2024-05-02T16:12:49.858Z

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Beobachtungen aus einer Kreissportgerichts-Verhandlung. Foto: Archiv
Beobachtungen aus einer Kreissportgerichts-Verhandlung. Foto: Archiv

Drei Stunden Sauna ohne Erkenntnisgewinn

+++ Der Fall Türkiyemspor Gießen +++

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Giessen. Manchmal können Hobby und Ehrenamt Nerven kosten. Zum Beispiel bei Schiedsrichter Mehmet Koc aus Sterzhausen, der am Mittwochabend in der Causa Türkiyemspor Gießen gegen TSF Heuchelheim II vor dem Kreisportgericht in Wieseck aussagen musste (wir berichteten). Koc brach von der Verhandlung direkt in den Urlaub auf: 3000 Kilometer Fahrt in die Türkei. Eigentlich wollte er schon früher los.

Im Grunde hätte er das auch gekonnt, denn großen Erkenntnisgewinn brachten seine Aussagen nicht. In der von den TSF Heuchelheim eingebrachten Stellungnahme, die das Sportgericht um den Vorsitzenden Harry Keil zwang, den Vorfällen aus dem letzten A-Liga-Rundenspiel nachzugehen, war davon die Rede, Schiedsrichter Koc habe auf dem Platz türkisch gesprochen. Das bestritt dieser aber ebenso wie die Vorwürfe, dass jene von den Heuchelheimern aufgelisteten Tätlichkeiten (,,Spieler A fasst Spieler B mehrfach in den Nacken") ,,vor den Augen des Schiedsrichters" geschehen seien.

Herr Koc argumentierte: ,,Wenn ich es gesehen hätte, hätte ich Rot gegeben, ich bin seit 15 Jahren Schiedsrichter, da weiß ich, was zu tun ist." Zu den vermeintlichen Nickligkeiten des bedeutungslosen Spiels konnte der Schiedsrichter nichts beitragen, die Türkiyemspor-Spieler hielten die von den TSF eingereichten Beispiele für Allerwelts-Aktionen. Dem ist nur schwer zu widersprechen, wenn in der TSF-Auflistung davon die Rede ist, dass ein Heuchelheimer Spieler, der bei einem Freistoß den Ball blockierte mit den Worten ,,Verpiss dich" weggeschoben wurde. Tatsächlich war auch da nicht aufzuklären, ob ,,Verpiss dich" (,,Ich weiß nicht, ob ich es gesagt habe") überhaupt gefallen ist. Da auch der Heuchelheimer Spielführer keine großen Neuigkeiten beisteuerte (,,Ich habe gespürt, dass er mich in den Nacken gefasst hat und von draußen wurde es auch reingerufen"), blieb nach über zweistündiger Beweisaufnahme nicht viel mehr übrig wie beim oft zitierten Hornberger Schießen: Nix Genaues weiß man nicht. Aussage stand gegen Aussage.

Brisante Geste?

Die Brisanz der Verhandlung war allerdings anderweitig zu verorten, denn als wesentlicher Tatbestand blieb die Frage, ob der Torwart von Türkiyemspor tatsächlich ,,die Heuchelheimer Zuschauer als Nazis" titulierte und Richtung TSF-Trainerbank den Hitlergruß zeigte. Das wiederum könnte auch zivilrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Doch während TSF-Trainer Daniel Marx ,,mindestens zweimal ohne Zweifel" die Geste gen Heuchelheimer Bank gesehen haben wollte, bestritt Sevdet Aydin (,,Warum sollte ich das tun, ich weiß gar nicht wie das geht") den Sachverhalt. Er habe mit der Geste des ausgestreckten Armes lediglich angezeigt, dass der Ball beim Abschlag lang komme. Das aber mache er in jedem Spiel. Beim vierten Tor habe er zudem vier Finger gezeigt, ,,weil ich 4:0 getippt hatte, ist ja leider 4:2 ausgegangen." Den ,,Nazi"-Vorwurf räumte Aydin ein, allerdings sei er von einem hinter dem Tor stehenden Heuchelheimer Zuschauer provoziert worden. Der habe ihn als ,,schlechten Torwart" bezeichnet und sinngemäß gesagt: ,,So kannst du in der Türkei halten, geh in dein Land zurück."

Das Ende vom Lied in der Sauna vor dem Kreissportgericht waren minimal angesetzte Strafen, weil kein Beweis für schuldhaftes Verhalten erbracht worden war. Zwei Spiele Sperre für die ,,Nazi"-Aussage nach Provokation, 200 Euro Geldstrafe plus Verfahrenskosten und drei Punkte Abzug gegen den Verein Türkiyemspor, weil ,,es die Rechtsordnung so vorsieht, da haben wir keinen Spielraum", wie Harry Keil ausführte. Und schließlich ein Mediationsprogramm, das der Hessische Fußball Verband über das sogenannte Fairplay-Forum initiiert. Ein Anti-Agressionstraining für Türkiyemspor, das bei ,,gutem Erfolg" sogar dazu führt, dass die drei Punkte wieder gutgeschrieben werden. Dass der Verein das Programm durchlaufen muss, liegt darin begründet, dass Türkiyemspor in der abgelaufenen Saison mehrfach auffällig geworden ist.

Metin Agman, Vorsitzender des Vereins, sieht allerdings komplett andere Voraussetzungen: ,,Wir haben sieben Spieler aussortiert, weil das nicht funktioniert hat, die zweite Mannschaft abgemeldet und auch einen neuen Vorstand gebildet, der mithelfen soll, das schlechte Bild zu korrigieren." Er sieht, dass ,,unsere neuen Spieler für etwas bestraft werden, wofür sie nicht verantwortlich sind". Harry Keil sagte, dass das eben nur so machbar ist, die Strafe beziehe sich auf die Vorsaison, werde aber mitgenommen. Manchmal kosten Hobby und Ehrenamt ganz schön Nerven. Diesen Eindruck konnte man tatsächlich bei allen Beteiligten am Ende der dreistündigen Verhandlung gewinnen.



Aufrufe: 024.7.2015, 11:40 Uhr
Rüdiger DittrichAutor