2024-04-24T13:20:38.835Z

Ligabericht
Nicht mit der zweiten Reihe tauschen will Tobias Zellner im Bundesliga-Zirkus. Weil das Trio so harmoniert. Foto: dpa
Nicht mit der zweiten Reihe tauschen will Tobias Zellner im Bundesliga-Zirkus. Weil das Trio so harmoniert. Foto: dpa

Der Vorteil, über alles reden zu können

Der Neu-Schalker und Niederbayer Tobias Zellner über das harte Geschäft mit der Leidenschaft Fußball und die Menschen des Spiels

„Die machen das ganz gut“, lässt Tobias Zellner den Abend halbwegs entspannt vor der Glotze ausklingen, ehe sich die Darmstädter „Lilien“ trotz der Anerkennung des Schalker Co-Trainers doch vergeblich gewehrt hatten gegen die sich abmühenden Bayern. Kurz zuvor hatten das auch die Freiburger richtig gut gemacht in der königsblauen Arena, Weinzierl & Co. den Jahresabschluss vermiest, ehe es in Hamburg noch schlimmer kommen sollte. Gottseidank Pause, die Wunden lecken, den Langmut der Anhängerschaft bloß nicht überstrapazieren, der ist ohnehin längst ausgereizt.

Jenes Abmühen wie beim 1:1 gegen den Aufsteiger aus dem Breisgau lässt dem Schalker Knappen namens Tobias Zellner im königsblauen Trainertrio kein berauschendes Jahresfazit ziehen, auch für den 39-Jährigen kommt die Winterpause recht. Schließlich war es anstrengend, diese völlig neue Aufgabe zu schultern im Verein mit Markus Weinzierl und Wolfgang Beller. Weiß Gott um mehr als nur eine Hausnummer fordernder als in der beschaulichen Fugger-Stadt Augsburg. Hinter deren Mauern es gegen Ende der Weinzierl-Ära gebröckelt hatte, wie sich inzwischen erwiesen hat.

Wer kann vier Stürmer ersetzen

Dass es fünf vor zwölf war, vor jenem ersten Saisonsieg beim 4:0 gegen Gladbach, das will Tobias Zellner gar nicht leugnen, die Bestätigung haben die ehemaligen Weggefährten der Unterklassigkeit in ihren SMS-Speichern. Doch die vorweihnachtliche Ergebnis-Krise in „Herne-West“ mit schon wieder vier Niederlagen in fünf Pflichtspielen am Stück sei nicht besorgniserregend am sensiblen Schalker Markt, so das Gespür des Bischofmaisers in der großen Welt. „Da gibt es nichts zu meckern, wer kann schon vier Stürmer ersetzen, da würde sich sogar Bayern München schwer tun“, gilt es dem Ex-Miltacher Glauben zu schenken, denn der ist nun wirklich weitaus näher dran als wir Sportschau-Flachland-Tiroler, ist um schlüssige Erklärungen für uns bemüht. Erst später sickert durch, dass der bisherige HSV-Brecher Jean-Pierre Lasogga nicht abgeneigt sei, mit einem Wechsel zu S04 Abwechslung in sein tristes Bankspieler-Dasein zu bringen.

So misst in diesen (dennoch erneut schweren) Tagen der Weinzierl-Assistent Seite an Seite mit Wolfgang Beller zumindest äußerlich der vorweihnachtlichen Delle in der Erfolgskurve nicht allzu große Bedeutung zu. Dass sich Ernst Kuzorras Erben nach fast zehn Jahren erstmals nicht für den Europacup qualifizieren könnten, muss noch nicht Fakt sein: „Mit einer sehr starken Rückrunde kannst du leicht noch Sechster, Siebter werden“, beruhigt sich der Mann mit dem einen persönlichen Bundesliga-Spiel in der Vita auch ein klein wenig selber. Nach zwölf Spielen ohne Niederlage am Stück samt scheinbar beginnender Verfolgung des Erzfeindes in „Lüdenscheid-Nord“ bedarf es in dieser Dichte bundesdeutscher Erstklassigkeit nur Zufällen, um alles schnell wieder kaputt gehen lassen: „Über den Elfer in Leipzig ist eigentlich alles gesagt“, glaubt Zellner sich rapide steigernde Unsicherheit bei den Bundesliga-Schiris ausgemacht zu haben. Zählt die Salzburg-Pleite intern nicht, „weil wir da einiges ausprobiert haben“, war das späte 0:1 in Unterzahl gegen Leverkusen „ganz blöd“. Denn: „Wenn es ein bisserl anders läuft, kannst du sogar zwei, drei Null gewinnen“, so des Bayerwäldlers Insiderwissen.

