2024-04-30T13:48:59.170Z

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Es ist ein langer Weg...

Als wir in Oldenburg noch eine Heimat hatten

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...es war in der Oberliga-Saison 1979/80, seinerzeit die 3. Liga.

Noch mit der völligen Ahnungslosigkeit eines 8-jährigen behaftet, wurde ich auf der Gegengerade zur Wehdestraße an der Bande zum Spielfeldrand geparkt mit den Worten "mach dir keine Sorgen, wir stehen etwas weiter oben und geben auf dich acht.“

Gesagt, getan. Nun stand ich da in einem Fußballstadion im Stadtteil Donnerschwee zu Oldenburg keine Ahnung was ich dort überhaupt sollte ohne Zukunftsgedanken völlig losgelöst und unbeeinflusst von der Bundesliga und dem großen Medienzirkus der seinerzeit noch nicht so groß war.

Der Gegner in der Rückrunde war der Stadtteilclub aus der Hansestadt der sich in der Gegenwart als jugendlicher Fußballclub mit Hipcharakter auszeichnet. Damals interessierte sich nur niemand für diesen Verein außerhalb der Stadtteilgrenzen, die Welt war scheinbar noch in Ordnung und die St. Pauli Fans haben noch nicht über Totenköpfe und Punk Rock im Jahr 2013 nachgedacht, diese Welle kam erst in den Achtzigern. Keine Frage, ich habe viele schöne Momente am Millerntor erlebt und bin einige Jahre mit einem Freund ständig dahin getingelt, ich möchte diese Zeit nicht missen. Es war die Zeit nach dem Abstieg aus der Bundesliga am Anfang der Jahrtausendwende der Verein stand am Abgrund zur Fußballhölle und auch der VfB durchlebte eine Zeit mit vielen Faustschlägen, die stets direkt auf die Zwölf gerichtet waren. Das nur so am Rande. Der VfB revanchierte sich für die 2:3 Hinrundenniederlage am Millerntor mit einem knappen 1:0 Sieg in der Hölle des Nordens. Völlig zu Recht, so mein Vater der seinerzeit maßgeblich daran beteiligt war, dass ich immer noch und wieder zu den Blau-Weißen gehe und fest daran glaube irgendwann mal wieder in Blau-Weiß quer durch, die Republik zu fahren und Fußball im Großen und im Kleinen erleben zu dürfen.

Da stand ich nun mit meinem Talent und keine Ahnung was bald passieren würde. An das Spiel erinnere ich mich nicht wirklich, dass Ergebnis ist in meinem Gedächtnis, aber das Spiel kann nicht ein wirklicher Hammer gewesen sein. Wichtig war, es stand nach 90. Minuten 1:0 für den VfB und ein weiterer Schritt in Richtung Aufstieg war getan.

Aufstieg ? Ja, das allgegenwärtige Thema in Oldenburg, wenn wir etwas können dann ist es um den Aufstieg mitspielen und das sehr erfolgreich, gut am Ende bleiben wir oft in der Liga wie zuvor, aber was soll\'s ? Wir sind so weit davon entfernt uns in irgendeiner "höheren Liga" zu etablieren, wie ein Kirchenoberhaupt davon entfernt ist mit einer Professionellen ungeschützten Verkehr zu haben. Oder doch nicht ? Sich darüber Gedanken zum machen ist jetzt nicht notwendig.

Mein Kopf kam gerade so über das kalte Stahlrohr, welches auch als Sitzgelegenheit der größeren Kinder, die ebenfalls zahlreich unten an der Bände standen genutzt wurde. In der linken Hand eine Brause, die rechte Hand wusste noch nicht wohin, aber das änderte sich schlagartig als die Mannschaften einliefen. Plötzlich rappelte ein gewaltiger Krach durch das Rund mir war erst nicht ganz klar, warum jetzt wie von Sinnen auf die metallischen Werbeträger rhythmisch eingetrommelt wurde bis mein etwas größerer Nachbar sagte: "Los mitmachen!" Mein Gedanke war nicht ganz deutlich, aber mein kindlicher Leichtsinn signalisierte klar und deutlich "Ja, warum eigentlich nicht?" noch einen kräftigen Schluck aus dem Brausebecher mit beiden Armen über das Stahlrohr gehängt und ab dafür. Meiner erster Gedanke war "Das macht Spaß !" Das Rumstehen machte einen Sinn das Fußballfieber ergriff mich wie im Sturm. Die Erwachsenen komplett aus den Gedanken gestrichen machten wir Kinder da unten mächtig Ramba Zamba was uns wohl mehr beeindruckt hat, als die Kicker auf dem Spielfeld, aber wir waren uns ganz sicher, wenn wir diesen Höllenlärm nicht machen würden hätten die Blau-Weißen keine Chance. Das war der Einstieg in einen Zug den ich nur zu einem kurzen Zwischenhalt verlassen habe um dann später wieder zu zusteigen. Völlig begeistert und von der Stimmung berauscht machten wir uns nach dem gewonnenen Spiel wieder auf den Heimweg, meine Gedanken kreisten ständig um diese 90. Minuten, es war eine komplett neue Welt, die sich da geöffnet hatte.

Alle folgenden Spiele wurden ab diesem Zeitpunkt besucht. Jedes Mal besser ausgestattet und von Spieltag zu Spieltag mit mehr Wissen in meinem kleinen Rund hieß es plötzlich, dass wir aufgestiegen sind ! Was bedeutet das jetzt ? Macht das auch Spaß ? Ändert sich etwas gewaltiges und was machen wir jetzt mit diesem Gedanken ?

