2024-04-25T14:35:39.956Z

Allgemeines
Enzo Marchese mit dem Trikot seines neuen Vereins Club Deportivo Atlético Baleares  Foto: Zvizdic
Enzo Marchese mit dem Trikot seines neuen Vereins Club Deportivo Atlético Baleares Foto: Zvizdic

Enzo Marchese rechnet ab

Der ehemalige Kickers-Spieler erhebt schwere Vorwürfe gegen Sportdirektor Michael Zeyer

Seit Anfang des Monats ist der in Weil im Schönbuch aufgewachsene Enzo Marchese offiziell Spieler des spanischen Drittligisten Club Deportivo Atlético Baleares. Der langjährige Kapitän der Stuttgarter Kickers freut sich auf seine neue Aufgabe in Palma de Mallorca, schaut aber auch wehmütig auf seine Zeit im Schatten des Fernsehturms zurück. Im Interview öffnet der 33-Jährige sein Herz und redet sich den angestauten Frust über die Suspendierung bei den Blauen von der Seele.
Im Spätherbst Ihrer Karriere treten Sie auf Mallorca ein neues sportliches Abenteuer an. Was hat Sie bewogen, sich dem spanischen Drittligisten CD Atlético Baleares anzuschließen?

Enzo Marchese: „Da gibt es sehr viele Gründe. Zum einen die sportlich wie auch finanziell attraktive Herausforderung bei einem ambitionierten Team. Dann natürlich die Umstände, dort arbeiten zu können, wo andere Urlaub machen. Und schließlich war auch die letzte Saison ausschlaggebend, dass ich mich nach einem neuen Arbeitgeber umgeschaut habe.“

Die vergangene Runde bei den Stuttgarter Kickers lief überhaupt nicht nach Wunsch. Seit der Winterpause hat man nicht mehr viel von Ihnen gehört. Was ist passiert nach dem Trainerwechsel im vergangenen November von Horst Steffen hin zu Tomislav Stipic?

Enzo Marchese: „Tja, um es mal kurz und knackig zusammenzufassen: Ich wurde eiskalt abserviert. Und dann drohte mir eine Vertragsstrafe, sollte ich vor dem 1. Juli über die Geschehnisse bei den Kickers reden und Interna ausplaudern. Deswegen war es so ruhig.“

Über Sie konnte man aber in all der Zeit immer wieder etwas lesen. Und das war nicht immer positiv.

Enzo Marchese: "Das war ja das Ungerechte. Ich durfte mich nicht äußern, aber über mich wurde alles Mögliche erzählt. Das war teilweise rufschädigend. Aber ich weiß ja, wer der Urheber dieser Äußerungen war.“

„Ich wurde eiskalt abserviert“

Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Sie waren über Jahre hinweg das Aushängeschild der Kickers, darüber hinaus auch der Kapitän der Mannschaft, die in der Saison 2014/15 mit Tabellenplatz vier in der 3. Liga für Furore sorgte.

Enzo Marchese: „Trotz des sportlichen Erfolges begannen die Probleme bereits im Winter 2014. Verantwortlich dafür war Michael Zeyer. Solange er Sportdirektor war, war es noch nicht so schlimm. Dann wollte er auch Trainer sein und hat Horst Steffen immer wieder in dessen Arbeit reingefunkt. Wieso spielt der Spieler? Wieso spielen wir dieses System? Das konnte auf lange Sicht nicht gutgehen. Die Reibereien sind aber nicht weiter aufgefallen, da wir sogar mit diesem Sportdirektor den vierten Platz errungen haben. Kompliment gebührt dem Trainerteam, der Mannschaft und den Fans.“

Der Erfolg blieb dann in der Folgesaison aus.

Enzo Marchese: „Nach gutem Saisonstart lief es immer schlechter. Auch bei mir persönlich hat es gehakt, ich habe während dieser Talfahrt unter anderem zwei wichtige Elfmeter verschossen. Dann kam der Trainerwechsel. Horst Steffen und Co-Trainer Sreto Ristic waren wie große Brüder für uns. Aber leider sind das die Mechanismen in diesem Geschäft, sobald der Erfolg ausbleibt.“

Wie war der erste Eindruck von seinem Nachfolger?

