2024-04-25T14:35:39.956Z

Interview der Woche
Fußballfans und Musiker: Die Trink- und Sing-Gemeinschaft aus Bernau sieht doch eigentlich aus, wie ein Haufen ganz normaler Leute, oder? Willi (rechts) macht jedenfalls den Eindruck. Fotos: Band
Fußballfans und Musiker: Die Trink- und Sing-Gemeinschaft aus Bernau sieht doch eigentlich aus, wie ein Haufen ganz normaler Leute, oder? Willi (rechts) macht jedenfalls den Eindruck. Fotos: Band

"Fußball ist wie Skat, nur Wenige können es richtig"

Die Trink- und Sing-Gemeinschaft aus Bernau hat ihre Akkorde dem Amateurfußball verschrieben. Die Namensnähe zur TSG Einheit kommt nicht von ungefähr, wie Sänger Willi im FuPa-Brandenburg-Interview verrät

Der Bomber, der nicht mehr trifft. Fans, die nicht mehr zum Verein vor der eigenen Haustür gehen. Alltag im Amateurfußball. Die Trink- und Sing-Gemeinschaft aus Bernau hat ihn in zehn kleine Hits gegossen. Über ihre Lieder, sein persönliches Unvermögen und natürlich darüber, was Fußball und Musik gemein haben, redet Sänger Willi im Interview.

Ein Trainingsturnier im Sommer. Willi Köhn, hochgewachsen, steht auf dem Rasen. Sein Bewegungsradius ist eingeschränkt. Sein Wortschatz nicht. Ratschläge an die eigene – vor allem aber an die anderen Mannschaften, die gegen seine Freizeittruppe Ataxie Bernau antreten – hat er zuhauf. Als Schiedsrichter fällt er später die ein oder andere diskussionswürdige Entscheidung. Wie das eben so ist, bei Freizeitturnieren, mit einem breiten Grinsen. Jeder kennt jeden. Willi Köhn hat Spaß.

Das Turnier findet unweit seiner Heimatstadt Bernau statt. Und nicht nur hier ist der Musiker kein Unbekannter. Die Ska-Punk-Band "Oxo 86", in der er singt, ist zu einer echten Größe in der Szene herangewachsen. Deutschlandweite Konzerte, regelmäßige Plattenveröffentlichungen, zahlreiche Fans. Lehrer und Familienvater ist Willi auch noch und weil das alles noch nicht reicht, tritt er regelmäßig gegen den Ball und hat nun zusätzlich mit einigen Freunden noch eine Fußball-Band gegründet: die „Trink- und Sing-Gemeinschaft“.



Im Sommer erschien das Debütalbum und es gab die erste Interview-Anfrage. Nun ist Herbst. Und fast vier Monate später kommt das Gespräch dann doch noch zustande.

Willi, Du bist Lehrer, mehr oder weniger aktiver Fußballer, Familienvater und hast gleich zwei Bands: Oxo 86 und die neu gegründete Trink-und-Sing-Gemeinschaft. Dauert dein Tag länger als 24 Stunden?

Zum Glück nicht. Es ist alles eine Frage der Organisation, der Toleranz und der Nachsicht aller Beteiligten. Die TSG war auch mehr als Kumpelding gedacht, dass wir statt in die Kneipe in den Proberaum gehen und "Hausmusik" machen. Mit Texten, die unserer gemeinsamen Erlebniswelt, dem Fußball der unteren Ligen, entspringen. Die ganze Sache ist dann etwas aus dem Ruder gelaufen, so dass wir jetzt versuchen, den Erwartungen gerecht zu werden, die wir mit unserem Debüt geweckt haben.

Du spielst selbst bei der Ü35 bei Einheit Bernau. Was ist wichtiger? Trainings-, Trink- oder Band-Einheit?

Aus jetziger Sicht und als verkanntes ADHS-Kind würde ich für Bewegung, also Training, plädieren. Obwohl ohne Musik und Bier ist auch nicht schön. Ich denke, das ist mal wieder ein klassischer Fall von „die richtige Mischung macht's“.

Als Sozialpädagoge hast Du auf dem Platz und daneben sicher eine bestimmte Rolle: Motivator, Tränentröster oder der Typ, der nur raucht und Kaffee trinkt?

Ist die Frage ernst gemeint?

Sicher. Also?

Keine Ahnung, aber ich finde es wirklich toll, dass wir das jetzt mal thematisiert haben!


Dann machen wir doch gleich mal weiter: Nachsetzen sozusagen. Du bist während des Spiels eher in der Abwehr oder im Mittelfeld anzutreffen. Geht’s dir da so wie dem Bomber, der nicht mehr trifft und dem ihr ein Lied gewidmet habt. Ist es die Angst, vor dem Tor zu versagen?

Typen mit fußballerischem Mittelmaß wie ich, werden in Abhängigkeit von der Struktur des Kaders überall eingesetzt. Deshalb habe ich keine Angst vor dem Tor zu versagen, sondern schon davor, den Ball überhaupt anzunehmen.

Wo bitte kommt denn diese Angst her?

Na ja. Sehr oft schießen meine Mitspieler den Ball so unglücklich auf mich, dass er gleich zum Gegner abprallt oder schlimmer noch: ins eigene Tor rollt.




