2024-05-10T08:19:16.237Z

Vereinsnachrichten
?Die Legende aus Elbflorenz ? der Verein mit den besten Fans!? Es ist ihr Lied, das Dynamo-Fans zum Schriftzug der Choreografie gemacht haben, die am 31. Oktober beim Heimspiel gegen Magdeburg uraufgeführt wird. Foto: Robert Michael
?Die Legende aus Elbflorenz ? der Verein mit den besten Fans!? Es ist ihr Lied, das Dynamo-Fans zum Schriftzug der Choreografie gemacht haben, die am 31. Oktober beim Heimspiel gegen Magdeburg uraufgeführt wird. Foto: Robert Michael

Der K-Block war ihnen zu klein

Dynamos Ultras sorgen mit ihrer unglaublich großen Blockfahne für das Bild des Jahres. Und auch sportlich erlebt der Verein wieder mal die gesamte Gefühlspalette.

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Fetter hätten die Schlagzeilen kaum sein können. In England, Spanien und auch Amerika wird berichtet, deutschlandweit sowieso. Gefühlt schaut die ganze Fußballwelt auf Dresden. Die Sportgemeinschaft Dynamo und ihre Ultras sind das Thema nach dem Ostklassiker am letzten Oktobertag gegen Magdeburg. „Dass es so brutal eine Welle schlägt, haben wir selbst nicht gedacht“, meint Stefan Lehmann.
Der Kopf der berühmt-berüchtigten Ultras Dynamo, Szenekürzel UD, hat jetzt die Chance, groß rauszukommen, er und die oft schon kritisierte Gruppierung besonders lauter, kreativer, in jedweder Hinsicht umtriebiger Fans. Schließlich ist ihnen dieses Mal tatsächlich etwas Großartiges, Eindrucksvolles, Unglaubliches gelungen: eine 350 Meter lange und 35 Meter hohe Blockfahne, die, ausgenommen vom Gästefanblock, das gesamte Stadion umrundet. Größeres hat es bislang nur in südamerikanischen Arenen gegeben.

Doch Lehmann entscheidet sich für die kleine Bühne. Zusammen mit Maik Braun, der die ursprüngliche Idee hatte und den sie alle nur Maiki nennen, ist er zu Gast beim Internetradio welle1953.net – und rechtfertigt sich. „Klar wollen alle mehr wissen. Aber die Pressemitteilung hat der Verein gut zusammengebastelt. Das reicht zu“, sagt Lehmann, Spitzname Lehmi.

Die Pressemitteilung trägt die Überschrift: „Dynamos aktive Fanszene präsentiert eine der größten Blockfahnen weltweit – Projekt X zum Heimspiel gegen Magdeburg am 31. Oktober 2015 erfolgreich abgeschlossen!“ Klingt ziemlich bürokratisch. Auch die aufgelisteten Zahlen können nur ansatzweise verdeutlichen, was da im Stadion passiert ist.

  • Blockfahne 35 Meter hoch, 350 Meter lang, 12 250 Quadratmeter
  • 851 Tage Vorbereitungszeit
  • über 25 000 Euro Herstellungskosten, finanziert durch Spenden von Dynamo-Fans und den Verkauf von Fan-Artikeln
  • über 70 Kilometer Nähgarn verarbeitet
  • acht Nähmaschinen verschlissen
  • etwa 50 Fans haben die Blockfahne über mehrere Wochen auf Freiflächen und in Schulsporthallen am Rande Dresdens bemalt
  • mehr als 55 000 Hände an der Umsetzung am Spieltag beteiligt
  • mehr als 150 Fans in allen Blöcken koordinierten den synchronen und reibungslosen Ablauf

Es ist zweifellos das Bild eines Dynamo-Jahres 2015, das auch sportlich herausragend endet. Mit riesigem Vorsprung führen die Drittligaprofis die Tabelle an, der Aufstieg ist längst beschlossene Sache – und die Niederlagenserie vom Frühjahr inklusive der x-ten Trainer-Entlassung wie aus einer anderen Zeit. Danach kam der Sommer und mit ihm Uwe Neuhaus als Chefcoach. Seitdem ist Fußball-Dresden schöner, besser, größer – mit der Choreografie als emotionalem Höhepunkt.

Beim Gedanken daran, meint Kapitän Michael Hefele, habe er immer noch Gänsehaut am ganzen Körper. Selbst Sportchef und Dynamo-Legende Ralf Minge, dem jegliches Pathos fremd ist, äußert sich ergriffen. „Etwas Vergleichbares hat noch keiner von uns zuvor erlebt! Der Tag wird wohl jedem Dynamo-Fan auf ewig im Gedächtnis bleiben“, sagt er. „Was wir erlebt haben, war eine unfassbare Werbung für Fußball-Dresden und unsere Sportgemeinschaft“.

Die Ultras bringen es mit zwei Worten auf den Punkt: „Geiles Teil.“

Aus dem Mainstream, sagt Braun, wollen sie sich trotzdem raushalten, was gar nicht so einfach ist, wenn man vor Stolz fast platzt. Doch sie ahnen, dass die Stimmung wieder kippen könnte, sogar schneller als gedacht. Wenige Wochen nach der Wahnsinns-Choreografie zum Beispiel muss der Verein satte 9 000 Euro Strafe zahlen für das Fehlverhalten seiner Fans, die bei den Auswärtsspielen randalieren und Pyrotechnik zünden.

