2024-04-23T06:39:20.694Z

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Aus dem Allerheiligsten: Mit DFB-Chefphysiotherapeut Klaus Eder am Pool des Hotel Ermitage in Evian. Foto: Gläser
Aus dem Allerheiligsten: Mit DFB-Chefphysiotherapeut Klaus Eder am Pool des Hotel Ermitage in Evian. Foto: Gläser

Gläser on Tour

MZ-Sportchef Heinz Gläser berichtet im NewsBlog aus Frankreich

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MZ-Sportchef Heinz Gläser, unser Mann bei der Fußball-EM, gibt seine Einschätzung zum 0:0 der deutschen Mannschaft gegen Polen und erzählt von seiner ganz persönlichen "Tour de France". Habt ihr Fragen an ihn? Her damit! Einfach in die Kommentare posten.
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Solche Männer werden heute gar nicht mehr gebaut!
Von wegen schrankenloses Europa! In Auxerre-Nord strandet der EM-Tross.


Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss. Das verheißt uns zumindest eine schon etwas angestaubte, aber zeitlos köstliche französische Filmkomödie. Und natürlich kann davon überhaupt keine Rede sein, wie jeder weiß, der auf diesem Fluss schon ein Stück Weg zurückgelegt hat. Mit dem Wort Turbulenzen ist nur unzureichend beschrieben, was uns am Donnerstag auf der Fahrt vom EM-Quartier Evian zum Spielort Saint-Denis widerfahren ist. An der Mautstelle Auxerre-Nord strandeten die Kollegen aus dem tiefen Westen der Bundesrepublik, weil der elektronische Eintreiber zwar ihr Autobahnticket fraß, aber sich ansonsten stur stellte und die Schranke in der Horizontalen beließ. Mit deftigen Flüchen bedachten die Kollegen das technische Totalversagen. Einige Verbalinjurien, das sei an dieser Stelle eingeräumt, waren durchaus geeignet, den Geist und die Errungenschaften der deutsch-französischen Verständigung zu lädieren. Flüche, allerdings in der Landessprache, ertönten auch aus der langen Schlange jener Eingeborenen, die sich mit ihren Pkw hinter den Kollegen einreihten.


In ihrer Not wandten sich die Kollegen sogar an die Beamten der nahe gelegenen Polizeistation. Die Einsatzkäfte waren jedoch sichtlich in ihre verdiente Mittagspause vertieft, und überhaupt beriefen sie sich auf die Prinzipien der weltweiten Bürokratie: „Sind wir nicht zuständig“, „Haben wir noch nie gemacht“ und „Wo komme wir denn da hin, wenn wir uns darum auch noch kümmern sollen?“
40 Minuten Zeit auf dem Weg nach Paris raubte uns das Schranken-Malheur. Robert, der routinierte Rheinländer, goss die leidvolle Erfahrung mit Blick auf den Fortgang der EM in diese schönen Worte: „Man wächst an seinen Aufgaben.“ Thomas wiederum erinnerte an die gusseiserne Weisheit, dass sich Deutschland im Laufe eines Turniers stets zu steigern vermag. Und warum zum Teufel sollte das nicht auch auf unsere Organisationskünste zutreffen?

Wilfried hat sich derweil eine Krankenhauspackung Joghurt zugelegt und will mit den Bechern umgehen wie ein Bundeswehrsoldat kurz vor dem Ausscheiden. EM-Tag für EM-Tag vertilgt er morgens einen, und wenn die Becher zur Neige gegangen sind, will er wieder zu Hause in Münster sein. Nun ist Wilfried zwar keine Krake, sondern ein gestandener westfälischer Hüne von der Sorte Mann, die heute gar nicht mehr gebaut wird, doch nehmen wir sein Joghurt-Orakel sehr ernst. Pünktlich zum Halbfinale versiegt die Joghurt-Quelle in Wilfrieds Kühlschrank, und dann ist wohl für uns EM-Schicht.

Kein Wort mehr übers Wetter! Versprochen! Vielleicht noch dieses eine zum Abschluss: Am späten Mittwochabend riss die Wolkendecke über dem Genfer See auf und gab den Blick frei auf Lausanne und die grandiose Schweizer Bergkulisse am anderen Ufer. Sofort reiften kühne Pläne. Das temporäre Alpenglühen stachelte unsere Fantasie an. Im Geiste sahen wir schon leckere Würstchen auf dem Grill brutzeln, sahen uns am bislang unberührten Pool Sonnenbäder nehmen, grämten uns gar, weil wir die passenden Cremes für die sensible Männerhaut zu Hause im Badezimmerschrank vergessen hatten.
Doch ist die vornehmste Eigenschaft des Wetters am Genfer See die Verlässlichkeit. Am Donnerstagmorgen schon brachte Dauerregen die Pfützen in der Residence Odalys wieder zum Übertreten. Doch ließen wir die gewohnte Tristesse umgehend hinter uns. Auf ging’s in die Stadt der Liebe. Paris lockte. Wer schert sich ob dieser bezaubernden Aussicht noch um Unannehmlichkeiten in Auxerre-Nord...
Als wir abends am Stade de France eintrafen, wurden gerade die Nationalhymnen geprobt. Draußen schüttete es aus Eimern. Aber kein Wort mehr übers Wetter! Versprochen!

Aufrufe: 018.6.2016, 19:00 Uhr
Heinz Gläser Autor