2024-04-19T07:32:36.736Z

Allgemeines
Foto: dpa
Foto: dpa

Feierbiester, Fontänen und Fußballgötter

Berlin im Ausnahmezustand: Deutsche Weltmeister genießen Fanparty mit mehr als 400 000 Menschen in der Hauptstadt

Hunderttausende Fans haben den deutschen Fußball-Weltmeister bei der Rückkehr aus Brasilien in einem schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer empfangen. Vor dem Brandenburger Tor bedankten sich Neuer & Co. bei den Anhängern. Unsere Reporter waren vor Ort.
Berlin. Per Mertesacker hat noch Kraft. Er gehört zu den Feierbiestern auf dem Truck des Weltmeisters. Hinter der Bühne am Brandenburger Tor angekommen, rutscht Mertesacker auf dem Geländer einer kleinen Treppe vom LKW herunter - und jubelt inbrünstig dabei. Neben ihm taucht Lukas Podolski auf, er zeigt die Faust. "Jaaaaaaa", ruft er. "So sehen Sieger aus", singen die Fans zurück, die es an der Polizeisperre vorbei auf den Pariser Platz geschafft haben und jetzt hautnah bei der Mannschaft sind. André Schürrle reißt die Arme hoch, Miroslav Klose spritzt mit Champagner, Final-Torschütze Mario Götze gönnt sich ein Bierchen. Das wievielte wohl? Die mit dem vierten Stern sind endlich an der Berliner Fanmeile angekommen - nach triumphaler Fahrt durch die Stadt.
Heute dürfen alle alles. Die Hauptstadt ist dicht, die meisten Straßen in der City sind abgesperrt, und schon seit sechs Uhr strömen die Massen zur Fanmeile. "Deutschlaaand, Deutschlaaand" singen sie. So viel Schwarz-Rot-Gold hat man rund um Angela Merkels Regierungszentrale noch nie gesehen. Von der Fanmeile dröhnt bereits Partymusik: "Die Hände zum Himmel."
Einige Fans haben die Nacht im Tiergarten oder im Auto verbracht. Aus ganz Deutschland sind sie angereist. Vor dem Hauptbahnhof parken die Kapitäne der Weißen Flotte auf der Spree und warten auf die Mannschaft, die hier entlangkommt.
An den Fenstern der Büros ringsum hängen die Mitarbeiter; Bauarbeiter befüllen die Gerüste. Der Lokomotivführer einer Regionalbahn stoppt seinen Zug auf einer Eisenbahnbrücke, als der Triumphzug sich unten gerade durch die johlende Menge windet. Er winkt aus seinem Kommandostand nach unten und fährt dann langsam Wagen um Wagen vor, damit alle Passagiere gucken können. Ein Land im Freudentaumel.
Um genau 10 Uhr taucht wie aus dem Nichts der riesige Jumbo der "Fanhansa" LH 2014 über dem Berliner Zentrum auf. Sehr tief. "Siegerflieger", das ist von unten zu sehen. Der Pilot wackelt mit den Flügeln, dann dreht der Jet majestätisch eine Ehrenrunde über die Fanmeile. Unten probt Helene Fischer gerade ihr "Atemlos", der Lieblingssong der meisten Weltmeister-Kicker.

