2024-04-19T07:32:36.736Z

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F: Sebastian Pototzki
F: Sebastian Pototzki

Der Traum vom ganz großen Fußball

Viele Nachwuchsspieler aus Japan möchten den Sprung in die Bundesliga schaffen - und landen oftmals bei einem Landesligisten.

Ob Shinji Kagawa bei Borussia Dortmund, Atsuto Uchida bei Schalke 04 oder Gotoku Sakai, der den Hamburger SV sogar als Kapitän auf den Platz führt - Japaner sind im deutschen Profifußball allgegenwärtig. Acht Japaner spielen in der Bundesliga, doch auch der Amateurfußball wird zunehmend Ziel der Asiaten: Elf Japaner sind momentan in den Kadern der Oberliga Niederrhein gelistet, 23 sind es in den beiden Landesligastaffeln, zahlreiche selbst in der Bezirksliga. Beinahe jeden von ihnen einen dabei drei Dinge: der Mut zum Sprung in ein Abenteuer, eiserne Disziplin und der große Traum vom Fußballstar.

"Das sind alles sehr ehrgeizige Jungs, die mit dem ganz großen Ziel nach Deutschland kommen", sagt Gert Engels, der sich mit dem japanischen Fußball so gut auskennt wie kaum ein anderer. 20 Jahre lang lebte und arbeitete der ehemalige Bundesligaspieler in Japan, wo er unter anderem als Co-Trainer unter Guido Buchwald und Holger Osieck in der erstklassigen J-League trainierte. Mittlerweile betreibt er in Düren eine speziell auf japanische Spieler ausgerichtete Fußballschule, zu der auch zwei Wohnhäuser gehören. Spätestens seit zwei Jahren erlebt er einen Boom: "Seit Deutschland Weltmeister geworden ist, ist das mehr geworden. Da kommen reihenweise junge Leute, die ihren Stars in der Bundesliga nacheifern."

Dass Anspruch und Wirklichkeit dabei freilich oft weit auseinander liegen, macht die ohnehin schwierige Aufgabe Engels' nicht leichter. Denn für die jungen Japaner, die meist mit Anfang 20 nach Deutschland kommen, sieht er sich nicht nur als Trainer, sondern auch als Mentor und Bezugsperson: "Es geht auch darum, den Jungs die Realität zu vermitteln. Wenn 100 Japaner kommen, dann muss man sich nicht wundern, wenn es nicht mal einer zum Profi schafft. Mein Ziel ist es, den Spielern mehr mitzugeben."

Es gilt nämlich noch zu beweisen, dass der Weg über den Amateursport bis in den wirklich gut bezahlten Fußball führen kann. Ryo Suzuki, der sich aus Engels Fußballschule immerhin zu einem Einwechselspieler beim Regionalligisten Alemannia Aachen hochkämpfte, gilt als Aushängeschild. Für die meisten Spieler ist in der Bezirks- oder Landesliga Endstation. Dass dennoch so viele den Schritt wagen, habe mit der japanischen Mentalität zu tun, wie Engels erklärt: "Die Japaner sagen und denken immer: 'Sky is the limit'. Als ich in der J-League war, hat vor der Saison jeder Trainer gesagt, dass er Meister werden will."

So seien die meisten in der Regel auch nicht enttäuscht, wenn es nicht klappt. "Einen Versuch ist es immer wert", sagt ein japanischer Spielervermittler, der sich in Düsseldorf als Berater ebensolcher Talente selbstständig gemacht hat. Dass er seinen Namen nicht eher in der Presse lesen möchte, bis er es geschafft hat, einen Spieler zum Bundesligastar zu machen, passt perfekt ins japanische Selbstverständnis. "Ich habe schon vier, fünf Spieler in die Regionalliga gebracht, aber mein Ziel ist es natürlich, jemanden nach ganz oben zu bringen", sagt der Berater, der selber vor fünf Jahren nach Deutschland kam. Seinen Spielern vermittelt er meist Wohnungen und oft auch Nebenjobs in japanischen Restaurants in Düsseldorf. Die nötigen finanziellen Mittel für diesen Auslandsaufenthalt kämen meist von den wohlwollenden Eltern aus Japan.

In der Szene sind die Importe aus Fernost längst geschätzt. Bezirksligist SV Uedesheim baut schon seit sieben Jahren auf Rechtsverteidiger Yasuhito Sunohara, der schnell in Deutschland heimisch wurde. Auch die heimischen Landesligisten VdS Nievenheim (Yuji Hamano, Atsushi Yokoyama), VfL Jüchen/Garzweiler (Yuki Ohara) und TSV Bayer Dormagen (Keiji Takahashi, Kenji Yamamoto) verzichten nicht auf japanische Verstärkung. Dennis Sobisz, der den Ligakonkurrenten VSF Amern trainiert, darf seit dieser Saison den 21-jährigen Yuichiro Chino bei seinem Dorfverein begrüßen und zählt die Eigenschaften auf, die für beinahe jeden Spieler dieser Herkunft zuzutreffen scheinen: "Er ist super zuvorkommend, aufmerksam, und wissbegierig. Was man von Japanern halt kennt..."

Die Spieler sind meist technisch und läuferisch auf einem hohen Niveau und arbeiten hart an sich, haben taktisch und athletisch aber oft große Defizite. "Deswegen werden sie auch bei fast allen Vereinen als Außenstürmer eingesetzt", erklärt Paul Rösgen. Der Sportliche Leiter des Oberligisten SC Kapellen machte im Vorjahr glänzende Erfahrung mit seiner "japanischen Flügelzange", als Keisuke Ota, der mittlerweile zum Ligarivalen SSVg Velbert gewechselt ist, mit 13 Treffern zum Toptorjäger avancierte und Shota Arai auf der anderen Seite als technisch starker Kilometerfresser ebenfalls Stammspieler war. "In einem Oberligakader hast du in deiner Planung fast immer ein oder zwei Löcher im Offensivbereich. Da helfen die Japaner natürlich extrem weiter", sagt Rösgen. Er kennt allerdings auch die Kehrseite der Medaille: "Mit solchen Spielern kann man natürlich nicht langfristig planen, nach einem oder zwei Jahren sind die meistens wieder weg. Ist ja auch logisch, dass da keine Bindung zum Verein entsteht und sie bei einer besseren Chance wechseln."

So endet das Unternehmen Fußballprofi fast immer unvollendet. Kein Beinbruch, wenn man Gert Engels fragt: "Man ist nicht gescheitert, wenn man es nicht geschafft hat. Ich würde mich freuen, wenn die Spieler möglichst viel aus ihrer Zeit hier mitnehmen. So eine Auslandserfahrung hat noch keinem jungen Menschen geschadet."

Aufrufe: 030.12.2016, 18:30 Uhr
Neuß-Grevenbroicher Zeitung / Christos PasvantisAutor