2024-03-28T15:56:44.387Z

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An dieser Stelle auf dem Sportplatz in Kemnat brach ein Gegenspieler Niko Gay (links) das rechte Schien- und Wadenbein. Sein Trainer Alfred Richter verletzte sich zu seiner aktiven Zeit selbst auf die gleiche Weise.	F.: Bernhard Weizenegger
An dieser Stelle auf dem Sportplatz in Kemnat brach ein Gegenspieler Niko Gay (links) das rechte Schien- und Wadenbein. Sein Trainer Alfred Richter verletzte sich zu seiner aktiven Zeit selbst auf die gleiche Weise. F.: Bernhard Weizenegger

Ein Foul veränderte sein Leben

Gegenspieler bricht Niko Gay in einem Kreisklasse-Kick Schien- und Wadenbein +++ Der Treter bekommt nur die Gelbe Karte, sein Opfer wirft die Verletzung völlig aus der Bahn

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Von der Statur her erinnert Niko Gay ein wenig an den früheren Bayern-Spieler Xherdan Shaqiri: klein und wendig, aber auch muskulös und durchsetzungsstark. Der fitnessbegeisterte 27-Jährige ist ein Spieler, der wohl jeder Amateur-Mannschaft gut zu Gesicht steht. Mehr als zwei Jahre lang schnürt der Mindelzeller für den FC Mindeltal die Fußballschuhe. Bis ein Liga-Spiel im vergangenen September sein ganzes Leben verändert.

Es ist ein sonniger Spätsommertag, als Niko Gay für den Kick in der Kreisklasse West 1 den Rasen auf dem Sportplatz in Kemnat betritt. Eigentlich hatte er wegen Rückenbeschwerden gar nicht von Beginn an spielen wollen. Doch der Kreisliga-Absteiger will oben angreifen, braucht jeden guten Mann. Trainer Manfred Grimbacher beordert Gay in die Startelf.

Zehn Minuten sind vorbei, da nimmt der Linksaußen einem Gegenspieler im Mittelfeld den Ball ab und spurtet die Außenlinie hoch. Auf dem Weg lässt er einen weiteren Gegner stehen und zieht in Richtung Tor. Er hat nur noch einen Mann vor sich. Der rennt auf ihn zu, Gay legt den Ball an ihm vorbei. Doch sein Gegenüber zieht nicht zurück, grätscht mit offener Sohle und trifft das rechte Standbein des 27-Jährigen. „Das Schienbein ist richtig abgeklappt und oben angeschlagen“, erzählt der Gefoulte knapp acht Monate später von der Horrorverletzung. Es ist kein offener Bruch, es fließt kein Blut. „Ich bin dagelegen und hatte nur noch Schmerzen. Mein Bein hat sich irgendwie flach angefühlt.“ Im Krankenhaus stellen die Ärzte später einen mehrfachen Schien- und Wadenbeinbruch fest.

Was nach dem Foul passiert, bekommt Niko Gay kaum noch mit. Seine Mitspieler und auch die gegnerische Mannschaft sind geschockt, können nicht mehr weiterspielen. „Einige haben geheult“, erinnert sich der damalige Co-Trainer Alfred Richter. Warum der Übeltäter nur die Gelbe Karte sieht, verstehen die Verantwortlichen bis heute nicht. Zumal der Mann für sein gefährliches Spiel bekannt sein soll. Trotzdem steht er am Wochenende darauf wieder auf dem Platz. Eine kurze Entschuldigung via Facebook-Chat, mehr kommt von ihm nicht.

Für Niko Gay beginnt eine lange Leidenszeit. Er wird noch am selben Tag operiert und liegt über zwei Wochen im Krankenhaus. Die ganze Mannschaft besucht ihn, vor allem der damalige Trainer nimmt großen Anteil an der schlimmen Verletzung seines Spielers. Gay kann nicht mehr laufen, muss in eine Reha-Klinik. Doch es will nicht besser werden. Bei einer Untersuchung entdecken die Ärzte dann einen weiteren Bruch. Gay muss im Dezember erneut unters Messer. „Das war ein ziemlicher Rückschlag. So was demotiviert einen“, sagt er.