24 Spiele in vier Monaten

Das karge 1:1 gegen die forschen Badener war ebenso im Rahmen, „sehr laufintensiv und kompakt“ habe sich der Aufsteiger den Punkt verdient, werde „ganz bestimmt nicht absteigen“. Darüber dürfe keiner vergessen, dass die Königsblauen 24 Spiele in vier Monaten Dauerstress intus hätten. Und irgendwie ist immer Druck auf Schalke, wenngleich das auch positive Züge haben könne, erzählt uns der „Tobi“. Des Knappen Kicker-Herz habe verinnerlicht, dass da auf dem Platz eine Mannschaft stehe, die alles geben wolle. Sowas werde honoriert unter der Prämisse, dass gewissenhafter Umbruch und Aufbruch in erfolgreichere Zeiten eben Geduld erfordere. Um Krisen durchzustehen im Kollektiv, darin hatte das ostbayerische Trio genügend Lehrjahre in Augsburg. Sodass zu Zellners Genugtuung nie Gefahr bestanden hätte, im Kollektiv vor die Tür gesetzt zu werden. Einmal, weil der neue Manager Christian Heidel durch sein Image viel Druck abfängt und weil das Trio um Weinzierl offen alle Probleme analysiert, alles ausdiskutiert. „Deshalb schätzen wir uns gegenseitig so in der jeweiligen Position, es besteht nicht die Gefahr, dass dir einer in den Rücken fällt“, plaudert der „Co“, befreit von früheren Zwängen durch dünnhäutige Präsidenten und sensible Pressestellen. Einen Cheftrainer Tobias Zellner könne er sich dennoch in naher Zukunft nicht vorstellen. „Es passt so wie es ist in unserem Dreier-Team“, erwartet Zellner eine noch lange kreative Zeit des Trios. Am liebsten natürlich in Königsblau, versteht sich.

Der Videobeweis wäre hilfreich

Dass sie es fachlich drauf haben, wussten die drei selber, die Vierer-Kette war zum Saisonstart zu anfällig, ein Stürmer allein war zu wenig vorne drin. Alte Schule, das System auf die Spielertypen zuschneiden nicht umgekehrt: Mit einer Dreier-Kette lief es sofort besser, erst recht mit mehr Kräften im Sturmzentrum, des Knappen Fan-Seele war vorerst beruhigt. Wenngleich sich keiner sicher sein könne, bestätigt Szene-Kenner Zellner. Siehe Augsburg, Wolfsburg, eine weitaus bessere Rückrunde ist Pflicht für Weinzierl & Co. Eine Herausforderung, denn „dann darf die Konkurrenz nicht wieder so stark sein“. Angespannt sei Zellner immer, bekennt die ehemalige Miltacher Wanninger-Entdeckung, ob gegen Darmstadt oder die Bayern, egal. „Gegen Darmstadt ist der Druck sogar höher, weil alle einen Sieg erwarten“, k ö n n e man gegen die Bayern nur gewinnen, so der feine Unterschied. In Sachen „Red Bull-Elfmeter“ plädiert Zellner sogar für den Videobeweis bei strittigen Spielszenen, ohne dass der Charakter dieses so dynamisch gewordenen Spiels verloren gehen müsse.

Dem Charakter ihrer Anhänger wollen die S04-Kicker bald auch näher kommen. Im Januar werden es Spieler und Trainerstab ihren Vorgängern gleich tun, und für eine spezielle Schicht einfahren. Für den kulturell interessierten Ex-Studenten Zellner eine Geste, um die Mentalität des Zusammenhalts unter Tage zu simulieren. So wie es bisher üblich war für neue Trainer und Spieler. 2018 macht die letzte Zeche zu in Bottrop, die vorletzte besuchen die Schalker, Zellner hat sich informiert bei der Doku-Filmpremiere „Schicht im Schacht“. Dass es nur zwölf Tage sind, die der Ex-Cluberer, Ex-Pirmasenser und Ex-Schlackeplatz-Kicker des FV Engers füllen kann mit Entspannung, Besuch der Heimat und Organisation von Autogrammkarten-Sonderwünschen aus der Kegler-Bundesliga, auch das ist Zellnerscher Alltag. Neu ist, dass das winterliche Trainingslager nahe der ehemaligen spanischen Hochburg Alicante stattfindet, nicht mehr in der vom Terror gebrandmarkten Türkei. „Da geht nur noch einer hin aus den drei deutschen Profiligen, Erfurt“, grinst Tobias Zellner. Die Thüringer haben schließlich noch mehr aufzuholen in der Tabelle.

Aufrufe: 01.1.2017, 23:00 Uhr
guAutor