2024-05-10T08:19:16.237Z

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Vehement ins Topspiel: Julian Simon.	Foto: Archiv
Vehement ins Topspiel: Julian Simon. Foto: Archiv

Ganz anders als in Südafrika

+++ Watzenborns Julian Simon hat Besonderes erlebt +++

Watzenborn-Steinberg. Da saß er also nun im Frühjahr 2014 tausende Kilometer entfernt in Südafrika. Zweifelsohne eine tolle Chance für einen jungen Menschen, um neue Erfahrungen zu sammeln und den Horizont zu erweitern. Der Fußballer in Julian Simon aber litt während des halbjährigen Auslandsaufenthalts, zu dem er sich nach einem Innenbandriss entschieden hatte. ,,Ich war besorgt, dass wir eine Liga tiefer angreifen müssen, wenn ich zurückkomme", blieb dem 26-Jährigen nichts anderes übrig, als sich Woche für Woche über die Negativserie des SC Teutonia Watzenborn-Steinberg informieren und den Beinahe-Abstieg aus der Verbandsliga Mitte informieren zu lassen, der mit Ach und Krach abgewendet werden konnte. Dieser Tage wirken Gedanken daran so weit entfernt wie Pohlheim von Südafrika. Viel ist passiert inzwischen, die Teutonen mischen als bärenstarker Aufsteiger die Hessenliga auf und stehen als Tabellenzweiter vor hoch interessanten Spielen gegen Spitzenreiter Rotweiss Frankfurt und den Rangdritten Eintracht Stadtallendorf. Aus dem Nichts kommt dieser Erfolg nicht. Das ausgeweitete Engagement von Geschäftsführer Jörg Fischer und die Investitionen vor der Saison waren dazu angetan, Watzenborn eine gute Rolle zuzutrauen. ,,Wir spielen nicht überraschend oben mit", sagt Simon dazu, ,,wir hatten schon letztes Jahr eine Supermannschaft. Die Neuzugänge haben gefruchtet und die Mannschaft funktioniert einfach." Gleichwohl ist die Art und Weise, wie sich die Elf von Trainer Daniel Steuernagel ohne Anlaufschwierigkeiten etabliert hat, beeindruckend, zumal die Hessenliga nach einigen mageren Spielzeiten deutlich an Qualität und Attraktivität hinzugewonnen hat. Etliche Vereine rüsteten personell auf, mit Ambitionen auf die Regionalliga wurde nicht hinter dem Berg gehalten. Dazu Aufsteiger mit ordentlichem Budget oder reichlich Tradition, die für Belebung sorgen. Deshalb relativiert Simon, denn eine Selbstverständlichkeit ist Platz zwei dann doch nicht: ,,Dass wir so einen Lauf haben werden, habe ich auch nicht vorhergesehen."

Was aber kennzeichnet diesen Lauf? Eine Komponente ist gewiss, dass der SC gelernt hat, seine Strategie variabel zu gestalten. Der ,,überfallartige" Fußball, das frühe und laufintensive Pressing, ist längst nicht mehr die einzige Option. Es scheint, als habe man die richtigen Schlüsse aus dem 2:2 gegen Lehnerz Anfang August gezogen. Damals jagten die Teutonen die Lehnerzer von Anfang an und dominierten das Geschehen, ehe ihnen nach 60 Minuten die Luft auszugehen schien. Sicher toll anzuschauen, aber auf Dauer womöglich zu einseitig und aufwendig - das wird sich mancher Beobachter gedacht haben. ,,Gegen Lehnerz haben wir gemerkt, dass wir uns die Kraft einteilen müssen und nicht wie die ,Geisteskranken' anrennen dürfen. Jetzt gibt es Phasen, in denen wir nicht vorne anlaufen und uns Kraft für Nadelstiche holen", beschreibt Simon das Umdenken. Vor allem aber verfügt Steuernagel natürlich über hervorragendes Personal auf allen Positionen. Als Kopf der besten Defensive agiert Michael Bodnar mit glänzendem Stellungsspiel und einer Bärenruhe, neben ihm ist Viktor Talevski als zweiter Innenverteidiger zu einer nahezu fehlerlosen Größe geworden. Im Tor hat sich Yannik Dauth mit seiner Präsenz als mitspielender Keeper und in der Strafraumbeherrschung bewährt. Rechts und links verteidigen mit Simon und dem Tschechen Vaclav Koutny zwei spielstarke Akteure, die ihre Seiten dichthalten und überdies mit ihrem Drang nach vorne für viel Schwung verantwortlich zeichnen.

