2024-05-10T08:19:16.237Z

Spiel der Woche
Lkw-Fahrer, Schausteller, Straßenfußballer: Alle haben sie sich unter dem Dach von Glaishammer gefunden. F.: Ralf Rödel
Lkw-Fahrer, Schausteller, Straßenfußballer: Alle haben sie sich unter dem Dach von Glaishammer gefunden. F.: Ralf Rödel

Ein Stück Heimat mitten in Nürnberg

Alltag in der A-Klasse - Folge 10: Dort, wo Max Morlock einst das Fußballspielen lernte, sind sie heute stolz auf Einwanderer aus Rumänien, die gut kicken können

Ein holpriger Sandplatz, in der Kabine eine Kiste Bier, das Trikot riecht nach Zigaretten — ja, man erzählt viel über die A-Klasse. Aber auch, dass man dort den Fußball noch so erleben kann, wie er ursprünglich einmal war. Wir wollen herausfinden, wie es wirk­lich ist in den Niederungen des Ama­teurfußballs. Deshalb begleiten wir die A-Klasse Nürnberg 6 — eine ganze Saison lang.

Tottis Mundwinkel hängen nach unten. Er sitzt auf den Steinstufen, das Kinn in die Hände gestützt. Vor­hin, als er noch im Trikot steckte, war mehr Leben in ihm. Zwar war er schon da unzufrieden und nur Zu­schauer, dennoch hatte er da noch die Kraft, einen Besucher zurechtzuwei­sen: Er solle woanders mit seinem Hund raufen, das mache ihn nervös. Inzwischen ist die Partie seiner Re­serve- Mannschaft vorbei. Verloren. „Totti, was los?“, feixen die Männer hinter ihm. Totti murmelt etwas auf tunesisch vor sich hin. Vor ihm läuft die erste Mannschaft ein. Jetzt muss er sich auf die konzentrieren.

Boujnah, Achour, Bouraoui, Fathal­li — „In der Reserve“, sagt Detlef Stammwitz, Abteilungsleiter des TV Glaishammer, „spielen viele Tunesi­er.“ Anders als in der ersten Mann­schaft: Paun, Ludica, Fizesan, Coco­niu, Radu, Gricoriciuc heißen sie da. „Aber mir ist es wichtig“, wird im Anschluss der Partie Coach Adrian Buortesch sagen, „dass wir nicht ,der Rumänen-Verein‘ sind.“ Buortesch ist selbst Deutsch­rumäne. Vor vier Jahren wechselte er mit Kapitän Liviu Paun aus Langwas­ser nach Glaishammer. So habe das begonnen: „Es war eher zufällig. Erst kamen Kumpels, Cousins, das hat sich ausgeweitet.“ Seine Spieler stammen inzwischen aus allen Teilen des Lan­des: Temeschburg, Bukarest, Mittelru­mänien, „es ist eine Mannschaft, die Riesenspaß macht. Ich habe dreißig Mann im Training: Die sind nach Deutschland gekommen, um Leistung zu bringen. Wie sie es in der Arbeit machen, machen sie es im Sport“.

An diesem Sonntag trifft Buortesch’ Elf auf ein Kellerkind: Glaishammer gegen Trafowerk, eine Ansetzung, bei der man das Schmieröl riecht, den Stahl quietschen hört; die Sonne steht tief, der gelb-blättrige Ahorn über den Steinstufen taucht immer größere Flächen des Rasens in einen löchrigen Schatten. Auswechselspieler Nicolae Dobrie kickt ein bisschen mit seinen Jungs im Laub abseits des Platzes. Tat­sächlich: Schön ist die Partie nicht. Für solche Fälle aber haben sie ja Spie­ler, die den Unterschied ausmachen. Paul-Andrei Fizesan etwa, Stür­mer, wuchtig, kompromisslos: Er er­zielt das 1:0 per Direktabnahme und vollstreckt das 2:0 nach einem langen Ball. „Ein echter Straßenfußballer“, wie sein Coach schwärmt. Oder Dumitru Ludica, Keeper, der beim Ab­schlag den Ball bis zum gegnerischen Fünfmeterraum fliegen lässt. Ludica ist Lkw-Fahrer, „wir haben ihm einen Job bei einer Spedition besorgt“. Einst kickte Max Morlock hier in der Jugend, jetzt sind sie bei Glaisham­mer stolz, solche Typen zu haben. Und die Spieler sind froh, ein zu Hause fernab ihrer Heimat vorzufinden, eine kleine Enklave im großen Maschinen­raum dieser europäischen Idee.

Diese Mischung verspricht dem klei­nen Verein im Nürnberger Osten Zu­kunft: „Wir stehen finanziell ordent­lich da“, erzählt Stammwitz, der sehr gut Bescheid weiß über die Entwicklungen der letzten Jahre, über das er­wartete Vereinssterben. Jenseits des Zauns, dort wo ein strahlender Him­mel über den pastelligen Reihenhäusern der Sude­tendeutschen Straße leuchtet, spielt die DJK Falke. Deren Fusions-Avancen konnte man bis­lang abwehren: „Wir haben drei Mannschaf­ten, Falke zwei, wo sol­len die alle spielen?“, sagt Stammwitz und zieht davon, Eintrittsgel­der einsammeln. Als er zurückkommt, schep­pern zwölf Euro in seiner Kasse. „Das waren fast alles Vereinsmitglieder, Frauen, Spieler aus der Reservemannschaft.“

So wie Totti. Der muss­te sich zwischenzeitlich wegsetzen, irgendwohin, wo er alleine sein kann mit seinem Ärger. Auf dem Platz legt Sergiu An­toci seinem Kollegen Manfred Schreiber gera­de das 3:0 auf, es ist die schönste Kombination des Tages. Dann pfeift der Schiedsrichter ab. Sie bilden einen Kreis, Buortesch sagt ein paar Worte, dann folgt das Jubelritual: „Schuss-Tor, Schuss-Tor, Schuss-Tor“ und „Hip, hip, hurra“. Zufrieden ist der Trainer mit dem Auf­tritt nicht: „Ich hab früher ja selbst bei Trafowerk gespielt, die Jungs konnte ich dadurch nicht motivieren. Die wollen nur Fußballspielen.“

Möglicherweise werden sie das künf­tig noch besser hinbekommen. Ein Ak­teur namens Marius Muntean hat sich für die Rückrunde angekündigt. Er ist Schausteller, zwar viel unterwegs, aber dennoch: Muntean, der in der Vorbereitung bereits den ein oder anderen Einsatz absolviert hat, stand einst kurz davor, bei Sturm Graz eine Profikarriere zu starten. Vielleicht schaffen sie es mit ihm heraus aus die­ser Liga, in der sie schon seit so vielen Jahren kicken: „Es wäre gelogen, wenn ich sage, dass wir das nicht wol­len“, sagt Buortesch.

Aufrufe: 022.10.2014, 11:38 Uhr
Jan MauerAutor