Diese Fragen wurden am 06.08.1980 um ca. 18:00 Uhr schlagartig beantwortet. Wir, also ich mein Vater und seine Freunde betraten andächtig "Die Hölle des Nordens", ich traute meinen Augen nicht, die Hütte war picke packe voll. Offiziell sollten damals 17.000 Leute im Stadion gewesen sein, gefühlt waren es wesentlich mehr.

Die Stehtribüne zum Haupteingang Donnerschweer Straße war voll mit Berlinern, die sich aus der Mauerstadt in die Provinz aufmachten, um den Bundesligaabsteiger gewinnen zu sehen, aber dazu kommen wir später. Der Rest war mit staunenden VfB Fans besiedelt, die nicht ansatzweise eine Vorstellungen hatten was noch auf sie zukommen würde. Die Berliner hatten es echt drauf, sie machten mächtig Dampf und die mitgereisten gefürchteten Hertha-Frösche kamen beeinflusst auch so langsam in Wallung. Zum Glück konnten wir Kinder unsere angestammten Plätze unten an der Bande direkt am Spielfeldrand einnehmen. Man hätte dem Linienrichter ohne viel Aufwand, die Sportbüx runterziehen können, wenn man wollte. Das war das Besondere am Stadion in Donnerschwee, wie auch später Uwe Klimaschefski nicht ganz überrascht feststellte, dass das die "Hölle des Nordens" ist.

Wir gaben alles und die VfB Kicker ebenfalls. Michael Kalkbrenner und Herbert Pösger machten, die beiden entscheidenden Buden, die etwas auslösten was niemand zuvor glaubte, die Hölle bebte, es lag ein Gefühl der Glückseligkeit in der Luft. Gut die Hertha-Frösche wollten, die Niederlage nicht einfach so reaktionslos hinnehmen und drehten nachdem Spiel große Teile von Oldenburg auf Links was zu einigen Verwirrung führte.

Mein Vater und seine Kumpels hatten mich verloren und wie schon beschrieben, es waren mehr als die offiziellen 17.000 im Stadion. Die folgenden Lautsprecherdurchsagen, die ungefähr eine so durchdringende Wirkung hatten, als wenn man seinen Kopf in der Badewanne unter Wasser steckt und sagt: "Der kleine Matthias möge doch bitte zur Sprecherkabine kommen, sein Vater sucht ihn.“ Wer die Lautsprecher aus dem Stadion noch kennt kann nachvollziehen, dass man bei einer Durchsage vielleicht an die Lehrerin, die bei den Peanuts den Unterricht gestaltet hat erinnert wurde. Die Wirkung war gleich Null, sprich ich wurde selbstverständlich nicht gefunden und hatte mittlerweile einen exklusiven Platz in einer Berliner Wanne eingenommen und konnte von der Ecke zur Wehdestraße, die letzten Minuten des ersten Spieltages in der 2. Bundesliga Nord beobachten.

Die Faszination, die sich nach dem Abpfiff ergab schrieb einige eigene Kapitel. Der Jubel war grenzenlos und leider ging wie schon erwähnt der Berliner Mob durch Oldenburgs Straßen und ich kleiner Wurm von einem Berliner Beamten betreut mittendrin. Es gesellten sich auch schnell, die üblichen Verdächtigen zu uns, sie wollten aber nicht guten Tag sagen, sie hatten eher im Sinn, die Berliner Wanne in ihre Bestandteile zu zerlegen. Man sollte erwähnen, dass die Berliner Wanne seinerzeit für viele das Objekt der Begierde war um gegen den Staat aufzumucken. Mit unseren Beifahrern auf dem Dach der Wanne fuhren wir dann in Richtung Pferdemarkt, etliche Frösche mit uns, die sich darin übten irgendwie in das Innere des Vehikels zu kommen. Der Beamte der extra aus Berlin angereist war, beruhigte mich mit dem Worten "Mach dir keene Sorgen Kleener, dit Fahrzeug ist absolut sicher, wa!" Die Fahrt zum ersten Polizeirevier, welches damals noch in der alten Kaserne am Pferdemarkt angesiedelt war konnte nur im Schritttempo geschehen, da die Straßen durch Abreisende und Wahnsinnige komplett verstopft waren. Ein Bild was mir nie mehr aus dem Kopf geht, es war irgendwie faszinierend. Mit der Ruhe des Berliner Beamten saß ich relativ entspannt auf dem Beifahrersitz und beobachtete, die Szenerie. Plötzlich sah ich meinen Vater und seine Freunde zwischen den stehenden Autos auf der Donnerschweer Straße umherirren auf der Suche nach mir. Dem Beamten schnell signalisiert, dass dort mein Vater ist und nach mir sucht endete dieses Abenteuer abrupt. Die beiden Erwachsenen verabredeten sich, sich später im ersten Revier zu treffen, es würde hier und jetzt keinen Sinn machen mich in die Obhut meines Vaters zu geben.

Aha ! Was bedeutet später ? Später bedeutete, das ich wartend auf einer Bank im ersten Polizeirevier zwischen anderen Ahnungslosen saß und mir viele beeinflusste Fußballtypen vorgeführt wurden, so kam es mir zumindest vor. Später realisierte ich, dass diese Knallköppe ganz bestimmt nicht in einem vorgewärmten Bett ihre Nacht verbracht hatten.

Letztendlich fanden wir uns alle wieder und das geile Gefühl war immer noch da, Fußball in einem Fußballstadion und das in Oldenburg! Bis heute hält dieses Kribbeln an und ich möchte es nicht missen.

Vielleicht eines Tages...

Aufrufe: 028.11.2013, 15:30 Uhr
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