2024-04-16T09:15:35.043Z

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Wo liegt die Grenze zwischen cleverer Spielweise und unfairem Verhalten?F: Rinke
Wo liegt die Grenze zwischen cleverer Spielweise und unfairem Verhalten?F: Rinke

Geht der Fairplay-Gedanke verloren?

Weiterspielen trotz vermeintlicher Verletzung eines Gegenspielers +++ Beispiele Hoffenheim und Leverkusen +++ Zeitspiel im Amateurfußball +++ Eure Meinung ist gefragt

Ein Spieler bleibt am Boden liegen - doch die gegnerische Mannschaft spielt weiter und trifft zum Ausgleich in letzter Sekunde. So geschehen im Bundesligaspiel zwischen Hoffenheim und Köln. Im Duell zwischen Leverkusen und Wolfsburg wird ebenfalls weitergespielt, obwohl Abwehrchef Dante nach einem Zweikampf liegen bleibt und nicht mehr eingreifen kann. Bayer gelang das vorentscheidende zweite Tor, die TSG holte so immerhin einen Punkt. Auch im Amateurfußball kommt es immer wieder zu solchen Situationen. Darf man das eigene Glück vor dem Tor suchen, obwohl ein gegnerischer Spieler vielleicht nicht mehr in der Lage ist ins Spielgeschehen einzugreifen? Wie sollte sich der Schiedsrichter verhalten? Wir haben einen Blick ins Regelwerk geworfen und mit Trainern, sowie einem erfahrenen Schiedsrichter und aktiven Spieler gesprochen.

Im Bundesligaspiel zwischen der TSG Hoffenheim und dem 1. FC Köln am vergangenen Sonntag stand mal wieder der Fairplay-Gedanke im Mittelpunkt. Was war passiert? Lange führte Köln mit 1:0, ehe in der Nachspielzeit der Hoffenheimer Andrej Kramaric sich Richtung Kölner Tor aufmachte, auf der linken Außenbahn in den Strafraum zog und aufs lange Eck schoss. FC-Schlussmann Timo Horn wehrte den Schuss unzureichend ab, Kevin Volland nutzte den Abpraller und traf aus spitzem Winkel zum schmeichelhaften 1:1-Endstand. Zuvor war allerdings Kölns Lukas Klünter nach einem vermeintlichen Foul von Eduardo Vargas in der gegnerischen Hälfte angeschlagen am Boden liegen geblieben. Referee Deniz Aytekin ließ in der Spielsituation weiterspielen, denn weder ihm noch den Hoffenheimern schien die Verletzung schwer genug, um das Spielgeschehen zu unterbrechen.

Die einen empört - die anderen entspannt

Wie so oft waren im Anschluss der Partie die Meinungen geteilt. Ernsthaft verletzt hatte sich der liegengebliebene Bundesligaprofi nämlich nicht. Kölns Sportchef Jörg Schmadtke war trotzdem ob des vermeintlich unfairen Weiterspielens dermaßen außer sich, dass er sogar seinen Kaugummi in Richtung der gegnerischen Trainerbank feuerte und sichtlich erbost noch ein paar unschöne Worte hinterherschickte. Beim Pay-TV-Sender Sky sprach er anschließend davon, dass die Bundesliga an diesem Wochenende den Fairplay-Gedanken beerdigt hätte. Hoffenheims Coach Julian Nagelsmann "hätte vermutlich identisch reagiert, der Ärger von Köln ist völlig verständlich“, so der Jungtrainer nach dem Spiel in der Pressekonferenz.


Ein Gegenspieler liegt am Boden, der Angriff wird aber nicht abgebrochen. F: Vassili, Vigneron, Iman, Sabin

Regeln sind klar definiert

Einen Regelverstoß hatte es keinen gegeben, folgt man dem offiziellen Regelwerk steht dort eindeutig definiert: „Der Schiedsrichter hat die Partie zu unterbrechen, wenn er einen Spieler für ernsthaft verletzt hält.“ Falls der Referee überzeugt ist, dass ein Spieler nur leicht verletzt ist, oder gar simuliert um Zeit zu schinden, dann möge er die Partie laufen lassen, bis der Ball im Aus ist.

Simulanten ausblenden und weiterspielen

Genau so ist es auch richtig. Da sind sich etwa Steven Jones, Trainer von Regionalligist Wormatia Worms, und Norbert Hess einig. Der Coach des Oberligisten TSG Pfeddersheim stört sich längst an der Vielzahl derartiger Szenen, scheint doch offenkundig, dass da teils versucht wird, einen Konter des Gegners durch übertriebenes Wehklagen zu unterbinden, den Gegner vielleicht sogar aus dem Rhythmus zu bringen. Nach kurzer Behandlung geht es meist putzmunter weiter – und die eigenen Reihen sind sortiert.

