2024-04-25T10:27:22.981Z

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Auf seiner Harley Davidson kann sich Karl-Heinz Reisdorf heute wunderbar entspannen. TV-Foto: Jürgen C. Braun
Auf seiner Harley Davidson kann sich Karl-Heinz Reisdorf heute wunderbar entspannen. TV-Foto: Jürgen C. Braun

Ein Mann, ein Motto: Born to be wild

Neue Volksfreund-Serie "Nachspielzeit": Karl-Heinz Reisdorf war als Fußballer kompromisslos - Die Folge: fünf Rücken-OPs

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Nicht viele Spieler standen so wie er für kompromisslosen Einsatz, Leidenschaft und Hingabe: Karl-Heinz Reisdorf war lange Jahre einer der besten Fußball-Torjäger im Südwesten und später - als die Karriere längst zu Ende hätte sein müssen - ein Turm in vielen Abwehrschlachten. Heute, mit 57 Jahren, gibt Reisdorf als Trainer sein Wissen und ein Stück seiner Mentalität weiter.
Trier/Leiwen. Es ist dieses eine Bild, das ihm nicht mehr aus dem Kopf geht. Seit mittlerweile 35 Jahren. "Es ist mein absolutes Lieblingsfoto", sagt Karl-Heinz Reisdorf, den viele nur "Kalla" nennen. 1981 war es: Der FSV Salmrohr weihte sein neues Stadion ein. Dazu hatte er keinen Geringeren als den großen FC Bayern München eingeladen. "Reimund Brittner hatte von links geflankt. Der Ball kam halbhoch an, irgendwo zwischen Bauch und Knie. Klaus Augenthaler und ich sind beide im Tiefflug rein in die Flanke. Ich war vor ,Auge’ am Ball und habe ihn gegen den Außenpfosten gedrückt. Schade."
Als Sturmtank des FSV Salmrohr wurde Reisdorf zum Begriff. Im Verein, in der Region, im Fußball-Südwesten. Binnen neun Jahren erzielte er 129 Oberliga-Treffer. "70 Prozent meiner Tore habe ich mit dem Kopf gemacht", sagt Reisdorf. Plastisch beschreibt er seine schonungslose Art des Fußballspielens: "Ich bin mit dem Kopf dahin gegangen, wo andere sich mit dem Fuß nicht hingetraut haben."
Als 20-Jähriger war Reisdorf vom TuS Kröv, mit dem er gerade in die Verbandsliga aufgestiegen war, nach Salmrohr gegangen. Er blieb bis 1986. Und er war am größten Erfolg der Salmtal-Kicker - am Aufstieg in die Zweite Fußball-Bundesliga - beteiligt, ohne ihn danach auskosten zu können. Der Körper, der Rücken, streikte schon mit Ende 20. Und damit die Physis, von der er lebte. "Mein Körper war mein Kapital", sagt Reisdorf. Seine Wucht, mit der er alle mitriss. Sich selbst, seine Mannschaftskameraden, die Zuschauer - und jede Menge gegnerische Abwehrspieler, die er reihenweise verschliss.

"Ich war sechs Minuten tot"


