2024-05-10T08:19:16.237Z

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Foto: Christof Wolff
Foto: Christof Wolff

Der neue Nachbar

Enzu Condé, 17, aus Guinea ist in einem Boot über das Mittelmeer geflüchtet +++ Jetzt trainiert er bei den Sportfreunden Gerresheim +++ Er sagt: "Fußball macht das Leben besser.."

Es ist Montagabend im Osten Düsseldorfs. Während die Sonne gerade über dem Sportplatz im Stadtteil Gerresheim verschwindet, geht das Training der A-Jugend seinem Ende entgegen. Ein letzter Angriff, ein letzter Torschuss. Kurze Zeit später stehen die Spieler vor dem Vereinsheim, reichen die Wasserflaschen umher und wischen sich den Schweiß aus dem Gesicht.

Auch Enzu Condé ist dabei, der hier schon fast ein Prominenter ist, seitdem seine Geschichte durch die Zeitungen ging. Eigentlich ist Enzu ein Junge wie die anderen auch. 17 Jahre alt, sportlich, aus der Nachbarschaft und fußballverrückt. Doch Enzu ist nicht freiwillig hier. Ursprünglich kommt er aus dem westafrikanischen Guinea, ehe er vor fünf Jahren all seinen Mut zusammennimmt und ganz allein vor der Militärdiktatur flüchtet.

Nun steht er hier in Gerresheim in seinem Fortuna-Trikot und lächelt. Ob er auf dem beschwerlichen Weg denn auch mal an Fußball gedacht habe? „Ja“, sagt der 17-Jährige nickend. „Ich liebe Fußball.“ Schon in Guinea habe er in einer Mannschaft gespielt, sich aber kurz vor seiner Flucht verletzt. Doch der Wunsch, irgendwann auch in Europa Fußball zu spielen, der war die ganze Zeit in ihm.

Als Enzu im Februar vergangenes Jahres in Düsseldorf ankommt, kümmert sich endlich ein Arzt um seinen lädierten Fuß. Seitdem er wieder schmerzfrei laufen kann, spielt er bei den Sportfreunden Gerresheim. „Aber ich brauche noch den Spielerpass.“ Für Enzu bedeutet der Spielerpass die Welt. Wenn er ihn bekommt, wäre das ein Meilenstein auf seinem Weg in eine bessere Zukunft. Die Vergangenheit hatte nur wenige schöne Momente für ihn übrig. Als sein Vater 2010 stirbt, verliert Enzu Condé seine einzige Bezugsperson. Und das einzige, was ihn in der Heimat hält. Enzu ist gerade mal zwölf Jahre alt, fast noch ein Kind, als er die mutige Entscheidung trifft. Er will weg aus dem korrupten Land, in dem die Militärregierung auf Demonstranten schießt und jeder ihrer Willkür ausgesetzt ist.

Erst schlägt er sich bis in den Norden durch. Am Mittelmeer angekommen, steigt er auf eins dieser Flüchtlingsboote. Enzu hat Glück, seines kommt an. Doch kaum hat er spanischen Boden betreten, wird er für Wochen inhaftiert. Sieht so das Glück in Europa aus, von dem alle reden? Als er wieder herauskommt, sagen ihm die spanischen Behörden, sie wollen ihn nicht im Land haben, er soll so schnell wie möglich abhauen. Enzu schlägt sich allein über Frankreich und Dortmund nach Düsseldorf durch.

Dort verbringt er die ersten Monate wie all die anderen, die vor Hunger und Krieg geflohen sind: Er ist im Heim zum Nichtstun verdammt. Ehe Ralf Borufka von den Sportfreunden auf die Idee mit dem Fußballspiel kommt. Borufka, 36, ist Geschäftsführer der Fußballabteilung der Sportfreunde und weiß ein wenig davon, wie sich die Flüchtlinge fühlen. Er selbst floh 1989 mit seinen Eltern aus der DDR nach Bayern. Auch er hat einmal alles hinter sich gelassen und kam als Kind in einem Land an, wo es anders läuft.

Während andernorts Rechtsradikale gegen die Einrichtung protestieren oder sie gleich anzünden, sagt sich Borufka: „Die Flüchtlinge sind unsere Nachbarn, wir müssen ihnen helfen.“ Also organisiert er ein Freundschaftsspiel. „Seitdem ist das ein Selbstläufer geworden“, sagt Borufka, der nun regelmäßig in dem Heim vorbeikommt. Das spricht sich unter den Vereinsmitgliedern herum – und die Solidarität ist riesig. Sie spenden Fußballschuhe und Trainingsanzüge. Mittlerweile spielen dutzende Flüchtlinge in der Jugend des Vereins, bald soll zwei Mal in der Woche Training für die älteren Heimbewohner angeboten werden.

Die Sportfreunde kümmern sich um den Papierkram und übernehmen die Mitgliedsbeiträge. „Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie schlimm es ist, den ganzen Tag zu Hause zu sitzen und nichts zu machen. Die Leute sind dankbar, dass sie zwei Tage in der Woche Fußball spielen dürfen“, sagt der Geschäftsführer und ist begeistert von der Stimmung, die seitdem im Verein herrscht. „Es gibt keine Vorbehalte. Schon beim zweiten Training ist Enzu so begrüßt worden, als ob er seit Jahren hier spielt.“

Probleme gibt es nur mit den Behörden. Sie glauben ihm nicht, dass er noch unter 18 ist und drohen mit Abschiebung. Plötzlich ist der ganze Verein alarmiert und kämpft für den neuen Mitspieler. Als die Dokumente, aus denen hervorgeht, dass Enzu wirklich erst 17 ist, nach langen und ungewissen Wochen ankommen, fällt allen ein Stein vom Herzen. Enzu darf bleiben.

Nun geht er zur Schule, lernt Deutsch und kommt immer besser zurecht. Enzu hat sich in Fortuna verliebt, war auch schon im Stadion und trägt ihr Trikot. Doch am liebsten spielt er selbst. „Es macht mich stolz, dass ich hier sein kann“, sagt er. „In den 90 Minuten Training habe ich keine Kopfschmerzen, ich bin frei, es gibt dann keine Probleme.“ Der Sport helfe, anzukommen und Freunde zu finden. Für Enzu steht fest: „Fußball macht das Leben besser.“

Aufrufe: 012.11.2015, 06:03 Uhr
Nachspielzeit / Bernd SchwickerathAutor