2024-04-25T14:35:39.956Z

Querpass
Fand im Fußball seine neue Bestimmung: Breddins Stefan Winkelmann hat die Tiefen seines Lebens durch den Sport überwunden. Foto: Stephan Ellfeldt
Fand im Fußball seine neue Bestimmung: Breddins Stefan Winkelmann hat die Tiefen seines Lebens durch den Sport überwunden. Foto: Stephan Ellfeldt

Der Fußball-Punk

Stefan Winkelmanns Leben war bislang wirklich bewegt: Nach Drogenkonsum, Gefängnis, einem Leben auf der Straße und den Tod seines besten Freundes ist der 30-Jährige nun im Sport angekommen.

„Ich bin von Hause aus ein Querkopf. Ich bin Punk“, sagt Stefan Winkelmann über sich selbst. Man könnte in ihm das Fußballpendant zu Handball-Punk Stefan Kretzschmar sehen. Nur dass der Abwehrmann vom SV Victoria Breddin auf eine viel bewegtere Lebensgeschichte zurückblickt. Mit einem Leben auf der Straße, zu vielen Drogen und einem Jahr im Knast.

Sein Markenzeichen ist der Irokese. Aktuell in beißendem Grün, vorher in Rot und Weiß. Die Farbe spielt für Stefan Winkelmann aber keine Rolle. Nur bunt muss es sein, so wie sein bisheriges Leben. Doch der 30-Jährige, der klar gesagt haben möchte, dass er nichts bereut, aber einiges anders machen würde mit der Erfahrung der vergangenen Jahre, hat die Schattenseiten der großen Freiheit genossen. „Ich war von 2006 bis 2011 auf der Straße, habe ein Jahr im Knast verbracht und ansonsten auch alles mitgenommen, was sich so ergeben hat“, macht der Abwehrmann der Victoria keinen Hehl aus seiner exzessiven Vergangenheit mit Drogen, Alkohol und Kriminalität.

Inzwischen ist er wieder in seinem Heimatdorf Barenthin angekommen, nachdem er eine fast 13 Jahre andauernde Irrfahrt durchlebt hat. Diese begann mit 16 Jahren, als er sich in die Lüneburger Heide aufmachte, um eine Kochlehre anzutreten. Gerade den Realschulabschluss in der Tasche, waren sie sich im Hause Winkelmann einig, dass der Weg des Jüngsten, er hat noch eine fünf Jahre ältere Schwester, in die Welt hinaus führen sollte. „Meine Eltern waren der Meinung, es wäre Zeit für mich. Ich bin irgendwie gegangen worden. Sie hatten mir mit Nachdruck geraten, dass ich etwas erleben solle.“ Winkelmann empfand dies nicht als so dramatisch – und ging eben.

Zu diesem Zeitpunkt waren sein politisches Denken und seine Haltung in Richtung Punk-Dasein ohnehin längst ausgeprägt. „Mit 14 hatte es bei mir angefangen. Bei der Ausbildung haben sie mich dann immer gefragt, ob das sein muss mit meinen Haaren. Von mir haben sie dann immer zu hören bekommen, dass es ganz sicher so sein muss.“ Damals waren es eher schwarze und blaue Farbkombinationen. Winkelmann beschritt den Weg zur Ausbildung genauso wie viele andere junge Menschen. Doch in der Lüneburger Heide hielt es ihn nur bis zur Beendigung der Lehre. „Dann bin ich nach Bayern weiter, war dort auf Jobsuche, bin jedoch nur in einer Drückerkolonne gelandet. Da habe ich es nicht lange ausgehalten.“ Also führte die Reise den dann 21-jährigen Winkelmann weiter nach Halle/Saale. „Mich hat ein Kumpel mitgenommen. Mit ihm bin ich dann, mit einer Schlafmatte auf dem Kopf, in ein Abrisshaus und wir haben uns dort einfach hingehauen.“

Für den Barenthiner Jungen begann dort, weil vorher noch unbeschwert und ohne Gedanken um das eigene Dasein, die dunkle Seite seines Lebens. Über diese Zeit spricht Winkelmann nicht so viel, denn Drogenkonsum und illegales Handeln bestimmten den Alltag. Dies gipfelte in einem Gefängnisaufenthalt. Er saß in der JVA Halle, die den klangvollen Namen „Frohe Zukunft“ trägt. „Nach diesem einen Jahr im Knast gab es nicht mehr nur dieses Anarcho-Denken. Und meine damaligen Freunde waren auch nicht mehr da. Die sind alle noch tiefer abgerutscht.“ Winkelmann fing an zu grübeln. Sein Weg führte ihn weg von dem Ort, der ihn bisher nicht weiterbrachte im Leben, sondern der für schlimme Erinnerungen stand. „Da war die erste Pille, die ich genommen hatte. Das war ein Horrortrip. Die Leute dort fingen mich aber auf, um dann irgendwann selbst betroffen zu sein.“ Doch die Bindung zu den Personen in der Szene war groß, es bedurfte mehr, dass sich Winkelmann dieser Gemeinschaft entziehen könne.

