2024-04-24T13:20:38.835Z

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Elf gegen 200 Millionen

Beim WM-Halbfinale gegen Deutschland wird ganz Brasilien hinter der Seleção stehen

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Nur noch zwei Spiele bis zum Titel: Doch heute Abend (22 Uhr/Liveticker auf Fupa.net/volksfreund) wartet im Halbfinale mit Brasilien der vielleicht härteste Brocken der WM. Trotz des Ausfalls von Superstar Neymar erwartet die DFB-Elf ein aggressiver Gegner.
Belo Horizonte. Das Fernsehprogramm in Brasilien besteht zurzeit aus zwei Themen: Vorberichten zum heutigen WM-Halbfinale gegen Deutschland (22 Uhr/ZDF) und der Verletzung von Neymar. Genesungswünsche flimmern über die Bildschirme, und die Brasilianer versammeln sich andächtig vor öffentlich aufgestellten Fernsehgeräten, wenn Bilder des Spielers zu sehen sind.
Ein Spot läuft alle halbe Stunde. Neymar sagt mit Tränen in den Augen: "Wir werden siegen, ich werde bei ihnen sein." Auch vor den Fernsehern fließen dann Tränen. Ein ganzes Land steht hinter der Seleção, nicht mehr mit dem Anspruch auf den Titel, sondern mit verzweifelter Hoffnung.
Elf gegen 200 Millionen: Die deutsche Mannschaft wird in Belo Horizonte diesen Druck spüren. Er kommt von den Rängen, und er geht noch darüber hinaus, er liegt über dem ganzen Spiel. "Das wird eine besondere Atmosphäre", sagt Bundestrainer Joachim Löw, "aber wir sind selbstbewusst. Wir haben uns im Verlauf des Turniers gefestigt, sind stabil, psychisch wie physisch."
Internationale Härte:
Die Deutschen haben in ihren öffentlichen Redebeiträgen das Thema gesetzt. "Wir sind die Mannschaft mit den wenigsten, Brasilien die mit den meisten Fouls", sagt Löw. "Sie gehen schon in die Zweikämpfe", erklärt Bastian Schweinsteiger. "Sie gehen manchmal über die Grenzen des Erlaubten hinaus", betont Löws Assistent Hansi Flick. Und alle weisen voller Hoffnung darauf hin, dass es der Job des Schiedsrichters ist, das Geschehen auf dem Rasen in geordnete Bahnen zu lenken. Die Deutschen haben nicht gesagt: "Da kommt eine Truppe finsterer Treter auf uns zu. Die Schiedsrichter müssen uns vor ihr schützen." Aber zu hören ist das trotzdem.
Die brasilianische Spielweise:
Pelé, Tostao, Rivelino, Socrates, Zico, Ronaldinho - das war einmal. Brasilien hat sich auf dem Weg zur Heim-WM vom schönen Spiel ("o Jogo bonito") verabschiedet, das einst Artikel eins des brasilianischen Fußball-Verfassung war. "Von der ursprünglichen Spielweise ist wenig übrig- geblieben", urteilt Löw, "sie stören früh, spielen aggressiv und gucken schon auch sehr auf die Defensive." Schon vor Neymars schwerer Verletzung legten die Brasilianer großen Wert auf Torsicherung. Das offensive Spiel war vollständig auf den Megastar zugeschnitten. "Es soll nun keiner denken, dass es einfacher wird, im Gegenteil: jetzt hauen sich alle viel mehr ins Zeug", glaubt der Bundestrainer.
Die deutsche Spielweise: Löws Team hat gegen die starken Franzosen bewiesen, dass es über die erforderliche Reife verfügt, ihr Spiel unterschiedlichen Situationen anzupassen. "Mit Flexibilität und Variabilität sind wir ins Halbfinale gekommen", findet Löw. Allerdings auch mit einer im Vergleich zur Himmelsstürmerei von vier Jahren deutlich sachlicheren Spielanlage. Ganz ähnlich wie sein brasilianischer Kollege Felipe Scolari ist Deutschlands oberster Übungsleiter (endlich) davon überzeugt, "dass schön zu spielen nicht mehr reicht, weil alle robust dagegen halten. Es gibt bei dieser WM keine Mannschaft, die glanzvollen Fußball spielt".
Es geht um Ergebnisse, mehr denn je. Und Löw betont: "Es werden Kleinigkeiten entscheiden."
Das deutsche System: Der Bundestrainer ist gegen Frankreich zum System der Vor-WM-Zeit zurückgekehrt, er ließ das bewährte 4-2-3-1 spielen. Es spricht wenig dagegen, dabei zu bleiben. Trotzdem erklärt er am Tag vor dem Halbfinale: "Für uns geht es immer darum, vor jedem Spiel darüber zu entscheiden, was in dieser Situation, zu diesem Zeitpunkt das Beste für die Mannschaft ist." Auch wenn er "wir" sagt, meint er diesmal "ich". Und er beteuert: "Am Ende bin ich es, der die Entscheidung trifft." Das musste auch mal gesagt werden.
Die deutsche Aufstellung: Am System wird Löw festhalten, es brachte seiner Mannschaft gegen Frankreich die viel zitierte Kompaktheit auf dem Platz, die Räume wurden meist schnell geschlossen, die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen waren nicht zu groß, deswegen blieben Konter aus.
Er wird allenfalls über das Personal nachdenken. Möglich ist, dass er die offensive Fraktion geringfügig umbaut. Er könnte auf Miroslav Klose zunächst in der Angriffsmitte verzichten und Thomas Müller ins Zentrum schicken. Rechts käme dann André Schürrle in die Startelf. Es ist aber durchaus denkbar, dass Löw beginnt wie gegen Frankreich und den Joker Schürrle auf der Bank zwischenparkt.
Rückkehr der Chef:
Ein paar Jahre wurde von den flachen Hierarchien im Team geschwärmt, was vor allem dem führenden Politiker Philipp Lahm zu danken ist. Jetzt scheint es wieder Köpfe auf dem Platz zu geben. Schweinsteiger, Mats Hummels, Sami Khedira und Manuel Neuer sind die großen Figuren.
Sie gaben dem Team gegen Frankreich Halt, und sie werden in der hitzigen Atmosphäre von Belo Horizonte besonders gebraucht.