Strategiewechsel

Als Sechser ist Kapitän Kian Golafra für die richtige Balance zwischen Rückwärts- und Vorwärtsbewegung verantwortlich. ,,Da sind wir unglaublich besetzt", meint Julian Simon zum reichlichen Angebot an treffsicheren Offensivakteuren wie Raffael Szymanski, Denis Weinecker, Barbaros Koyuncu, Gino Parson oder Erdinc Solak. Und dann ist da noch der breite Kader, der Coach Steuernagel viele Alternativen gibt (Simon: ,,Wir können Spieler adäquat ersetzen, da ist kein Leistungsabfall zu erkennen"). Welche Klasse vorhanden ist, zeigte sich mit Nachdruck nochmals in den beiden jüngsten Partien in Seligenstadt (3:0) und gegen Fulda (2:0). Durchschnittliche Leistungen reichten aus, um dennoch verdientermaßen sechs Zähler einzufahren. Gegen Mitaufsteiger und Primus Frankfurt, den kaum einer auf der Rechnung hatte, wird gleichwohl eine Steigerung notwendig sein, wenn der nächste Dreier folgen soll.

Julian Simon weiß, dass es am Spielaufbau anzusetzen gilt: ,,In Seligenstadt haben wir quasi um ein Tor gebettelt. Wir müssen den Ball durch die eigenen Reihen laufen lassen und dürfen ihn nicht so schnell wieder hergeben. Das Positionsspiel muss besser, die Räume enger gemacht werden. Wenn wir das konsequent über 90 Minuten schaffen, muss erst mal ein Gegner kommen, der uns schlägt." Übermorgen hat das Warten auf das Gipfeltreffen (Samstag, 15 Uhr) ein Ende. ,,Jeder hat Bock drauf", berichtet Simon, der aus der Talentschmiede der TSG Wieseck stammt, aus dem Innenleben der Mannschaft. Die Frage, ob die Vorbereitung angesichts des Stellenwertes des Top-Spiels besonders verlaufe, verneint der 26-Jährige: ,,Es wird sehr konzentriert gearbeitet, aber das ist eigentlich schon in der gesamten Saison der Fall. Ich finde es auch wichtig, dass wir diesen Mix aus Lockerheit und positiver Angespanntheit beibehalten. Es wäre nicht gut, wenn wir uns da jetzt festfahren und verkrampfen." Der Kontakt zu Rotweiss Frankfurt ist bei Simon übrigens nicht auf die Zweikämpfe auf dem grünen Rasen beschränkt. Der Tabellenführer rüstet sich bei einem Sportartikel-Hersteller in Neu-Isenburg aus, für den der Watzenborner beruflich tätig ist. ,,Zweimal war Trainer Daniyel Cimen bei uns und hat mit meinem Chef gesprochen - auch über Fußball. Als ich dazu kam, hat er sofort aufgehört. Aber er ist ein lockerer, cooler Typ", berichtet Simon lachend. Überhaupt ist die Stimmung rund um das Sportgelände an der Neumühle momentan exquisit. Kein Vergleich mit dem Frühjahr 2014, als man sich sorgen musste um die Pohlheimer - sogar in Südafrika.



Aufrufe: 022.10.2015, 12:30 Uhr
Thomas Suer (Gießener Anzeiger)Autor