Nach seiner Salmrohrer Zeit kam die erste von mehreren Rücken-Operationen. "Eigentlich hätte ich schon damals aufhören müssen, meiner Gesundheit zuliebe." Reisdorf tat es nicht. Wo auch immer "Kalla" danach spielte, der Mann mit dem Kreuz eines Möbelpackers und dem Gang eines John Wayne war in puncto Einsatz immer ganz weit vorne - beim Oberligisten SV Leiwen, beim Hermeskeiler SV, mit dem er in die Verbandsliga aufstieg, beim SV Krettnach oder auch in der luxemburgischen Ehrendivision bei Victoria Rosport.
Ob er noch einmal alles genau so machen würde, mit der gleichen Leidenschaft, wohlwissend um die Folgen? "Ich war jung. Ich konnte mir nicht vorstellen, aufzuhören." Er wollte es auch nicht. Was im Sturm nicht mehr ging, transportierte er nach hinten: unbändigen Siegeswillen, Besessenheit. Aus dem Sturmtank wurde der Libero. Einer, der den Laden dicht hielt. Und doch musste er seinem Körper bald jene Pausen zugestehen, die dieser einforderte.
Fünf Operationen am geschundenen Rücken stehen auf der Liste seiner Odyssee durch die Kliniken. "Während einer OP war es ganz kritisch. Sie dauerte fünf Stunden, zwischendurch kam es zum Herzstillstand." Mit dem Defibrillator habe das Ärzteteam ihn zurückgeholt. Mit leisem Sarkasmus meint er: "Ich habe so gut wie nichts ausgelassen. Ich war sogar schon sechs Minuten tot."
Die Folgen der Leiden sind sichtbar: "Ich bin fünf Zentimeter kleiner als früher." Aus 1,84 Metern sind 1,79 Meter geworden. Ohne Schmerzmittel geht nichts mehr bei Reisdorf, der heute den B-Liga-Spitzenreiter SG Thalfang/Berglicht trainiert.
Hinter der rauen Schale steckt ein weicher Kern. Ein sensibler Mensch: "Ohne den Rückhalt meiner Familie, meiner Frau und meines Sohns, hätte ich das alles nicht geschafft."

"Spieler müssen mich googlen"


Vieles von dem, was ihn ausgezeichnet hat, will er heute seinen jungen Spielern mitgeben: "Für 90 Minuten alles ausblenden. Dann gilt nur eines, nur dieses eine Ziel. Siegen, obenauf bleiben." Es war diese völlige Hingabe, die ihn als Spieler ausgezeichnet hat. Immer nur eines machen, aber das richtig: Wie auch in seinem Beruf als Kraftfahrer für ganz besondere Einsätze. Die 20-Jährigen, mit denen er heute arbeitet, haben ihn nie spielen gesehen. "Wenn sie wissen wollen, wer ihr Trainer ist, dann müssen sie mich googlen."
Reisdorf hat von seiner Einstellung im Lauf der Jahre nichts verloren. Aber er ist insgesamt entspannter geworden. "In zweieinhalb Jahren werde ich 60. So lange will ich auf jeden Fall noch weiter trainieren." Und danach? "Mal sehen."
Mittlerweile hat er Fähigkeiten erworben, die er als junger Haudrauf nicht hatte: Gelassenheit und die Ruhe, zu sich selbst zu finden. Auf seinem Traum auf zwei Rädern, den er sich gegönnt hat: eine Harley Davidson Dyna Super Glide. Ein Bike, dessen Mythos wie für ihn geschaffen scheint: Born to be wild - geboren, um wild zu sein.

Extra

Sie haben den Fußball in der Eifel, an der Mosel, im Hunsrück und an der Saar über Jahre und teilweise sogar über Jahrzehnte hinweg geprägt. Durch unvergessene Spiele, durch ihre Qualitäten als Torjäger, als Mittelfeld-Strategen, als Abwehrchefs oder als unvergessene Torhüter. Größtenteils aber haben sie dem Fußball in der Region durch ihre Persönlichkeit sowie durch ihr Auftreten auf und außerhalb des Spielfelds viel mehr als nur Ergebnisse, Siege, Niederlagen, Auf- oder Abstiege gegeben. Der Volksfreund und FuPa Rheinland haben sich mit legendären Kickern von einst getroffen und dabei auch die Menschen hinter den Sportlerpersönlichkeiten beleuchtet. Entstanden ist daraus unsere neue Serie "Nachspielzeit", die in loser, aber regelmäßiger Folge erscheinen wird. Im Mittelpunkt unseres ersten Teils steht heute Karl-Heinz Reisdorf.
Aufrufe: 029.1.2016, 13:40 Uhr
volksfreund.de/Jürgen C. BraunAutor