2024-04-25T14:35:39.956Z

Halle
Der frühere Erlanger Bezirksliga-Fußballer Peter Schulze-Zachau für Futsal Nürnberg (dunkle Trikots) gegen Wackersdorf (in rot) am Ball. Foto: privat
Der frühere Erlanger Bezirksliga-Fußballer Peter Schulze-Zachau für Futsal Nürnberg (dunkle Trikots) gegen Wackersdorf (in rot) am Ball. Foto: privat

Futsal ist auf dem Vormarsch - mit Verzögerung

Das erste Länderspiel steigt am Sonntag live im TV +++ Bayern hat Nachholbedarf

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Vereine aus ganz Mittelfranken machten in den vergangenen Wintern erstmals Bekanntschaft mit der Hallen-Varian­te Futsal. Für manche war es ein Kul­turschock wie der Kontakt mit Außer­irdischen. Am Sonntag nun wird das erste Länderspiel einer deut­schen Futsal-Nationalauswahl ausge­tragen. Peter Schulze-Zachau aus der NN-Onlineredaktion wechselte vor acht Jahren vom Fußball beim Bezirksligisten SpVgg Erlangen zum Futsal und brachte es zum Deut­schen Meister. Der 28-Jährige dreht den Scheinwerfer, in dem er über die Entwicklung der Futsal-Szene und seine persönlichen Erfahrungen schreibt.

Nils Klems, Timo Heinze, Stefan Winkel – kennen Sie nicht? Muss man auch nicht, jeden­falls noch nicht. Schon am Sonntag könnte sich das ändern, dann sieht man das genannte Trio (und noch eini­ge mehr) live im Fernsehen, und zwar im Nationaltrikot. Ab 15 Uhr über­trägt Sport1 das erste offizielle Fut­sal- Länderspiel, Deutschlands Geg­ner in der Hamburger Inselparkhalle ist England. Damit gelingt einer in der öffentlichen Wahrnehmung bis­lang eher unter dem Radar fliegen­den Sportart ein Schritt ins Rampen­licht.

Die ganze Szene fiebert dem Spiel entgegen, passt es doch perfekt in die momentanen Futsal-Festwochen: Seit vier Wochen gibt es mit Argentinien einen neuen Weltmeis­ter; und gerade 14 Tage ist es her, da haben die Hamburg Panthers, der amtierende Deutsche Meister, die Eli­terunde des Uefa Cups erreicht und sich unter den besten 16 Teams Euro­pas etabliert. Das zeigt nicht nur der internationalen Konkurrenz: Im deut­schen Futsal tut sich etwas.

Verglichen mit dem Norden, aber auch mit anderen Regionen Deutsch­lands, ist Franken, ja sogar Bayern, absolutes Futsal-Entwicklungsland. Erst seit 2015 gibt es die Regionalliga Süd, in der neben meinem Verein Fut­sal Nürnberg, organisiert unter dem Dach des Vorreiters FC Bayern Kickers, und dem TV Wackersdorf nun auch Aufsteiger Jahn Regens­burg, aktuell sogar Tabellenführer, den Freistaat vertritt. Die restlichen Teams kommen aus Hessen oder Baden-Württemberg. Zum Vergleich: Die Regionalliga West mit den Bran­chengrößen Köln, Münster und Schwerte geht heuer in ihre zehnte Saison. Nur ein Akteur aus dem deut­schen Aufgebot kommt aus Bayern.

Im Vergleich zu anderen Landes­verbänden sträubte sich der BFV lan­ge gegen eine Berücksichtigung des Futsal-Trends, und stülpte dann dem Hallenfußball im Freistaat und damit dem kompletten Amateurfuß­ball einschneidende Regeländerun­gen über. Der entscheidende Impuls war vom Weltverband Fifa und der Uefa ausgegangen, die seit Jahren beklagten, dass die Futsal-Evolution ihres größten Mitgliedsverbands hin­ter Nationen wie Kasachstan oder Andorra zurückblieb. Der DFB gab den Druck schließlich an die Landes­verbände weiter und der ihn wieder­um an seine Basis, die sich in erster Reaktion aus Prinzip querstellte, weil sie wieder einmal übergangen worden war. So hielt sich das Interes­se bei vielen Aktiven, die sich unter anderen Umständen aufgeschlosse­ner gezeigt hätten, von vornherein in Grenzen. Futsal war nach dem Start und ist nach den Meldezahlen bei Kreismeisterschaften vielerorts nur eine Fassade.

