Nils Klems, Timo Heinze, Stefan Winkel – kennen Sie nicht? Muss man auch nicht, jedenfalls noch nicht. Schon am Sonntag könnte sich das ändern, dann sieht man das genannte Trio (und noch einige mehr) live im Fernsehen, und zwar im Nationaltrikot. Ab 15 Uhr überträgt Sport1 das erste offizielle Futsal- Länderspiel, Deutschlands Gegner in der Hamburger Inselparkhalle ist England. Damit gelingt einer in der öffentlichen Wahrnehmung bislang eher unter dem Radar fliegenden Sportart ein Schritt ins Rampenlicht.
Die ganze Szene fiebert dem Spiel entgegen, passt es doch perfekt in die momentanen Futsal-Festwochen: Seit vier Wochen gibt es mit Argentinien einen neuen Weltmeister; und gerade 14 Tage ist es her, da haben die Hamburg Panthers, der amtierende Deutsche Meister, die Eliterunde des Uefa Cups erreicht und sich unter den besten 16 Teams Europas etabliert. Das zeigt nicht nur der internationalen Konkurrenz: Im deutschen Futsal tut sich etwas.
Verglichen mit dem Norden, aber auch mit anderen Regionen Deutschlands, ist Franken, ja sogar Bayern, absolutes Futsal-Entwicklungsland. Erst seit 2015 gibt es die Regionalliga Süd, in der neben meinem Verein Futsal Nürnberg, organisiert unter dem Dach des Vorreiters FC Bayern Kickers, und dem TV Wackersdorf nun auch Aufsteiger Jahn Regensburg, aktuell sogar Tabellenführer, den Freistaat vertritt. Die restlichen Teams kommen aus Hessen oder Baden-Württemberg. Zum Vergleich: Die Regionalliga West mit den Branchengrößen Köln, Münster und Schwerte geht heuer in ihre zehnte Saison. Nur ein Akteur aus dem deutschen Aufgebot kommt aus Bayern.
Im Vergleich zu anderen Landesverbänden sträubte sich der BFV lange gegen eine Berücksichtigung des Futsal-Trends, und stülpte dann dem Hallenfußball im Freistaat und damit dem kompletten Amateurfußball einschneidende Regeländerungen über. Der entscheidende Impuls war vom Weltverband Fifa und der Uefa ausgegangen, die seit Jahren beklagten, dass die Futsal-Evolution ihres größten Mitgliedsverbands hinter Nationen wie Kasachstan oder Andorra zurückblieb. Der DFB gab den Druck schließlich an die Landesverbände weiter und der ihn wiederum an seine Basis, die sich in erster Reaktion aus Prinzip querstellte, weil sie wieder einmal übergangen worden war. So hielt sich das Interesse bei vielen Aktiven, die sich unter anderen Umständen aufgeschlossener gezeigt hätten, von vornherein in Grenzen. Futsal war nach dem Start und ist nach den Meldezahlen bei Kreismeisterschaften vielerorts nur eine Fassade.
Dabei bietet die in Südamerika entstandene Hallen-Variante ihre Reize. Der sprungreduzierte Ball ist leichter zu kontrollieren als die bekannte gelbe Filzkugel, mit der bis vor Kurzem unter dem Dach gekickt wurde. Viele unterschätzen wohl ihre Fertigkeiten. Ohne die Bande fällt zudem ein Großteil der unnötigen Zweikämpfe weg, die Verletzungsgefahr sinkt. Es gibt zwangsläufig weniger Fouls, weil jedes Einzel-Vergehen für die Mannschaftsstatistik gezählt wird und am Ende spielentscheidend sein kann. Das schönste ist aus meiner Sicht die starke spielerische Komponente, denn der Torwart darf im Aufbau nicht nach hinten angespielt werden. Dafür kann der Keeper das Spiel mit weiten Abwürfen über die Mittellinie beschleunigen.
Natürlich gibt es auch Gegenargumente, wie die den vielen Spielunterbrechungen geschuldete schlechte Planbarkeit von Turnieren, oder der erhöhte Personalaufwand für zwei Schiedsrichter plus einen Zeitnehmer. Das sind aber organisatorische Hürden, die man umschiffen kann. Der Sport an sich, also der Fußball, gewinnt durch Futsal. 80 Prozent der deutschen Futsal-Nationalspieler spielen parallel im Amateurbereich Fußball – das geht. Beide Disziplinen profitieren gegenseitig voneinander, sie kannibalisieren sich entgegen landläufiger Meinungen nicht. Vor allem im Nachwuchsbereich, wo Trainer ohnehin viel Wert auf eine umfassende technische und taktische Ausbildung legen sollten, sind Futsal-Einheiten eine wertvolle Ergänzung. Die Universität Frankfurt hat das sogar in einer wissenschaftlichen Studie belegt.
Überhaupt spielen Universitäten eine wichtige Rolle in der Szene, viele Spieler kommen hier erstmals mit Futsal in Kontakt. Und während der DFB lange schlief, gibt es schon seit Jahren studentische Auswahlmannschaften, die an Hochschul-Europaund sogar Weltmeisterschaften teilnehmen. So habe ich mich in Köln infiziert. Als Fußballer hatte ich mich immer gefreut, wenn es im Winter in die Halle ging. Der Weg zum Tor war kürzer und auf engem Raum waren Ideen für Überraschungsmomente und Gedankenschnelligkeit gefragt. Selbst Liebhaber von Fernschüssen und Zweikämpfen kommen in hohem Maß auf ihre Kosten.
Wer den traditionellen Hallenfußball mit Bande liebt, und dafür gibt es gute Gründe, darf und soll zum Beispiel auf Privatturnieren so weiterspielen. Der Futsal wird sich parallel dazu aber weiterentwickeln, mit all seinen Vor- und Nachteilen. Gerade höherklassig aktive Spieler sollten aber eher die Chancen sehen: Ihr Hobby hat sich im technischen und taktischen Bereich ohnehin professionalisiert. Beim Futsal bekämen sie die Möglichkeit, ihr Können über eine Sichtung zu präsentieren und schnell aufzusteigen. Die Bayern-Auswahl tritt einmal im Jahr zum Länder-Turnier an — unter den Augen des Bundestrainers Paul Schomann. Wer sich hervortut, darf von einer Berufung zu einem Länderspiel träumen, das vielleicht sogar im Fernsehen gezeigt wird.