2024-04-25T14:35:39.956Z

Ligabericht
Arbeitet für den Fußball: Auerbachs Trainer Richard Weidmann. Foto: Regina Trabold
Arbeitet für den Fußball: Auerbachs Trainer Richard Weidmann. Foto: Regina Trabold

„Der Liga-Betrieb ist das reine Chaos“

Lehrer Richard Weidmann trainiert Mädchen der TSV Auerbach und gibt schlechte Noten

Der Frust muss tief sitzen. Mit den Worten „grauenhafte Zustände“ lässt sich Richard Weidmann (61) zum Gespräch auf den Stuhl fallen. Dem für sein Engagement im Amateurfußball vom Hessischen Fußball-Verband als Bergsträßer Kreis-Ehrenamtssieger ausgezeichneten Lehrer aus Brandau ist es zu verdanken, dass bei der TSV Auerbach Mädchen und Frauen seit zwölf Jahren Fußball spielen. Es sind die Missstände im Verband, die ihn ratlos und wütend machen.

Seit 20 Jahren ist Richard Weidmann in Auerbach tätig. Davor trainierte er in Alsbach und bei der KSG Brandau die Jugend, war 20 Jahre lang Abwehrspieler, ist seit 30 Jahren Mitglied der SG Lautern, pfeift als Schiedsrichter seit 15 Jahren bei den Senioren, legt dafür Jahr für Jahr seine Prüfung ab, bringt also eine Menge Erfahrung mit auf den Platz.
Zum Dank für seinen außergewöhnlichen Dienst wurde Weidmann nicht nur Ehre zuteil, er wurde als Kreis-Ehrenamtssieger Mitglied im „Club der Hundert“ des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), durfte mit seiner Frau beim Länderspiel der Nationalmannschaft gegen die Türkei in der VIP-Loge sitzen. „Aber über die gravierenden Mängel im Frauenfußball wurde dabei nicht gesprochen“, poltert der Fußballlehrer. Der Liga-Betrieb sei „das reine Chaos“. Es hagele Spielverlegungen. 70 Prozent der Begegnungen würden verschoben. „Das ist kein Spielbetrieb mehr“, schimpft der Mann, den auf und am Fußballplatz alle Richard nennen. Statt einer Liga plädiert er für Spielfeste oder Turniere, zu denen sich Mannschaften auch vereinsunabhängig zusammenstellen lassen, für mehr Spaß als Stress.
Der Trainer beobachtet, dass kurzfristig Spiele abgesagt werden, dies oft mit fadenscheinigen Begründungen, weil im gegnerischen Team Leistungsträgerinnen fehlen. Dabei ist klar: Die Spielstarken sind im Team der Jungs – oder beim Leistungslehrgang. So werde auseinandergerissen, was er mit viel Einsatz aufgebaut habe. Dass es bei den Mädchen überhaupt noch eine Mannschaft gebe, sei mehr als ein Wunder. Es starte die verzweifelte Suche nach neuen Spielerinnen, doch „die Aktivsten gehen dir als Coach verloren“. Dann renne er seinen besten Kräften hinterher und mache „Bitte, Bitte“, aber am Spieltag fehlten oft wichtige Spielerinnen. Folge: Ärger bei denen, die es ohne die Guten nicht schaffen, Spiele verlieren. „Die starken Spielerinnen werden abgezogen, die andern verlieren die Lust und kommen nicht mehr. Es wird alles kaputtgemacht, was du aufgebaut hast. Das nervt mich ohne Ende“, wettert Richard weiter.
Und dann spricht Lehrer Weidmann, der in Viernheim an einer Grund- und Sonderschule unterrichtet und für Inklusion wirbt, noch ein Problem des Jugendfußballs an: „Die Kinder können nicht mehr zum Fußball kommen, weil sie in der Ganztagsschule festhängen. Der Ablauf passt einfach nicht. Da kann ich mich auch als Trainer und Betreuer abzappeln, wie ich will.“ Um 17 Uhr kommen Kinder von der Schule, um 18 Uhr sollen sie beispielsweise im fernen Hergershausen antreten, um 20 Uhr im Bett liegen. Wie solle das gehen? „Das gibt jedes Mal Getöse. Es rumpelt in den Vereinen.“ Weidmann zuckt mit den Schultern, spricht von „exotischen Zeiten“.
Selbst Schiris müssen manche Teams selbst stellen
Seine Unzufriedenheit entlädt sich in dem Satz: „Mädchen werden offenbar im Fußball anders behandelt als Jungs, und das muss anders werden.“ Beispiel: Während sogar bei Spielen der Alten Herren Schiedsrichter eingeteilt werden, müssen die Frauen auf Kleinfeld und auch viele Mädchenmannschaften in Punktspielen selbst Referees auftreiben. Da werde von Verbandsseite nichts mehr eingeteilt.
„Der weibliche Nachwuchs hat im Spielbetrieb kaum etwas zu entscheiden. In den Vereinen dominieren und diktieren fast ausschließlich Männer, wie was zu laufen hat“, klagt Richard Weidmann. Er sei nicht gegen Eliteförderung, aber der Breitensport dürfe dabei nicht sträflich vernachlässigt werden oder gar unter die Räder kommen.
Zum Schluss hat er genug Dampf abgelassen und wirkt versöhnlich: „Trotz aller Hindernisse, Hauptsache die Jugendlichen haben ihren Spaß.“

Aufrufe: 014.1.2017, 12:00 Uhr
Reiner TraboldAutor