Stehst Du deshalb bei Einheit auch eher hinter der Bande? Und hast Zeit für Beobachtungen, die dann in Songs wie „Wo willst Du hin?“ münden? Darin beklagt Ihr die fehlende Bereitschaft vieler Leute, noch kleine Vereine zu unterstützen? Allerdings bist Du selbst auch nicht bei jedem Heimspiel. Bist Du selber also nicht besser?

Nein, nicht gut genug! Außerdem beklage ich nicht, sondern hinterfrage. Deshalb ja auch die Formulierung des Songtitels als Frage. Im Ernst, dieser Song ist wie ein Verkehrsschild. Wenn du also willst, dass 50 gefahren wird, musst du ein 30-Schild aufstellen.

Jetzt kommt der Lehrerteil, oder?

Ich will niemandem die Vergötterung von irgendwelchen Erstligisten absprechen oder vermiesen, bin aber der Meinung, dass es auch vor der eigenen Tür Fußball gibt, der sehenswert ist. Wie zum Beispiel unser Stadt-Derby am vergangenen Freitag, bei dem sich die TSG Einheit Bernau leider mit einem 1:0 in den Rehbergen geschlagen geben musste. Trotzdem war es ein wirklich gutes Spiel gewesen.

Vor immerhin über 500 Zuschauern.

Ja, wenn ich das so sagen darf, scheint uns als Bernauern fußballtechnisch die Sonne aus dem Arsch. An solchen Tagen frage ich eben: "Mensch, was willst du denn in Berlin?!".

Schaust Du dir Erstliga-Fußball an?

Manchmal, aber ich komme mit den Spielern durcheinander. Immer, wenn ich sie endlich einem Verein zuordnen kann, spielen sie schon wieder woanders.

Gibt es jemanden in der Band, der einen Verein jenseits der Brandenburgliga – also oberhalb – unterstützt?

Die meisten Jungs in unserem Umkreis fühlen sich mehr oder weniger der 1949 gegründeten TSG Einheit Bernau und natürlich dem Fußballkollektiv von Ataxie Bernau United verbunden. Abgesehen von gelegentlichen Stippvisiten bei höherklassigen Vereinen, ist mir nichts bekannt.

Und wer ist der FSV-Maulwurf in der Band?

Ach schön, das ist investigativer Journalismus, hier wird sich nicht mit Halbwahrheiten und glatten, gesellschaftlichen anerkannten Statements zufrieden gegeben. Trotz alledem, und das soll jetzt nicht das sonst übliche "Kein Kommentar " bedeuten, ich habe diesbezüglich kein Redebedarf und ein Maulwurf gibt's auch nicht, dafür sind wir zu gewöhnlich.

„Fußball ist Freiheit“ heißt es in dem Song „Das ist Fußball“. Geht das Spiel für dich weiter als nur die gelaufenen Kilometer auf dem Rasen und die 90 Minuten, nach denen der Schiri abpfeift?

Auf jeden Fall. Fußball ist wie Skat, nur Wenige können es richtig, aber Viele spielen es. Bei drei Minuten Nachspielzeit wird gerne noch drei Wochen drüber geredet. Man sieht also, der Fußball hat auch ein hohen Stellenwert in unseren Köpfen, am Tresen und wie in unserem Falle: in der Musik.



Willi bei der Arbeit: an der Gitarre im Proberaum


Dein musikalischer Hintergrund besteht aus Punk und Ska. Siehst Du Parallelen zwischen Deinem Fußballspiel und der Musik, die Ihr macht, auch wenn da noch eine gehörige Portion Folk hinzukommt?

Ja und zwar, dass sich hier im Gegensatz zum Mainstream die Akteure und Zuschauer noch ziemlich nahe sind. Das gibt unserer Musik als auch der Art Fußball, die wir spielen und ich zumindest befürworte, ein Mindestmaß an Ehrlichkeit, Charme, Dynamik und macht sie lebenswert.

Gleichzeitig ist die Musik, die Ihr spielt, und das soll jetzt nicht despektierlich klingen, relativ einfach gehalten. Schnell, geradeaus, dennoch melodiös und nicht zu verspielt. Auf dem Rasen vielleicht vergleichbar mit Kick and rush. Ist das der Typ Fußball, den Du bevorzugst? Hoch, weit, schnell?

Nun, ich habe die Phantasie auch hier Parallelen zu finden und auszuschmücken, muss aber eingestehen, dass das bei uns nichts miteinander zu tun hat. Zumindest nicht absichtlich. Wir wollten eben Musik machen, die man in der Kneipe, notfalls auch unverstärkt, spielen kann. Um aber abschließend Deine Frage zu beantworten: "Kick and rush" hört sich nach viel laufen an, in unserem Alter heißt es aber kurz, flach und mit Innenseite. Also auf Neudeutsch: Kick and rush, no way!"


Am Sonntag, den 25. Oktober 2015, ist die "Trink- und Sing-Gemeinschaft" live in der Babelsberger Fankneipe "Nowawes", Großbeerenstraße 5, Potsdam-Babelsberg zu Gast. Anpfiff ist nach dem Abpfiff des Regionalliga-Spiels des SV Babelsberg 03 gegen Auerbach: gegen 18.30 Uhr.


Hier findet Ihr die Jungs auf Facebook. Die LP bzw. CD ist hier bestellbar.

Aufrufe: 022.10.2015, 13:20 Uhr
Marc SchützAutor