2024-05-29T12:18:09.228Z

Allgemeines
Felix Dreher aus Winden war am vergangenen Freitag im Stade de la France  in St. Denis beim Länderspiel zwischen Deutschland und Frankreich, das von mehreren Terroranschlägen überschattet wurde. | Foto: Privat
Felix Dreher aus Winden war am vergangenen Freitag im Stade de la France in St. Denis beim Länderspiel zwischen Deutschland und Frankreich, das von mehreren Terroranschlägen überschattet wurde. | Foto: Privat

Felix Dreher: "Bilder, die ich nicht mehr vergessen werde"

BZ-Interview mit Felix Dreher aus Winden +++ Der Auszubildende und FFC-Spieler war während der Anschläge im Stadion in Paris, er macht gerade ein Praktikum dort

Die Welt ist geschockt von den Terroranschlägen in Paris am vorigen Freitag. Radikale Islamisten verursachten an sieben verschiedenen Orten in der Metropole ein Blutbad. Ein Anschlagsziel war ursprünglich auch das Stade de France, wo das Fußball-Länderspiel zwischen Deutschland und Frankreich lief. Weil die Attentäter nicht ins Stadion hineinkamen, sprengten sie sich in unmittelbarer Nähe in die Luft. Im Stadion selbst war auch ein Elztäler: Felix Dreher aus Niederwinden absolviert derzeit ein Praktikum in Paris. Über die Terrornacht und die Tage danach unterhielt sich BZ-Mitarbeiter Joel Perin mit ihm.
BZ: Herr Dreher, Wie geht es Ihnen?
Dreher: Nachdem seit den Anschlägen mittlerweile einige Tage und Nächte vergangen sind und ich mit Familie und Freunden Kontakt hatte, geht es mir gut. Für mich sind jetzt erst mal Schockzustand und Angstgefühl weg. Man muss aber auch sagen, dass ich ja körperlich unverletzt bin. Wie man psychisch mit so einem Erlebnis umgeht, das versuche ich gerade noch herauszufinden.

BZ: Sie machen derzeit ein Praktikum in Paris und waren am Freitag beim Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und Frankreich im Stadion. Wie und wann haben Sie von den schrecklichen Vorfällen um Sie herum erfahren?
Dreher: Wir kauften uns die Karten einen Tag davor im Ticketcenter und haben uns alle sehr auf das Spiel gefreut. Vor und während des Spiels war das für mich ein echtes Fußballfest – ein kleiner Kindheitstraum, der in Erfüllung ging!

Die Nachrichten und Ereignisse haben sich dann innerhalb kürzester Zeit überschlagen. Wir hatten morgens von der Bombendrohung im Hotel der deutschen Elf gehört, waren aber da noch nicht sonderlich beunruhigt. Bombendrohungen kennen wir ja auch aus Freiburg, die sich aber dann doch meistens als Fehlalarm erweisen. Dann hörten wir drei aufeinanderfolgende Knalle, während das Spiel lief; natürlich hat man im Unterbewusstsein das sofort mit Bombenexplosionen in Verbindung gebracht. Ich wusste auch gleich, dass das keine Feuerwerkskörper gewesen sein konnten. Noch vor Spielende kamen dann SMS aus Deutschland, zunächst war aber nur die Rede von Anschlägen im 10. und 11. Arrondissement. Ich wollte vor allem auf die Mädchen, die bei uns waren, beschwichtigend einwirken, bin nach dem Abpfiff auch eigentlich nicht mit einem unsicheren Gefühl aus dem Stadion gegangen. Ich glaube, so im Nachhinein will man ja auch nicht wahrhaben, dass die lauten Knalle nur unmittelbar aus der Nähe des Stadions kamen.

BZ: Während des Spiels bekamen Sie nicht sehr viel von den Anschlägen mit?
Dreher: Während das Spiel lief, habe ich auch das Geschehen auf dem Platz verfolgt. Man hat immer wieder Leute gesehen, die aufgestanden sind und von der obersten Reihe aus dem Stadion geschaut haben; vor allem auch nach den lauten Knallen. Ich habe aber auch erst am Tag danach erfahren, dass das Stadion zu diesem Zeitpunkt dann komplett verriegelt war und auch keiner mehr raus kam.