Seitdem stecken mehrere Platten und ein Nagel in seinem Bein. Bis Februar ist Gay auf Krücken angewiesen, dank Physiotherapie kann er mittlerweile wieder normal gehen. Viel schwerer wiegt für ihn aber der finanzielle Schaden. Zum Zeitpunkt des Unfalls war der gelernte Kfz-Mechatroniker auf der Meisterschule und stand kurz vor seiner Zwischenprüfung. Weil er zu lange fehlte, musste er die Schule zwischenzeitlich abbrechen. In seinen alten Beruf als Industriemechatroniker kann er trotzdem nicht zurückkehren. „Momentan kann ich einfach nicht so lange an den Maschinen stehen. Ich hätte schon eine Umschulung machen können. Aber ich will erst versuchen, ob es auch so weitergeht“, erzählt Gay. Mittlerweile arbeitet er bei der Firma Grob in Mindelheim als Motorspindel-Monteur, ein Job, in dem er viel sitzen kann.

Die fast 30.000 Euro, die ihn der Unfall nach eigener Schätzung gekostet hat, hat er bisher nicht wiederbekommen. „Ich war damals Schüler, also hatte ich offiziell auch keinen Verdienstausfall. Sozialhilfe bekomme ich auch nicht. Dafür hätte ich vorher mein Auto und meine Wohnung verkaufen müssen.“ Auch die über den Bayerischen Landes-Sportverband (BLSV) für alle Mitglieder in Sportvereinen gültige Versicherung deckt den Fall nicht ab. Und eine private Unfallversicherung hatte er als Schüler zu dem Zeitpunkt auch nicht. Eine Nachlässigkeit, wie er jetzt weiß. „Im Nachhinein ist man immer schlauer. Aber ich glaube, dass viele da nicht dran denken. Es spielen ja zum Beispiel auch viele Studenten regelmäßig Fußball, die nicht unbedingt unfallversichert sind.“ Ein Anwalt prüft jetzt, welche Möglichkeiten der 27-Jährige hat, das Geld wiederzubekommen. Der Unfallverursacher habe bisher alle Versuche in diese Richtung abgeblockt.

Bis er wieder gesund ist, lebt Niko Gay von dem Geld, das er eigentlich für die Meisterschule angespart hatte. Dann passiert ein weiterer Schicksalsschlag: Mitten in dieser schwierigen Zeit verlässt ihn seine Freundin, mit der er fast drei Jahre zusammen war. „Ohne Freunde und Familie hätte ich das alles nicht geschafft. Insofern hatte es auch etwas Gutes: Du merkst, auf wen du dich verlassen kannst. Und auf wen nicht.“

Gay würde sich wünschen, dass brutale Fouls im Amateur-Fußball härter bestraft werden. „Fast nie gibt es Rote Karten. Abschreckend ist das nicht.“ Sein Trainer Alfred Richter mutmaßt, dass die Schiedsrichter teilweise zu eingeschüchtert sind, um hart durchzugreifen. „Das sehen unsere Nachwuchsspieler ja schon bei den Profis, dass es in Ordnung ist, in jeder Situation erst einmal auf den Schiedsrichter loszugehen. Vorbilder sind das nicht gerade.“ Auch am Spielfeldrand herrsche oft eine aufgeheizte Stimmung. Wenige Wochen nach Gays Unfall, erzählt Coach Richter, seien die Mindeltaler Zeugen eines Platzsturms gewesen. „Die haben eine richtige Hetzjagd auf einen unserer Spieler gemacht.“

Ob er jemals wieder Fußball spielen wird, weiß Niko Gay nicht. Wenn er seine Kameraden vom FC Mindeltal spielen sieht, „bitzelt es schon ein wenig“, sagt er. Im Moment seien aber andere Dinge wichtiger. Er will beruflich wieder Fuß fassen. Damit sein Leben wieder in normalen Bahnen laufen kann.

Aufrufe: 02.6.2017, 11:18 Uhr
Günzburger Zeitung / Alexander SingAutor