Brasilien - Deutschland

Brasilien: 12 Júlio César (FC Toronto/34 Jahre/85 Länderspiele) - 23 Maicon (AS Rom/32/73), 13 Dante (FC Bayern München/30/12), 4 David Luiz (FC Chelsea/27/41), 6 Marcelo (Real Madrid/26/36) - 17 Luiz Gustavo (VfL Wolfsburg/26/23), 8 Paulinho (Tottenham Hotspur/25/30) - 19 Willian (FC Chelsea/25/10), 11 Oscar (FC Chelsea/22/36), 7 Hulk (Zenit St. Petersburg/27/39) - 9 Fred (Fluminense Rio de Janeiro/30/38)
Deutschland: 1 Neuer (FC Bayern München/28/50) - 16 Lahm (FC Bayern München/30/111), 20 Boateng (FC Bayern München/25/44), 5 Hummels (Borussia Dortmund/25/34), 4 Höwedes (FC Schalke 04/26/26) - 6 Khedira (Real Madrid/27/50), 7 Schweinsteiger (FC Bayern München/29/105), 18 Kroos (FC Bayern München/24/49) - 13 Müller (FC Bayern München/24/54), 11 Klose (Lazio Rom/36/135), 8 Özil (FC Arsenal/25/60) - SR: Rodríguez (Mexiko) Aus Brasilien berichtet unser Mitarbeiter Robert Peters
Aufrufe: 07.7.2014, 21:42 Uhr
volksfreund.de Autor