Die Geschwindigkeit macht es nicht leichter

„Die Spieler machen es sich zu leicht, einfach mal den Arm zu heben“, so die Überzeugung von Hess. Gerade beim Blick auf die Partie in Sinsheim seien doch „acht Kölner hinter dem Ball“ gewesen, sagt der TSG-Coach, der deshalb unterstreicht: Die Szene wäre durch die Gäste sehr leicht zu bereinigen gewesen. Und einen Vorwurf mochte er den Hoffenheimern gleich gar nicht machen. In Zeiten des modernen „Umschaltspiels“ gehe ein Angriff eben sehr schnell, ein Angreifer könne oft gar nicht registrieren, wenn weit entfernt ein Spieler am Boden liegt. Und die Schwere einer Verletzung lasse sich ohnehin kaum beurteilen. Auch beim Wormatia-Coach hat sich der Eindruck verfestigt, dass da ein taktisches Mittel um sich greift, durch den ein Gegenangriff unterbunden werden soll. Und Norbert Hess sagt genau deshalb sogar: „Es hat nichts mit Fairplay zu tun, bei jeder Situation liegen zu bleiben und einfach mal ,Aua‘ zu rufen.“ Fakt ist: Wer einen Ball verdribbelt, der sollte ihn mit fußballerischen Mitteln zurückerobern.

Beste Schulung und gutes Gespür

Immer im Mittelpunkt: Die Schiedsrichter. Egal ob Bundesliga oder Kreisklasse, die Referees müssen in Bruchteilen von Sekunden während der laufenden Begegnung entscheiden, wie die Situation zu beurteilen ist. Keine leichte Aufgabe, meint auch der Kreisschiedsrichterobmann in Wiesbaden, Ingmar Schnurr: "Oft werden wir als Schiedsrichter beschuldigt, dass wir hätten abbrechen müssen. Aber wir werden darauf geschult zu beurteilen, ob eine Verletzung eine Behandlung benötigt. Falls nicht, läuft das Spiel eben weiter." So geschehen am Sonntag Abend in Hoffenheim. Für den seit 1990 aktiven Schiedsrichter kommt es aber im Amateurbereich selten zu solchen Situationen, "meistens wird auch schon früher abgepfiffen", bestätigt Schnurr.


Wird der Fairplay-Gedanke im Amateur-Bereich noch verinnerlicht? F: Vassili, Vigneron, Iman, Sabin

Zeitspiel ist gang und gäbe

Zu der Situation im Bundesligaspiel befindet der Referee: "Dass in solchen Situationen getrickst wird, ist ja völlig normal." In Sachen Zeitspiel beklagt Schnurr auch die im Amateurbereich in die Länge gezogenen Ein- und Auswechslungen in der Schlussphase: "Ist es fair, kurz vor Schluss bei eigener Führung mehrfach zu wechseln? Ich denke nicht. Aber es ist doch logisch, dass man in wichtigen Spielen alle Mittel zum Sieg ausschöpfen will." Den klassischen Fairplay-Gedanken aber zu begraben, so weit möchte Schnurr nicht gehen, eher im Gegenteil: "Wenn ich mir zum Beispiel die B- oder A-Liga anschaue muss ich sagen, dass der Fairplay-Gedanke im Amateurbereich durchaus vorhanden ist. Da ist alles im Grünen Bereich."

Schiri und Spieler Hand in Hand

Am Ende muss der Schiedsrichter als Spielleiter die Situation erkennen und bewerten. In den wenigsten Fällen handelt es sich bei am Boden liegenden Spielern, insbesondere gegen Spielende, tatsächlich um ernsthafte Verletzungen. Durch solche "Tricks" werden Konter unterbunden und wichtige Sekunden in engen Schlussphasen geschunden. "Ein zweischneidiges Schwert", findet auch Dennis Deider, Spieler sowie Co-Trainer der ersten Mannschaft und Jugendtrainer des TuS Nordenstadt. In manchen Situationen lobe man Spieler, die Zeit schinden oder einen zweifelhaften Elfmeter rausholen, so Deider. Dann heißt es, sie seien clever und abgezockt. In anderen Fällen werde wieder auf die Spieler eingehackt.

Wieder Vorbild sein

Doch anstatt direkt auf den Schiedsrichter loszugehen, sollten sich die Spieler - egal ob hochbezahlter Star oder leidenschaftlicher Amateur - öfter an die eigene Nase fassen und sich weniger vom Profigeschäft abschauen: "Profis sind Vorbilder. Für uns Amateurfußballer, aber vor allem auch für die Nachwuchskicker. Unnötige Aktionen, die nicht dem Fairplay-Gedanken entsprechen, färben natürlich ab. Dann denken sich die Kleinen, das ist schon ok so", sagt sagt Nordenstadts Spieler.


Wie ist Eure Meinung? Geht der Fairplay-Gedanke verloren oder gehört Zeitspiel und Theatralik zum Fußball dazu?

Aufrufe: 05.4.2016, 17:00 Uhr
RedaktionAutor