Dergahs Muarrem Demir hat in jenen 20 Minuten Zeit. Viel Zeit. Immer wieder schüttelt er ungläubig den Kopf, dreht sich um, diskutiert mit Spielern und Betreuern. Nicht mehr wegen jener einen Szene, die zur Verletzung führte, nein. Es ist Fassungslosigkeit über die 62 gespielten Minuten zuvor. Denn dieses Spiel war kein gewöhnliches Landesligaspiel. Eine Halbzeit lang lief alles wie am Schnürchen für Demir und Dergahspor. Volkan Avci schoss in der 15. Minute die Führung. Es folgten nicht eines, es folgten auch nicht zwei, es folgten sogar noch drei weitere Tore für Dergahspor. Leondrit Maraj, wiederum Volkan Avci und Athanasios Gkenios brachten Dergahspor mit 4:0 in Führung. In Worten: Vier zu null. „Es war wie im Bilderbuch“, sagt Demir und schüttelt schon wieder den Kopf. Denn dieses Buch wurde nur bis zur 52. Minute vollgeschrieben, dann legte es irgendjemand weg und schob stattdessen einen Horrorfilm ein - für die Spieler von Dergahspor. Denn dem Pegnitzer Stephan Otto gelang in jener 52. Spielminute der Treffer zum 1:4. Es war der Beginn einer furiosen Aufholjagd. Ein Zwölf-Minuten-Spielfilm, an dessen Ende ein 4:4-Unentschieden stand und der nur durch den Zwischenfall um Ayoub El Barrhiti unterbrochen wurde. In der 64. Spielminute. Um 17.19 Uhr. „Wir haben in der Halbzeit gedacht, dass das Spiel vorbei ist, obwohl ich gewarnt habe. Ich habe gesagt, wir müssen den Sack zumachen, wir dürfen nicht lockerlassen“, sagt Demir sichtlich bedient.
Denn jenes verrückte Spiel war zwar lange unterbrochen, aber immer noch nicht zu Ende. Keine 60 Sekunden nach Wiederanpfiff erzielte Yannik Podgur sogar die 5:4-Führung für den ASV Pegnitz. Dergahspor schlug zurück, glich zum 5:5 aus und erzielte eine Minute vor Schluss das Führungstor zum 6:5. Dann spielten die Emotionen an der Seitenlinie verrückt. 60 Sekunden lang. Ein Foul im Strafraum, ein Pfiff und ein trocken geschossener Elfmeter holten Muarrem Demir dann aber wieder zurück. Zurück in seine Fassungslosigkeit - wie schon um 17.19 Uhr. Statt 4:4 hieß es nun 6:6. Demir steht nach dem Spiel also unter zwei Sträuchern, ein paar Meter vom Ort des Geschehens entfernt: „Ich verstehe es nicht. Ich verstehe es nicht. Ich verstehe es nicht“, stammelt er. „Wenn es einen Fußballgott gibt. Der will uns einfach nicht. Ich kämpfe die ganze Zeit, nehme jedes Hindernis. Aber es soll nicht sein, glaube ich.“
Dann greift er sie wieder auf, seine Lieblingsmetapher von der schwarzen Wolke, die über der Saison von Dergahspor hängt. „Schauen Sie nach oben, alles dunkel.“ In der Tat spiegelte das nasskalte, graue Wetter am Samstag wieder einmal die Saison von Dergah wider, die nach wie vor akut abstiegsbedroht sind. Ein Weilchen bleibt der 34-Jährige nach dem Spiel dann aber doch noch, schlendert erst langsam Richtung Ausgang, bleibt am Ende noch einmal ganz abrupt stehen und blickt ungläubig nach oben: „Das gibt es nicht. Jetzt wird es wieder hell.“ Es war ein verrückter Fußballnachmitag.