2024-04-25T10:27:22.981Z

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Wenn es einfach nicht ohne Fußball geht: Abteilungsleiter Andreas Weidel (2. v. l.), zieht im Mittelfeld der DJK Sparta Noris die Fäden. F: Michael Matejka
Wenn es einfach nicht ohne Fußball geht: Abteilungsleiter Andreas Weidel (2. v. l.), zieht im Mittelfeld der DJK Sparta Noris die Fäden. F: Michael Matejka

"Entlassen wird er nur, wenn er mich auswechselt"

Alltag in der A-Klasse 7 - Teil 11: Wenn Andreas Weidel für Sparta Noris auf dem Platz steht, ist Dragan Misetic sein Chef – abseits des Platzes ist es genau umgekehrt

Gut, sie war ja nie weg, die A-Klasse. Wir haben sie hier nur versteckt, eine Saison lang. Jetzt sind wir wieder dort, auf holprigen Wiesen, bei den Jungs mit den schweren Knochen, bei denen, die lieber nächtelang feiern gingen als ins Fußballinternat. Eine wöchentliche Liebeserklärung an die ehrlichste Fußball-Liga Nürnbergs.
Einen Arztkoffer trägt er in der Hand, mit der anderen schlägt er auf dem Weg zur Kabine mit dem Mann ein, der sich eine neongelbe Weste mit dem Aufdruck „Ordner“ über die Winterjacke gespannt hat. Einen Handschlag bekommt auch der stolze Spielervater und ein paar Zuschauer – 5:2, der nächste Sieg, auf Platz fünf steht die DJK Sparta Noris nun schon. „Ich muss jetzt nicht zur Mannschaft, ich habe Zeit“, sagt Dragan Misetic, der Trainer, zum Pressevertreter, „heute gibt’s ja nichts zu schimpfen.“

Wenig später sitzt er auf einer Holzbank unter einem weißen Partyzelt, der Koffer lehnt an seinem Bein. Neben Misetic, der in Trainingsanzug, Winterjacke und zwei schwarzen Fußballschuhen mit neongrünen Zungen steckt, steht ein Rasenmäher und das klobige Gerät, mit dem sie auf den Sportplätzen der Welt die Kalklinien auf den Rasen ziehen. „Warum ich mir die A-Klasse antue?“, fragt Misetic, streicht die schläfenlangen, schwarzen Haare aus dem Gesicht und lächelt milde, „ganz einfach: Fußball ist meine Liebe. Ohne geht es bei mir nicht.“

An manchen Tagen, da ist diese Liebe noch immer so groß, dass sich Dragan Misetic auch einwechselt. Auch heute steckt unter dem Trainingsanzug das Trikot, eine kurze, schwarze Hose, zwei schwarze Stutzen. Er bewegt sich dann nicht mehr viel, er behauptet den Ball ein wenig, schlägt Pässe. Macht eben das, was man so macht, wenn einen das Alter aus den höheren Ligen nach unten gespült hat. „Verrückt“, findet Misetic das eigentlich. „Mit 45 Jahren muss man nicht mehr gegen 20-Jährige spielen.“ Zum einen geht es aber nicht anders – die Liebe und so. Zum anderen wollen seine Spieler das so. „Das gibt ihnen Sicherheit, sagen sie. Ich komm’ mir da immer vor wie ein Papa, der aufpasst, wenn die Kinder laufen lernen.“

An diesem nasskalten Sonntagnachmittag gegen die DJK Bayern, da hat sich Misetic nicht eingewechselt. Heute, da war er nur Trainer, Taktiker und gegen Ende, als zwei Spieler mit den Köpfen zusammengeknallt waren, auch Krankenschwester. Misetic hat gestikuliert, er hat aufs Feld gerufen, hat ein- und ausgewechselt, eine Halbzeitansprache gehalten, und eine Platzwunde versorgt. Zunächst war das Trikot der Druckverband, solang, bis einer endlich diesen Arztkoffer aus dem Vereinsraum herausgetragen hatte. Dann konnte Misetic die Wunde säubern und verbinden. Auf diese Weise hat er sogar ein Tor seiner Mannschaft verpasst. „So ist das eben“, sagt er und zuckt mit den Schultern, „es gibt immer weniger Menschen, die sich bereit erklären, in einem Verein etwas zu machen.“