Die letzte Rechnung von der Partie Anfang Dezember in Großaspach steht zudem noch aus. In der baden-württembergischen Provinz haben UD ihren 15. Geburtstag gefeiert – mit etlichen bengalischen Fackeln. Sieht gut aus, kostet aber wieder, auch an Image. Für Ultras gehört trotzdem beides zusammen, Fußball und Pyrotechnik. Da unterscheiden sich Dresdner nicht von Münchnern, Berlinern, Cottbusern oder eben Magdeburgern. Für ihren großen Tag sind die Dynamo-Fans deshalb vorbereitet, auch auf Angriffe aus dem Gästeblock. An den Enden haben sie die Fahne mit Brandschutzpaste eingeschmiert. „Falls doch etwas passiert“, sagt Lehmann. So etwas verrät die Pressemitteilung natürlich nicht.

Die Angst ist jedoch unbegründet. Sogar die Magdeburger schweigen respektvoll, als kurz vor 14 Uhr die ersten Töne erklingen und die Arbeit von mehr als zwei Jahren kurz vor der Vollendung steht.

Angefangen hatte alles 2013, kurz nach dem 60. Vereinsgeburtstag am 12. April. Mit einem riesigen roten Vorhang, der den gesamten K-Block bedeckte, gratulierte UD damals dem Klub und war nun auf der Suche nach einer neuen Idee, die größer und gewaltiger sein musste. Was tun? „Komm, lasst uns doch eine Blockfahne über das gesamte Stadion machen“, erinnert sich Braun an seinen Einfall.

Auch der Schriftzug ist schnell klar: „Die Legende aus Elbflorenz – der Verein mit den besten Fans.“ Jene Zeile, die seit vier, fünf Jahren gesungen wird, bei Dynamo-Heimspielen, inzwischen fast vom gesamten Stadion ergänzt mit einem „Olé, olé, oh SGD“. Lehmann sagt: „Wir haben das Lied zum Schriftzug gemacht. Stadt, Verein und Fans sind darin involviert, etwas Passenderes kannst du gar nicht nehmen. Das passt wie die Faust aufs Auge.“ Da sind sich in der wenig homogenen Gruppe alle einig, auch wenn an das Projekt X längst nicht alle glauben, „an diese kranke Idee“, wie Braun meint.

Schwieriger sind Planung und Herstellung. Von der Stadion-Projektgesellschaft erhalten die Ultras einen Plan mit den detaillierten Maßen. Anhand dessen wird gemessen und konzipiert, ehe sie der Weg nach Polen zu einem befreundeten Stoffhersteller führt. Nur dort gibt es diesen einen leichten Seidenstoff, der außerdem die Farbe gut hält. „Das war klar, es geht nur damit“, sagt Braun. „Sonst wären uns das Auto oder die Leute zusammengebrochen.“

Vier-, fünfmal sind die Ultras in Polen, „weil wir uns immer wieder auch vermessen haben“, gesteht er und erklärt: „Man muss dazusagen, wir machen das alle neben Schule, Arbeit und Studium. Mit Berechnen ist da nicht allzu viel. Also haben wir einfach überall zwei Meter dazugegeben.“ Zwei Jahre haben zwei Fans dann unentwegt genäht. Schließlich werden auf einer Fläche in Heidenau die Fahnenteile ausgebreitet, in Meterschritten gerastert und bemalt. Wieder muss drei-, viermal Farbe nachgekauft werden. „Solche Dimensionen haben wir ja noch nie umgesetzt“, sagt Braun.

Am Ende werden sieben große Teile zusammengenäht. Die Generalprobe sechs Tage vorm Magdeburg-Spiel funktioniert reibungslos, ebenso die Geheimhaltung. Gar nichts ist vorher bekannt, trotz der 300 Helfer im Stadion. „Und dann macht doch einer ein Foto. Da gab’s mal ein paar auf die Zwölf“, sagt Lehmann. „Das wird sehr unkompliziert geregelt.“

Schließlich ist es so weit, der Tag X für dhttp://www.sz-online.de/nachrichten/der-k-block-war-ihnen-zu-klein-3281998.htmlas Projekt X, festgehalten auch in dem bei Dynamospielen üblichen Polizeibericht: „Ab 12 Uhr trugen rund 130 Dynamoanhänger eine Großfahne von der Cockerwiese zum Stadion.“ Dort marschieren sie wenig später ein – Ultras im Innenraum kurz vor einem Hochsicherheitsspiel. „Würde es in keinem anderen Stadion in Deutschland geben. Da muss man sich beim Verein bedanken“, sagt Braun und lobt die Zusammenarbeit. Die größte Sorge ist deshalb auch nicht, dass etwa die Leute im VIP-Bereich nicht mitziehen könnten oder die Polizei protestiert, sondern vielmehr, dass die Fahne reißt, dass Nähte platzen.

Passiert alles nicht. Beim Einlaufen um 14 Uhr erleben beide Teams den faszinierenden Moment – und Dynamo in den Tagen danach eine seltene Präsenz in Presse, sozialen Netzwerken und Fanforen. Das Meisterwerk ist längst wieder versteckt, an einem geheimen Ort, aus Sorge vor anderen Ultras.

Noch einmal aber, verspricht Braun, wird die Riesenfahne gehisst, die Aufstiegsparty im April oder Mai wäre ganz sicher ein guter Anlass. Was danach geschieht, ist offen. Man könnte sie zum Beispiel in Tausende kleine Stücke teilen, als Souvenir verkaufen und damit die nächste Choreografie finanzieren.

Ideen dafür stecken schon in der Schublade. Die wollen sie jetzt mal aufmachen, sagt Lehmann: „Stillstand ist der absolute Tod. Es muss auf jeden Fall weitergehen.“ Neue Schlagzeilen aus Fußball-Dresden werden also kommen, und egal ob gut oder schlecht – fett sind sie garantiert.

Aufrufe: 023.12.2015, 07:59 Uhr
SZ / Tino MeyerAutor