig, dass Hörbehinderte Akzeptanz in einem Verein finden”, erklärt er. Dann müssten sich die Mitspieler Gedanken zu Kommunikationsmöglichkeiten mit hörbehinderten Menschen machen. „Noch werden gehörlose Sportler stark ausgegrenzt”, sagt Bauer.

Anders als Franquez hat Tobias Berg die Erfahrungen von Ausgrenzung und Isolation nicht gemacht, er schmollt die Lippen und schüttelt den Kopf, als er danach gefragt wird. Berg ist allerdings auch ein besonderer Fußballer. Dass ihm der Ball gehorcht und er mit seinem linken Fuß präzise schießt, ist Nationaltrainer Frank Zürn nicht verborgen geblieben: Mit der Nationalmannschaft wurde Berg 2008 als 18-Jähriger Weltmeister, 2013 gewann er die Bronzemedaille bei den Deaflympics, den Olympischen Spielen für Gehörlose. Beides jedoch fernab der öffentlichen Wahrnehmung: Weil Sponsoren fehlen, müssen die Auswahlspieler auf Reisen meist selbst zahlen

In Hamburg spielte Berg bis Ende des vergangenen Jahres beim Oberligisten HSV Barmbeck-Uhlenhorst. Dann zog er wie Franquez der Liebe wegen nach Leverkusen, er arbeitete dort als Maler und Lackierer, hier sucht er momentan einen Arbeitsplatz. Einen Fußballverein fand er schnell: Im Internet stieß er auf den SV Bergfried, nahm mit Trainer Slickers Kontakt auf, kam ein paarmal zum Training und ist seit Januar offiziell Teil der Mannschaft. Slickers sagt: „Wir setzen große Hoffnungen in ihn.”

Berg lotste seinen alten Freund Franquez ins Team, wenig später kam Nils Berg hinzu. Probleme, sagen alle, gab es bislang noch keine. „Ich bin sehr zufrieden und kann hier viel lernen”, sagt Franquez. Trainer Slickers sagt zwar vorsichtig, dass es schwierig sei, sich zu unterhalten. Doch: „Die Jungs sind ja zum Fußball spielen hier. Und auf dem Platz gibt es keine Probleme, die es zwischen anderen Spielern nicht auch gäbe.”

Geduld ist gefragt

Der langjährige Amateurtrainer hat sich den neuen Herausforderungen angepasst. Die Mannschaftssitzungen begleitet er mit Laptop und Videoprojektor, im Training erklärt er vieles auf einer Taktiktafel und nach jeder Einheit lernen die Spieler ein neues Wort in der Gebärdensprache. Kapitän Peter Klapproth kann bislang allerdings nur „Guten Tag” sagen. Er fährt gemeinsam mit Tobias Berg zum Training, das Nötigste besprechen beide während der Fahrt gestenreich. „Irgendwie geht?s halt”, sagt er, auch in der Kabine. Zuletzt habe ihm Franquez zum ersten Mal nach dem Training mit einem Kölsch zugeprostet.

Wenn es mal etwas länger dauert, eine Übung zu erklären, ist eben etwas mehr Geduld gefragt. Am Ende sagt der Trainer, sei sein Team eine ganz normale Fußballmannschaft, mit ganz normalen Zielen. In der Rückrunde soll dem abstiegsbedrohten SV Bergfried der Klassenerhalt gelingen.

Dass die drei Neuzugänge, allen voran Tobias Berg, eine Verstärkung darstellen, zeigte die Vorbereitung. Berg lief in einem Test seinen Gegnern davon, umspielte den gegnerischen Torwart und erzielte sein erstes Tor für den neuen Verein. Er hat sich sehr gefreut, das konnte jeder verstehen. Auch wenn Tobias Berg nichts sagte.

Aufrufe: 018.3.2014, 14:52 Uhr
Kölner Stadt-Anzeiger / Sebastian FischerAutor