"Viele unterschätzen ihre Fähigkeiten am Ball"

Dabei bietet die in Südamerika ent­standene Hallen-Variante ihre Reize. Der sprungreduzierte Ball ist leichter zu kontrollieren als die bekannte gel­be Filzkugel, mit der bis vor Kurzem unter dem Dach gekickt wurde. Viele unterschätzen wohl ihre Fertigkei­ten. Ohne die Bande fällt zudem ein Großteil der unnötigen Zweikämpfe weg, die Verletzungsgefahr sinkt. Es gibt zwangsläufig weniger Fouls, weil jedes Einzel-Vergehen für die Mannschaftsstatistik gezählt wird und am Ende spielentscheidend sein kann. Das schönste ist aus meiner Sicht die starke spielerische Kompo­nente, denn der Torwart darf im Auf­bau nicht nach hinten angespielt wer­den. Dafür kann der Keeper das Spiel mit weiten Abwürfen über die Mittel­linie beschleunigen.

Natürlich gibt es auch Gegenargu­mente, wie die den vielen Spielunter­brechungen geschuldete schlechte Planbarkeit von Turnieren, oder der erhöhte Personalaufwand für zwei Schiedsrichter plus einen Zeitneh­mer. Das sind aber organisatorische Hürden, die man umschiffen kann. Der Sport an sich, also der Fußball, gewinnt durch Futsal. 80 Prozent der deutschen Futsal-Nationalspieler spielen parallel im Amateurbereich Fußball – das geht. Beide Disziplinen profitieren gegenseitig voneinander, sie kannibalisieren sich entgegen landläufiger Meinungen nicht. Vor allem im Nachwuchsbereich, wo Trai­ner ohnehin viel Wert auf eine umfas­sende technische und taktische Aus­bildung legen sollten, sind Futsal-Einheiten eine wertvolle Ergänzung. Die Universität Frankfurt hat das sogar in einer wissenschaftlichen Stu­die belegt.

Überhaupt spielen Universitäten eine wichtige Rolle in der Szene, viele Spieler kommen hier erstmals mit Futsal in Kontakt. Und während der DFB lange schlief, gibt es schon seit Jahren studentische Auswahlmann­schaften, die an Hochschul-Europa­und sogar Weltmeisterschaften teil­nehmen. So habe ich mich in Köln infiziert. Als Fußballer hatte ich mich immer gefreut, wenn es im Win­ter in die Halle ging. Der Weg zum Tor war kürzer und auf engem Raum waren Ideen für Überraschungsmo­mente und Gedankenschnelligkeit gefragt. Selbst Liebhaber von Fern­schüssen und Zweikämpfen kommen in hohem Maß auf ihre Kosten.

Wer den traditionellen Hallenfuß­ball mit Bande liebt, und dafür gibt es gute Gründe, darf und soll zum Bei­spiel auf Privatturnieren so weiter­spielen. Der Futsal wird sich parallel dazu aber weiterentwickeln, mit all seinen Vor- und Nachteilen. Gerade höherklassig aktive Spieler sollten aber eher die Chancen sehen: Ihr Hob­by hat sich im technischen und takti­schen Bereich ohnehin professionali­siert. Beim Futsal bekämen sie die Möglichkeit, ihr Können über eine Sichtung zu präsentieren und schnell aufzusteigen. Die Bayern-Auswahl tritt einmal im Jahr zum Länder-Tur­nier an — unter den Augen des Bun­destrainers Paul Schomann. Wer sich hervortut, darf von einer Berufung zu einem Länderspiel träumen, das vielleicht sogar im Fernsehen gezeigt wird.

Aufrufe: 027.10.2016, 10:08 Uhr
Peter Schulze-ZachauAutor