Auf dramatische Weise folgte der Schlüsselmoment am 11. November 2011 um 11.11 Uhr. Stefan Winkelmann stand auf der Beerdigung seines besten Freundes. Der hatte den Kampf gegen seine Krebserkrankung auf der Straße aufgenommen, mit Winkelmann gemeinsam. Und so gut wie gewonnen. „Aber er ist nicht zu seiner Nachbehandlung gegangen. Der Krebs hatte wieder gestreut und er ist somit an seinem eigenen Sternbild verstorben“, beschreibt Winkelmann. Ab da an war ihm selbst klar, dass er nicht an seinem Punk-Dasein zweifeln, aber nach Veränderungen suchen muss. „Ich bin dann noch einmal kurz abgerutscht. Für sechs Wochen hatte ich mich in einem Wohnwagen einquartiert. Doch als ich dort richtig handgreiflich rausgeschmissen wurde, musste ich weiter.“

Über Freiburg ging es durch halb Europa. In der Schweiz, Italien, Spanien und Portugal war er jeweils für etwas längere Zeit. „Als ich aber auf dem Rückweg in St. Anton/Schweiz war, habe ich meine Mutter angerufen und gefragt, ob ich wieder nach Hause kommen darf.“ Er solle seine Sachen packen und endlich zurückkommen, war ihre liebevolle Antwort. Winkelmann verbrachte noch zwei Wochen in einer Freiburger Kommune, ehe er nach langen 13 Jahren die Heimreise antrat. „Ich habe mir ein Ticket für den Fernbus gekauft und bin zurück“, so Winkelmann, der sich das Geld für den Schritt in die Heimat auf der Straße zusammen geschnorrt hatte.

Und nach ein paar Stunden Fahrt war er wieder im beschaulichen Barenthin angekommen. Wenig hatte sich verändert und bis auf seine Familie wartete keiner auf ihn. „Ich bin fortan auf der Stelle getreten, habe dringend einen Ausgleich gesucht“, beschreibt Winkelmann die erste Zeit in den heimischen vier Wänden. Sein Alltag sah so aus, dass er bis weit in den Tag hinein schlief. „Ich bin aufgestanden und habe geschaut, ob ich noch ein Bier finde, habe es ausgetrunken und mich wieder hingelegt. Dann bin ich wieder aufgestanden, habe noch ein Bier getrunken und mich wieder hingelegt.“ Unzufrieden damit, suchte er fortan eine Möglichkeit, wie er sich auspowern könnte. „So, dass ich nach einem Bad einfach nur ins Bett fallen würde und schlafe.“ Als sein Kumpel Gordon Krause, Spieler bei Victoria, fragte, ob er nicht einfach mal mit zum Training bei seinem Heimatverein Breddin kommen möchte, stimmte er zu. Zwischen seinem achten und 15. Lebensjahr war Winkelmann im Nachwuchs der Victoria aktiv gewesen. Und so viel verlernt zu haben, schien er nicht. „Nach ein paar Einheiten hat der Trainer zu mir gesagt, dass ich in der Stammelf stehe. Inzwischen freut es mich, mich etabliert zu haben. Es ist schön, ein Feedback zu bekommen von fremden Leuten. Auch wenn es Kritik ist, sofern sie vernünftig geäußert wird.“

Der Mann ohne Konto lebt nun für den Sport. Wenn es nicht auf den Trainingsplatz oder zum Spiel mit seiner Victoria geht, setzte er sich auf das Rad. „In diesem Jahr bin ich mit einem Freund in sechs Wochen 1 800 Kilometer bis Frankreich und wieder zurück gefahren.“ Auch auf den Brenner (1 370 Meter hoch gelegener Übergang der Alpen, d. Red.) ist er schon geradelt. „Aber nie wieder mit 23 Kilogramm Gepäck“, zieht er diesbezüglich seine Lehren. Der 30-Jährige liebt es, sich den Wind beim Radfahren ins Gesicht wehen zu lassen. „Egal bei welchem Wetter, ich fahre einfach so meine 40 Kilometer jeden Tag.“ So bleibt er seinem Freiheitsgedanken weiterhin treu, lebt ihn nur anders aus. Der Sport hat ihn geprägt. „Mein Alltag ist noch nicht schön, aber mit Sport erträglich.“

Noch befindet sich Stefan Winkelmann im Teufelskreis der Bürokratie. Offiziell hat er noch keinen Wohnsitz, weshalb er von keinem Arbeitgeber einen Job bekam. Zumindest eine Bankverbindung hat er sich, trotz vorheriger Ablehnung, inzwischen zugelegt, sodass diesbezüglich schon ein Schritt hin zur Normalität getan ist. Der Nostalgiefanatiker, wie er sich selbst nennt und davon spricht, niemals ein I -Phone besitzen zu wollen, träumt von den ersten eigenen vier Wänden seit vielen Jahren. Wenn dies gelingt, hat er einen Job in Havelberg in Aussicht.

„Jeder muss seinen Weg finden, soll aber niemals jemand anderen mit hineinziehen. Ich kann meine Erfahrungen nicht gut oder schlecht heißen. Aber es war scheiße, dieses exzessive Leben geführt zu haben. Mein Rat an alle anderen ist: Sucht euch Hobbys. Bei mir ist es der Fußball. Ich bin jetzt 30 Jahre alt und darf bodenständiger werden. Der Fußball und die Gemeinschaft helfen mir dabei.“

Aufrufe: 09.10.2015, 10:14 Uhr
MOZ.de / Stephan EllfeldtAutor