2024-04-25T14:35:39.956Z

Analyse
Ihn kennt im bayerischen Amateurfußball jeder: Konrad Höß hat vor 50 Jahren den FC Pipinsried gegründet, nun steigt er mit dem Verein aus dem 500-Seelen-Ort in die viertklassige Regionalliga auf. 	F.: Peter Appel
Ihn kennt im bayerischen Amateurfußball jeder: Konrad Höß hat vor 50 Jahren den FC Pipinsried gegründet, nun steigt er mit dem Verein aus dem 500-Seelen-Ort in die viertklassige Regionalliga auf. F.: Peter Appel

Höß macht einen Dorfklub bekannt

Mit dem FC Pipinsried spielt künftig ein 550-Seelen-Ort aus dem Dachauer Hinterland viertklassig +++ Verantwortlich ist ein 76-Jähriger, der im Amateurfußball einmalig zu sein scheint

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Die Kulisse ist filmreif. Ländliche Gegend, beschauliche Orte und Gehöfte, eingebettet in Getreidefelder. Hier hat Regisseur Marcus H. Rosenmüller seine preisgekrönten Heimatfilme gedreht, hat beste Freundinnen ihre beste Zeit erleben lassen. Sollte Rosenmüller nach Stoff für weitere Streifen suchen, er würde ihn erneut hier finden, im Hinterland zwischen Dachau und Aichach.

Ort des Geschehens: Pipinsried, eingemeindet im Markt Altomünster, 550 Einwohner. Die Hauptfigur: ein 76-Jähriger, der vor fünf Jahrzehnten den ortsansässigen FC gründete, in diesem seitdem sein Lebenswerk sieht und so selbst zu einer Ikone des Amateurfußballs aufstieg. Sein Name: Konrad Höß – oder auch: der „Höß Conny“.

Seine Bekanntheit wird in den nächsten Monaten weiter steigen – auch ohne eigenen Film. Der FC Pipinsried ist in die viertklassige Regionalliga aufgestiegen, misst sich künftig mit den besten Fußballvereinen Bayerns und tritt womöglich in Pflichtspielen gegen 1860 München an. Höß erlebt nach Aufstiegen in die Landes- und Bayernliga den vorläufigen Höhepunkt seines Klubs. Und damit seines Schaffens. „Eigentlich müsste ich jetzt aufhören“, sagt er. Wird Höß aber nicht. Dafür hängt er zu sehr an seinem FCP, stecken er und seine Frau Kathi, 75, zu viel Herzblut hinein.

Vor sechs Jahren schwebte Höß nach einem Herzinfarkt in Lebensgefahr. Dem hageren Mann war alles ein bisserl viel geworden. Seitdem schont der Vater eines Sohnes, wenn irgendwie möglich, seine Nerven, verzichtet zumindest auf Auswärtsfahrten. Auch das entscheidende Relegationsspiel bei der SpVgg Greuther Fürth, das Pipinsried 3:2 nach Verlängerung gewann, erlebte Höß nicht vor Ort mit. Sein Smartphone hielt ihn auf dem Laufenden.

Der umtriebige Rentner, früher von Beruf Milchprüfer, verkörpert einen selten gewordenen Schlag Sportfunktionär. Höß ist weit mehr als ein Vereinsboss. Auf seinem kleinen Traktor bringt er den Rasen seiner Anlage auf englisches Niveau, in Verhandlungen mit Spielern und Trainern beweist er Geschick. Er kennt die Amateurszene, die Szene kennt ihn. Stehen Trennungen von Spielern oder Trainern bevor, laufen sie nicht immer geräuschlos ab. Höß beschwert sich dann, dass heutzutage ein Wort nichts mehr gelte, und sagt: „Der Mensch ist ein Sauhund.“ Höß wird respektiert, aber nicht überall geschätzt. Er ist ein streitbarer Geist, hört sich eine Meinung an, ist oft aber einer anderen. Er greift auf Tagungen die Geschäftemacherei des Bayerischen Fußball-Verbands (BFV) an, pflegt andererseits Kontakt zu BFV-Präsident Rainer Koch.

Hinter dem Pipinsrieder Erfolg steckt System: Höß verzichtet auf Nachwuchsarbeit und Nachhaltigkeit, sucht sich stattdessen einen Kader mit namhaftem Personal zusammen, der vor einer Saison sein Gesicht wiederholt komplett verändert. Etliche Spieler sind bei Bundesligisten ausgebildet worden, haben den Sprung zu den Profis verpasst oder verdienen sich nach der Karriere als Amateur mehrere hundert Euro pro Monat dazu.

Pipinsrieds Spielertrainer sind meist Mitte 20, werden bei Weißwurst und Weißbier vorgestellt, lernen unter Höß und sehen den FCP als Sprungbrett. Der aktuelle Spielertrainer Fabian Hürzeler, 24, kickte in den Regionalligateams des FC Bayern, von Hoffenheim und 1860 München, ehe er vor einem Jahr mit dem 30-jährigen Teammanager Roman Plesche die sportlichen Geschicke des FC Pipinsried übernahm.

Der Etat eines Regionalligisten beläuft sich auf einige hunderttausend Euro. Wie Höß das finanziert? Der 76-Jährige weicht aus, verweist auf Bandenwerbung, Zuschauereinnahmen und „gutes Wirtschaften“. Ein Höß redet nicht über Geld. Glaubt man ihm, hätte er lieber den Aufstieg verpasst. Die Einnahmen der Relegation mitnehmen, aber in der Bayernliga bleiben – so sein Plan. Nun muss Höß sein Stadion regionalligatauglich gestalten, braucht zusätzliche Parkplätze und einen getrennten Gästebereich mit Kiosk und Toiletten. „Die Aufgabe wird nicht leichter“, sagt er. Tief im Inneren dürfte Höß sich jedoch freuen. Er und sein Lebenswerk werden nochmals bekannter.

Aufrufe: 08.6.2017, 08:16 Uhr
Augsburger Allgemeine / Johannes GrafAutor