Enzo Marchese: „Super. Tomislav Stipic hat sofort das Gespräch mit mir gesucht. Er kannte uns zwar nicht, wollte das aber so schnell wie möglich ändern. Leider ist er zuvor mit falschen Informationen gefüttert worden. Michael Zeyer hatte ihm erzählt, dass wir ein Teamproblem hätten. Das gab es aber trotz der sportlichen Talfahrt nie, denn wir waren ein verschworener Haufen. Das Problem war der Sportdirektor, der andauernd Unruhe reingebracht hat.“

Spielerrat wird entmachtet

Ein denkbar schlechter Beginn für die Zusammenarbeit mit einem neuen Trainer.
Enzo Marchese. „Absolut. Wie sich schnell herausgestellt hat, war Tomislav Stipic nur die Marionette von Michael Zeyer, der ihm zum Beispiel auch die Art und Weise wie wir spielen sollten, vorgegeben hat. Auf Zeyers Anweisung hat er dann den Spielerrat entmachtet.“

Das Winter-Trainingslager haben Sie auch verpasst. Was genau ist vorgefallen?

Enzo Marchese. „Ich hatte zu Jahresbeginn einen leichten Schnupfen, woraufhin ich zehn Tage krankgeschrieben wurde. Wegen eines Schnupfens, das muss man sich mal vorstellen. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass das auf Anweisung kam und ich auf keinen Fall mit nach Teneriffa fliegen sollte.“

Sie hatten in der Winterpause einige Angebote anderer Vereine, haben sich aber dennoch entschieden, den Kickers die Stange zu halten. Wieso nach all diesen Vorfällen?

Enzo Marchese: „Vielleicht klingt das ein bisschen romantisch oder altmodisch, aber als guter Kapitän wollte ich das auf den letzten Tabellenplatz gesunkene Schiff nicht verlassen und bei der Rettung mithelfen.“

Diese positive Einstellung hat Sie aber nicht vor einer Suspendierung geschützt.

Enzo Marchese. „Nein, denn nach dem Ende der Transferperiode wurde ich freigestellt. Auch Gerrit Müller und Sandrino Braun wurden suspendiert, wobei Sandrino aufgrund verletzter Alternativen wieder in den Kader zurückbeordert wurde. Elia Soriano war klüger als wir, er ist seiner Demission zuvorgekommen und noch kurz vorher nach Würzburg geflüchtet. Dort hat er dann die ’falschen’ Kickers in die Zweite Bundesliga geschossen.“

Wieso blieben die Verantwortlichen bei Ihnen und Gerrit Müller hart?

Enzo Marchese: „Weil wir Gerrit, Physio Gabriel Dabbagh und ich schon lange vorher auf die Missstände aufmerksam gemacht hatten und Michael Zeyers falsches Spiel aufgedeckt hatten. Deswegen waren wir ihm ein Dorn im Auge. Leider ist Kickers-Präsident Rainer Lorz, den ich sehr schätze, auf Zeyer reingefallen. Und Zeyer hat dann die Freiheiten dazu genutzt, eine so noch nie dagewesene Ein-Mann-Show abzuziehen, die am Ende aber trotzdem im Abstieg gegipfelt ist.“

War das für Sie im Nachhinein nicht eine besondere Genugtuung?

Enzo Marchese: „Nein, ganz sicher nicht. Ich bin ein Blauer und werde es auch immer sein. Ich habe auf der Tribüne Tränen verdrückt, weil ich Zeuge wurde, wie ein Mann ganz alleine etwas, was über viele Jahre toll zusammengewachsen war, an die Wand gefahren hat. Am Ende ist nicht ein einziger Spieler des Kaders im Verein geblieben, was Bände spricht für die Geschehnisse.“

Das Kapitel Stuttgarter Kickers ist nun beendet. Wird es Ihrerseits jemals eine Rückkehr zu den Blauen geben?
Enzo Marchese: „Die Kickers werden mir fehlen, ohne Zweifel. Ich habe dort Freundschaften fürs Leben gefunden und würde mich sehr freuen, irgendwann mal wieder zurückzukommen, egal in welcher Liga, egal in welcher Funktion. Voraussetzung wäre natürlich, dass eine bestimmte Person nicht mehr mit an Bord ist. Jetzt freue ich mich aber auf meinen neuen Verein CD Atlético Baleares.“

Auf einer Wellenlänge mit Christian Ziege

Wie kam es denn zu dieser nicht alltäglichen Verpflichtung?

Enzo Marchese: „Christian Ziege ist Trainer der Mannschaft, und er kannte mich noch von seiner Zeit als Coach der Spvgg. Unterhaching. Und er wollte mich unbedingt haben, das hat er mir sofort zu verstehen gegeben. Ich habe dann schnell gemerkt, dass wir auf einer Wellenlänge funken und eine ähnliche Sichtweise auf Fußball haben.“

Aufrufe: 016.7.2016, 09:46 Uhr
Edip Zvizdiç, GäuboteAutor