BZ: Was haben Sie nach Spielende getan? Kamen Sie gleich aus dem Stadion raus?
Dreher: Ja, es wurde auch versucht, den ganzen Ablauf so normal wie möglich zu gestalten, um eine Massenpanik zu verhindern. Wir gingen nach Spielende gleich in Richtung Ausgang, natürlich mit dem Hintergedanken, so schnell wie möglich sicher wieder im Hostel anzukommen. Zu diesem Zeitpunkt war es auch so, dass eine Mitschülerin nicht mit im Stadion war und wir nicht wussten, wie es ihr ging. Gott sei Dank gut, wie wir im Nachhinein feststellen konnten.

BZ: Im Fernsehen wurde den Zuschauern erst allmählich bewusst, was in Paris passiert sein muss. Wie war das bei Ihnen?
Dreher: Man erlebt das in dem Moment nicht bewusst, vielmehr ist man wie gelähmt. Es war ja so, dass wir mittendrin im Geschehen waren. An mehreren Ausgängen des Stadions kam es zu Massenpaniken. Plötzlich fingen Leute an, wild umherzurennen, Menschen mit Rucksäcken wurden auf den Boden gedrückt, Kinder liefen schreiend durch die Gegend und suchten verzweifelt nach ihren Müttern und Vätern – das sind Bilder, die ich, glaube ich, nicht mehr vergessen werde und die sich immer wieder während der letzten Tage wie im Film abgespielt haben.

"Für mich war das Schlimmste, in die Gesichter der Menschen um mich herum zu schauen und die pure Angst zu sehen." Felix Dreher

BZ: Was geht einem da durch den Kopf? Hatten Sie Angst?
Dreher: Ich muss ehrlich sagen, ich konnte mir vorher nie vorstellen, wie so etwas wie eine Massenpanik überhaupt entstehen kann. Aber man hat in diesen Momenten einfach eine panische Angst, die man schon mit Todesängsten vergleichen kann. Es sind nicht unbedingt die eigenen Emotionen, wie man da selbst empfindet, die einem Angst machen. Für mich war das Schlimmste, in die Gesichter der Menschen um mich herum zu schauen und die pure Angst zu sehen.

BZ: Können Sie sich an Ihre Reaktionen erinnern? Haben Sie (heim) telefoniert?
Dreher: Wenn ich daran zurückdenke, sind das alles eigentlich intuitive Reaktionen gewesen, wie etwa, dass ich sofort meinen Klassenkameraden an der Schulter gepackt habe. Danach habe ich, glaube ich, Schutz hinter einer Litfaßsäule gesucht und mich weggeduckt. Das kann ich aber alles nicht mehr genau sagen, weil man das doch eher in einem paralysierten Zustand erlebt.
Ich konnte erst nach einiger Zeit nach Hause telefonieren und Kontakt zu meinen Eltern aufnehmen. Die Handynetze waren komplett überlastet und mein Handy ist auch dauernd abgestürzt. Meine Eltern habe ich erst etwa zwei Stunden nach Spielende erreichen können mit dem Handy einer Mitschülerin.

BZ:
Wie hat Ihre Familie reagiert?
Dreher: Meine Eltern waren natürlich sehr besorgt um mich, mittlerweile hatten sie durch einen Facebook-Beitrag meiner Klassenkameradin die Gewissheit, dass ich sicher bin. Es war sogar tatsächlich so, dass sich unsere Eltern online verständigt haben, wer jetzt gerade was von seinem Kind gehört hatte. Wie ich meine Eltern einschätze, wären sie bestimmt sofort nach Paris gefahren, hätte ich mich noch längere Zeit nicht gemeldet und sie kein Lebenszeichen von mir gehört.

BZ: Wie war die Nacht für Sie in Paris? Konnten Sie schlafen? Wie weit entfernt von den Orten des Geschehens leben Sie?
Dreher: Wir sind im 14. Arrondissement untergebracht, rund 45 Minuten mit der Bahn vom Stadion im 19. Arrondissement im Norden der Stadt entfernt. Insgesamt hat es ja sieben Anschläge an unterschiedlichen Orten der Stadt gegeben, von allen Orten sind wir aber doch ein Stück weit weg. Wir waren um circa 1.40 Uhr nachts in unserem Hostel und haben uns alle als Gruppe im Zimmer versammelt. Es war für uns das Wichtigste, jetzt nicht allein und füreinander da zu sein. Außerdem mussten wir unbedingt telefonisch noch zu unserem Lehrer in Deutschland Kontakt aufnehmen, der bei unserem Aufenthalt nicht in Paris dabei war.