Flucht nach Deutschland

Als Dragan Misetic ein Bub war, da war das noch anders. In Bosnien wuchs er bei seinen Großeltern auf, die Eltern hatten sich getrennt. Der kleine Dragan flüchtete sich in den Fußball, erzählte er einmal. Er war auf dem Weg zum Profi, mit 17 Jahren debütierte er in der dritten Liga – dann kam der Balkankrieg. Misetic nahm seine Sachen und floh zu seiner Mutter nach Deutschland, machte eine Ausbildung zum Industrietechniker, Fußball war nur noch ein Hobby. Es war die richtige Entscheidung, ein paar der ehemaligen Mitspieler hat der Krieg verschlungen.

Fortan pendelte Dragan Misetic durch die Amateurligen der Region: Bezirksliga, Landesliga, Nürnberg, Eltersdorf, Neustadt – sogar ein Jahr bei den Clubamateuren spielte er. In einer Pokalpartie erzielte er fünf von sieben Toren, doch mehr als beobachten wollte ihn Trainer Willi Entenmann damals nicht. Dann wurde Dragan Misetic eben selber Spielertrainer, mit 27 Jahren, bei Jahn-Schweinau. Sogar die A-Lizenz besitzt er mittlerweile, er könnte Männer-Regionalliga trainieren, oder Frauen-Bundesliga.

Dragan Misetic steht seit zwei Jahren aber in der A-Klasse an der Auslinie. „Ich bin mir darüber bewusst, wo ich bin und was mich erwartet. Etwas anderes hat sich eben zuletzt nicht ergeben. Die wenigen höherklassigen Vereine verpflichten nur Trainer mit einem Namen, die irgendwann einmal Bundesliga gespielt haben. Egal, ob die dann auch gute Trainer sind.“ Misetic war vor drei Jahren noch Trainer beim 1. FC Nürnberg, Regionalliga. Die Fußballfrauen. „Die haben mich positiv überrascht, die Mädels“, sagt er. Gute Technik, großer Wille, riesiger Ehrgeiz. Nur wurde ihm dann zuviel von außen reingeredet.

„Ich glaube, das Gesamtpaket bei uns ist ausschlaggebend, dass Dragan sich das antut“, vermutet Andreas Weidel. Der 36-Jährige zieht die Fäden im defensiven Mittelfeld und ist gleichzeitig Misetics Chef als Abteilungsleiter Fußball bei Sparta Noris. Weidels Bruder war einst Spieler bei Jahn-Schweinau unter Dragan Misetic, so kam der Kontakt zustande. Misetic war die erste Verpflichtung als Abteilungsleiter, darauf ist Weidel stolz. Er sagt: „Dragan war auf dem Markt, da mussten wir zuschlagen.“ Misetic sagt, dass es spannend ist in dieser Liga. „Man kann viel entwickeln – und es ist unberechenbar, jede Woche, jeden Tag.“ Er hat es jetzt nicht weit von der Wohnung, zum Sportgelände. „Ich sehe, dass man auch in der A-Klasse eine Mannschaft entwickeln kann.“ Und, sagt Andreas Weidel: „Die Jungs ziehen bei ihm voll mit. “

25 Mann sind sie regelmäßig im Training – „das ist das, was zählt: dass die Jungs Spaß haben. Nicht unbedingt, ob wir gewinnen oder nicht“, sagt Dragan Misetic. Der Erfolg kommt dann automatisch. Und wenn er einmal ausbleiben sollte, so wie zu Saisonbeginn vor zwei Jahren, als sie nur acht Punkte bis zur Winterpause holten, dann wird er nicht infrage gestellt. „Aufstieg?“, fragt Andreas Weidel, „Ganz ehrlich: Lieber sollten wir weiter unsere Jugendspieler entwickeln.“ Bleibt die Frage, wie das so ist, mit dem Abteilungsleiter als Spieler? „Auf dem Platz bin ich sein Chef, sonst ist er meiner“, sagt Dragan Misetic. „Das Sportliche ist allein Dragans Sache, da rede ich nicht rein“, versichert der Abteilungsleiter und grinst: „Entlassen wird er nur, wenn er mich auswechselt.“

Aufrufe: 09.11.2016, 06:51 Uhr
Christoph Benesch (NN)Autor