Tottis Mundwinkel hängen nach unten. Er sitzt auf den Steinstufen, das Kinn in die Hände gestützt. Vorhin, als er noch im Trikot steckte, war mehr Leben in ihm. Zwar war er schon da unzufrieden und nur Zuschauer, dennoch hatte er da noch die Kraft, einen Besucher zurechtzuweisen: Er solle woanders mit seinem Hund raufen, das mache ihn nervös. Inzwischen ist die Partie seiner Reserve- Mannschaft vorbei. Verloren. „Totti, was los?“, feixen die Männer hinter ihm. Totti murmelt etwas auf tunesisch vor sich hin. Vor ihm läuft die erste Mannschaft ein. Jetzt muss er sich auf die konzentrieren.
Boujnah, Achour, Bouraoui, Fathalli — „In der Reserve“, sagt Detlef Stammwitz, Abteilungsleiter des TV Glaishammer, „spielen viele Tunesier.“ Anders als in der ersten Mannschaft: Paun, Ludica, Fizesan, Coconiu, Radu, Gricoriciuc heißen sie da. „Aber mir ist es wichtig“, wird im Anschluss der Partie Coach Adrian Buortesch sagen, „dass wir nicht ,der Rumänen-Verein‘ sind.“ Buortesch ist selbst Deutschrumäne. Vor vier Jahren wechselte er mit Kapitän Liviu Paun aus Langwasser nach Glaishammer. So habe das begonnen: „Es war eher zufällig. Erst kamen Kumpels, Cousins, das hat sich ausgeweitet.“ Seine Spieler stammen inzwischen aus allen Teilen des Landes: Temeschburg, Bukarest, Mittelrumänien, „es ist eine Mannschaft, die Riesenspaß macht. Ich habe dreißig Mann im Training: Die sind nach Deutschland gekommen, um Leistung zu bringen. Wie sie es in der Arbeit machen, machen sie es im Sport“.
An diesem Sonntag trifft Buortesch’ Elf auf ein Kellerkind: Glaishammer gegen Trafowerk, eine Ansetzung, bei der man das Schmieröl riecht, den Stahl quietschen hört; die Sonne steht tief, der gelb-blättrige Ahorn über den Steinstufen taucht immer größere Flächen des Rasens in einen löchrigen Schatten. Auswechselspieler Nicolae Dobrie kickt ein bisschen mit seinen Jungs im Laub abseits des Platzes. Tatsächlich: Schön ist die Partie nicht. Für solche Fälle aber haben sie ja Spieler, die den Unterschied ausmachen. Paul-Andrei Fizesan etwa, Stürmer, wuchtig, kompromisslos: Er erzielt das 1:0 per Direktabnahme und vollstreckt das 2:0 nach einem langen Ball. „Ein echter Straßenfußballer“, wie sein Coach schwärmt. Oder Dumitru Ludica, Keeper, der beim Abschlag den Ball bis zum gegnerischen Fünfmeterraum fliegen lässt. Ludica ist Lkw-Fahrer, „wir haben ihm einen Job bei einer Spedition besorgt“. Einst kickte Max Morlock hier in der Jugend, jetzt sind sie bei Glaishammer stolz, solche Typen zu haben. Und die Spieler sind froh, ein zu Hause fernab ihrer Heimat vorzufinden, eine kleine Enklave im großen Maschinenraum dieser europäischen Idee.
Diese Mischung verspricht dem kleinen Verein im Nürnberger Osten Zukunft: „Wir stehen finanziell ordentlich da“, erzählt Stammwitz, der sehr gut Bescheid weiß über die Entwicklungen der letzten Jahre, über das erwartete Vereinssterben. Jenseits des Zauns, dort wo ein strahlender Himmel über den pastelligen Reihenhäusern der Sudetendeutschen Straße leuchtet, spielt die DJK Falke. Deren Fusions-Avancen konnte man bislang abwehren: „Wir haben drei Mannschaften, Falke zwei, wo sollen die alle spielen?“, sagt Stammwitz und zieht davon, Eintrittsgelder einsammeln. Als er zurückkommt, scheppern zwölf Euro in seiner Kasse. „Das waren fast alles Vereinsmitglieder, Frauen, Spieler aus der Reservemannschaft.“
So wie Totti. Der musste sich zwischenzeitlich wegsetzen, irgendwohin, wo er alleine sein kann mit seinem Ärger. Auf dem Platz legt Sergiu Antoci seinem Kollegen Manfred Schreiber gerade das 3:0 auf, es ist die schönste Kombination des Tages. Dann pfeift der Schiedsrichter ab. Sie bilden einen Kreis, Buortesch sagt ein paar Worte, dann folgt das Jubelritual: „Schuss-Tor, Schuss-Tor, Schuss-Tor“ und „Hip, hip, hurra“. Zufrieden ist der Trainer mit dem Auftritt nicht: „Ich hab früher ja selbst bei Trafowerk gespielt, die Jungs konnte ich dadurch nicht motivieren. Die wollen nur Fußballspielen.“
Möglicherweise werden sie das künftig noch besser hinbekommen. Ein Akteur namens Marius Muntean hat sich für die Rückrunde angekündigt. Er ist Schausteller, zwar viel unterwegs, aber dennoch: Muntean, der in der Vorbereitung bereits den ein oder anderen Einsatz absolviert hat, stand einst kurz davor, bei Sturm Graz eine Profikarriere zu starten. Vielleicht schaffen sie es mit ihm heraus aus dieser Liga, in der sie schon seit so vielen Jahren kicken: „Es wäre gelogen, wenn ich sage, dass wir das nicht wollen“, sagt Buortesch.