BZ: Und der Morgen danach?
Dreher: Ich konnte in der Nacht sogar etwas schlafen und ein bisschen Ruhe finden, nachdem wir viele Gespräche untereinander geführt hatten. Wir gingen auch alle gemeinsam planmäßig am nächsten Morgen zum Frühstück und wollten den Ablauf so normal wie möglich gestalten.

BZ: Wie ist die Gefühlslage jetzt bei Ihnen, aber auch bei den Leuten vor Ort, Ihren Freunden und Bekannten einige Tage nach dem schrecklichen Attentat?
Dreher: Nachdem Präsident François Hollande den Notstand ausgerufen hat und der Personenverkehr eingeschränkt wurde – die Grenzen also quasi dicht waren – war es klar, dass wir als Gruppe deutscher Schülerinnen und Schüler erst nach etwa 48 Stunden nach Hause kommen würden. Viele Eltern und auch die Ausbildungsbetriebe wollten, dass wir so schnell wie möglich Paris verlassen sollen. Die Stimmung übers Wochenende war durchgehend sehr angespannt, vor allem nach den erneuten Meldungen über Schießereien auf der Place de la République am Sonntag, die sich aber dann zum Glück als Fehlalarm erwiesen.
Ich habe die Bewohner in Paris alle sehr geschockt und fast sprachlos wahrgenommen. Es herrscht eine Art Geisterstimmung in den meisten Straßen, der Arbeit wird aber versucht, ganz normal nachzugehen und die Schüler gehen auch nach Stundenplan zur Schule.
Die Anteilnahme und Nachrichten meiner Freunde und Bekannten aus Deutschland waren riesig. Ich möchte mich bei allen bedanken, die an mich gedacht und mir, in welcher Form auch immer, damit geholfen haben. Allerdings musste ich auch mein Handy zwischendurch auch mal weglegen und abschalten, die Zeit brauche ich einfach ab und zu für mich.

BZ: Einige Ihrer Freunde sind in den letzten Tagen nach Deutschland zurückgereist. Für Sie war das kein Thema?
Dreher: Ich habe gemerkt, dass einfach alle unterschiedlich mit der Situation umgehen und jeder andere Erfahrungen gemacht hat. Wir waren als Gruppe auch getrennt eine lange Zeit am Stadion, jeder hat andere Dinge gesehen und erlebt. Ich kann das absolut verstehen, dass manche unbedingt heimfahren und ihre Familien sehen wollten. Ich habe aber recht früh entschieden, zu bleiben, um das alles hier verarbeiten zu können. Außerdem wollte ich nicht nach Deutschland zurückkehren und mit diesem schlechten Gefühl in meinen normalen Alltag gehen.

BZ: Wie gehen Sie mit der Situation um; Kann man das überhaupt beschreiben?
Dreher: Ich gehe mit der Situation sehr offen und positiv um. Ich empfinde einfach eine sehr große Solidarität den Menschen hier in Paris gegenüber, vor allem allen Angehörigen und Freunden der Opfer. Eine solche Katastrophe selbst miterlebt zu haben, ist furchtbar, ich stelle aber meine eigenen Bedürfnisse und Ängste hinten an. Ich hoffe einfach, alle Menschen finden einen Weg, mit dieser Gewalt umzugehen durch ihre Nächstenliebe und Toleranz dem Nächsten gegenüber. Das ist mein größter Wunsch.

Zur Person: Felix Dreher, 21 Jahre alt, kommt aus Niederwinden. Er macht derzeit eine Ausbildung zum Industriekaufmann mit Zusatzqualifikation Europäische Fremdsprachen, Schwerpunkt Französisch und Europäischer Wirtschaftslehre, bei der Firma Vitra in Weil /Rhein. Teil der Ausbildung ist ein dreiwöchiger Aufenthalt in einem schulischen Austauschprogramm mit der französischen Schule Lycée Technique ENC (École Nationale de Commerce) Bessières in Paris. Felix Dreher ist noch bis 27. November dort. In dcer Freizeit spielt er Fußball beim Freiburger FC in der Oberliga, der höchsten Spielklasse des Amateurfußballs.


Aufrufe: 019.11.2015, 09:13 Uhr
Joel Perin (BZ)Autor