Pilot zeigt Flagge


400 000 Menschen schauen jetzt gen Himmel und jubeln. Die Mannschaft ist im Anflug, die Freude wird immer größer. Nach der Landung auf dem Flughafen Tegel öffnet der Pilot die Luke an seiner Kanzel und hisst die Deutschland-Fahne. Er schließt das Fenster schnell wieder, als die Flughafenfeuerwehr das Wasser für ihre Begrüßungsfontäne marschieren lässt. Die Aussichtsterrasse des Flughafens ist proppevoll. Einer ist um fünf Uhr morgens in Düsseldorf losgefahren, um jetzt hier zu sein. "Die Jungs haben Geschichte geschrieben. Da will ich dabei sein", sagt er.
Für das Team geht es zunächst mit dem Bus weiter, bevor es dann in Moabit auf den Truck umsteigt. Es wird immer voller an den Straßen. Eine Bundestagsmitarbeiterin steht auf der Kronprinzessinnenbrücke im Regierungsviertel und wartet zusammen mit Zigtausenden auf die Elf. Sie hat sich die Deutschlandfahne wie eine Schärpe um den Bauch gebunden. "Damit bin ich eben im Reichstag schon schief angeguckt worden", sagt sie. "Ist mir aber egal". Sie schimpft auf Linke und Grüne, die just zu dieser Zeit eine Sondersitzung des Innenausschusses wegen der Spionageaffäre angesetzt haben. "Humorloses Volk", sagt sie. Wie zum Beweis kommt Renate Künast vorbei, vollbepackt mit Akten. Die grüne Spitzenpolitikerin passiert die Polizeisperre mit ihrem Ausweis, guckt ziemlich mürrisch und eilt in Richtung Reichstag, ohne einen Blick zurück.
Klaus Wowereit, Berlins Regierender, grinst unterdessen unentwegt. Er ist bereits am Brandenburger Tor angekommen, hat sich auch ein Trikot der Mannschaft angezogen. "Die deutsche Nationalmannschaft gehört in die deutsche Hauptstadt", lacht Wowi. Später werden sich alle Spieler in das Gästebuch der Stadt eintragen.
Immer wieder hält die Mannschaft auf dem Weg zur Fanmeile ihre Medaillen und den Pokal hoch. "Oh, wie ist das schön", wird am Straßenrand gesungen. Für die Präsentation auf der Bühne haben sich die Spieler etwas Besonderes einfallen lassen: Kapitän Philipp Lahm trägt den Goldpokal versteckt hinter den breiten Schultern von Mats Hummels, Thomas Müller und Erik Durm. Plötzlich lassen sich alle zur Seite fallen und Lahm reckt "das Ding" in den Himmel. Unbeschreiblicher Jubel brandet auf.
Die Partylaune kennt jetzt keine Grenzen mehr, auch bei den Spielern nicht. Es wird getanzt, gehüpft, gegrölt, Finalgegner Argentinien wird ein wenig verspottet. "So gehen die Gauchos, die Gauchos gehen so", rufen einige Nationalkicker, als sie tief gebückt auf die Bühne laufen. Dann richten sie sich auf: "Und so gehen die Deutschen, die Deutschen, die gehen so." Später wird das Diskussionen in den sozialen Netzwerken auslösen: Ist so etwas politisch korrekt?
"Wir genießen es sehr", beschreibt Sebastian Schweinsteiger die Stimmung in der Mannschaft. "Geilster Moment in der Karriere", brüllt Podolski. Als WM-Rekordtorschütze Klose vor die Fans tritt, johlt die Menge: "Klose Fußballgott." Besonders beeindruckend ist jedoch eine Szene: Jogi Löw muss von seinem Trainerteam förmlich nach vorne an den Bühnenrand geschoben werden, damit die Massen ihn bejubeln können. Von unseren Korrespondenten Hagen Strauß und Werner Kolhoff Extra WM-Flieger über Trier:Für ein paar Sekunden auf Tuchfühlung mit den WM-Helden waren am Dienstagvormittag die Fußballfans in der Region Trier. Um exakt 9.22 Uhr flog die Lufthansa-Boeing mit den Spielern der Nationalmannschaft aus Richtung Paris kommend nördlich von Trier über die Region. Bei wolkenfreiem Himmel war der in 10 972 Metern Höhe fliegende Jumbo vom Boden aus gut zu erkennen. Eine Dreiviertelstunde später landete die elf Stunden zuvor in Rio de Janeiro gestartete Maschine in Berlin. sey

Aufrufe: 015.7.2014, 21:36 Uhr
volksfreund.deAutor