2024-04-25T14:35:39.956Z

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Gute Technik und viel Ehrgeiz: Ahmad Sulaiman (li.) würde gerne mal für Holstein Kiel spielen.
Gute Technik und viel Ehrgeiz: Ahmad Sulaiman (li.) würde gerne mal für Holstein Kiel spielen.

Fußball: Integration und Ausbruch aus dem Alltag

Jeden Sonntag treffen sich bis zu 15 Flüchtlinge aus Nortorf zum gemeinsamen Fußballspielen

Sie kommen aus dem Kosovo, Somalia, Eritrea oder Syrien - rund 15 Flüchtlinge treffen sich jeden Sonntag zum gemeinsamen Fußballspielen am Nortorfer Stadion. Der Fußball ist für sie dabei mehr als nur Sport, er ist auch ein Weg hinein in die Gesellschaft.
Gekonnt legt er den Ball am ersten Gegenspieler vorbei, dann am zweiten. Am dritten bleibt Ahmad Sulaiman hängen - ein unglücklicher Zusammenprall. Er humpelt zur Seitenlinie. „Nicht schlimm, geht gleich wieder“, sagt er auf Englisch. Der 23-Jährige ist einer von 15 Flüchtlingen, die sich jeden Sonntag auf dem kleinen Fußballplatz hinter dem Nortorfer Stadion zwischen Heinkenborsteler Weg und Galgenbergsweg zum Kicken treffen. Die jungen Männer sind zwischen 16 und 30 Jahre alt, kommen unter anderem aus Eritrea, Somalia, Syrien und dem Kosovo. Und so verschieden sie sind, so unterschiedlich ihre Geschichten, mindestens zwei Dinge haben sie gemeinsam: Alle mussten sie ihr altes Leben sowie Familie und Freunde in ihrer Heimat zurücklassen – und dann ist da noch die gemeinsame Begeisterung für Fußball.



Könnten eine eigene Mannschaft aufmachen: Insgesamt 15 Flüchtlinge treffen sich bisher jeden Sonntag zum gemeinsamen Fußballspielen am Nortorfer Stadion. Fotos: Ruhnke


Ins Leben gerufen hat den Fußballtreff Karl-Heinz Sawierucha. Eigentlich ist der 67-Jährige seit sieben Jahren in Rente. Im September aber hatte sein ehemaliger Arbeitgeber – das Amt für Soziales beim Amt Nortorfer Land – wieder bei ihm angeklopft. 45 Stunden im Monat kümmert er sich seither um die Betreuung der Asylbewerber in Nortorf. Insgesamt seien das derzeit rund 100 Menschen. Sawierucha ist Bindeglied zwischen ihnen und den Ämtern, hilft bei Behördengängen oder sonstigen Problemen des Alltags – und tritt zudem jeden Sonntag mit gegen den Ball.

„Die Jungs kamen im Januar auf mich zu, sagten, sie möchten Fußball spielen“, so der Bordesholmer. Schnell war klar, dass es dafür einen Betreuer braucht. Genauso schnell stand fest, dass Sawierucha den Job übernimmt. „Ich habe 30 Jahre lang Fußball gespielt, bis zu einem Kreuzbandriss in den 80ern. Für mich ist es zusätzliche Bewegung, für die jüngen Männer bedeutet Fußball zugleich Integration und Ausbruch aus dem Alltag.“ Zumeist dürften diese noch nicht arbeiten und seien so „zum Stillstand verdammt“, sagt der 67-Jährige. „Einige können hier aber richtig was am Ball.“


Karl-Heinz Sawierucha und Dolmetscher Nadir Zahir (li.) stehen den Nortorfer Asylbewerbern mit Rat und Tat zur Seite.

So wie Ahmad. Er kommt aus Syrien. Auch dort spielte er im Verein Fußball, studierte Anästhesie. Vor rund vier Monaten verließ er seine vom Bürgerkrieg zerrüttete Heimat und kam nach Nortorf. Es gefalle ihm hier, sagt er, gerne würde er bleiben, sein Studium fortsetzen und weiter Fußball spielen. „In einer hohen Liga in Schleswig-Holstein, Holstein Kiel wäre klasse“, sagt der 23-Jährige und lacht. Vorerst wird der TSV Gnutz von seinem Talent profitieren. Ahmad ist einer von vieren aus der Gruppe, die seit kurzem zusätzlich in dem Nachbardorf mittrainieren. „Ich kann so Freunde finden und tue was für meine Gesundheit“, sagt der Syrer.

Auch Nadir Zahir ist mehrmals in der Woche in Sachen Fußball unterwegs. Er trainiert bei der Zweiten des TuS Nortorf mit. Der 24-Jährige kommt aus der Kunduz-Provinz. Er hat eine besondere Geschichte: „In Afghanistan habe ich fünf Jahre für die Bundeswehr als Dolmetscher gearbeitet“, erzählt Nadir. Deshalb sei er von den Taliban bedroht worden, fürchtete um sein Leben. Bei seiner Familie konnte er nicht leben – zum Schutz seiner Eltern und seiner acht Geschwister. „Die Bundeswehr hat mir ein Visum gegeben. Am 20. August wurde ich dann nach Hamburg geflogen“, erzählt er. Jetzt arbeitet das Sprachtalent in Nortorf als Dolmetscher weiter, hilft Sawierucha bei der Betreuung der Asylbewerber. „Ich bin zufrieden, weil ich hier sicher bin und sehr dankbar, dass mir geholfen wurde“, so der 24-Jährige.


Die Hilfsbereitschaft der Nortorfer hat sich auch an anderer Stelle gezeigt: „Wir hatten ja anfangs keine Sportausrüstung“, erinnert sich Sawierucha. Nach einem Aufruf in der Zeitung gingen neun Paar neue Fußballschuhe bei ihm ein, der TuS stattete die Sportler zudem mit T-Shirts aus. „Dazu kamen Spenden im Wert von insgesamt rund 800 Euro“, freut sich der 67-Jährige. Davon habe er nun etwa Trainingsanzüge und Turnhosen bestellt. „Es ist den Jungs sehr wichtig, sich ganz herzlich bei der Bevölkerung zu bedanken.“

Am anderen Ende des kleinen Feldes setzt ein junger Mann aus Somalia gerade zum Einwurf an – etwas eigenwillig, einhändig und mit viel Schwung von hinten. „Du spielst wie ein Weltmeister“, ruft Sawierucha ihm zu. „Aber Einwerfen kannst du nicht.“ Während des Spiels tönt ein Sprachen-Mix über den Rasen. Arabisch, Englisch und Deutsch sind am häufigsten zu hören. „Man muss sich wundern, aber das klappt mit der Kommunikation auf dem Platz“, so der spielende Betreuer. Alle Flüchtlinge besuchen mehrmals in der Woche einen Deutschkurs – einige im Nortorfer Markushaus oder an der Volkshochschule, andere in Rendsburg oder Neumünster.

Mit etwas Verspätung trudelt an diesem sonnigen Tag auch Bilal ein – auch er ist Syrer und zusammen mit seinem Bruder geflohen. „Das ist die Frau von der Presse“, erklärt ihm Sawierucha. Bilal lächelt freundlich, gibt die Hand zur Begrüßung und sagt eines der Worte, die er bereits aus dem Deutschunterricht kennt: „Willkommen!“
Aufrufe: 08.4.2015, 16:00 Uhr
FuPa, druAutor