2024-05-08T14:46:11.570Z

Interview

"Der Fußball muss sich mehr hinterfragen"

Muss der Fußball mehr gesellschaftliche Verantwortung übernehmen? - der Journalist und Buch-Autor Ronny Blaschke im Interview mit FuPa Brandenburg

Der Fußball steht für den Journalisten Ronny Blaschke am Scheideweg: Will er weiter ein milliardenschweres Geschäft bleiben oder sollte er endlich auch mehr gesellschaftliche Verantwortung übernehmen? FuPa Brandenburg sprach mit Blaschke über sein neues Buch "Gesellschaftsspielchen"

Herr Blaschke, Fußball gilt als die schönste Nebensache der Welt. Warum sollte diese auch mehr gesellschaftliche Verantwortung übernehmen?

Die Formulierung "schönste Nebensache der Welt" ist zu verniedlichend. So sollte man den Fußball gar nicht sehen, weil es eine Milliardenindustrie ist. Da sollte sich auch der Amateurfußball nicht herausnehmen, weil er zum Netzwerk gehört. Profis und Amateure profitieren voneinander. Der Gesamtumsatz der Bundesliga betrug zuletzt 2,6 Milliarden Euro. Zudem profitiert der Fußball enorm durch den Staat, unter anderem durch die Sicherheitskosten, die Stadionbauten, die Fanprojekte oder die meist kostenfreie Benutzung kommunaler Sportstätten im Amateurbereich. Da könnte der Fußball noch mehr zurückzugeben an die Gesellschaft. Nicht nur aus Gutmenschentum, sondern um relevant zu bleiben, um neue Zielgruppen und Sponsoren zu gewinnen und auch langfristig glaubwürdig zu bleiben. Deswegen kann es eine schöne Sache bleiben, aber mit mehr sozialer Verantwortung.


Wie groß ist im Augenblick die Nachhaltigkeit der Vereine?

Es gibt ein ganz großes Gefälle. Werder Bremen zum Beispiel macht es sehr gut, aber die nehmen auch viel Geld in die Hand. Sie haben 10 Leute eingestellt nur für soziale Projekte. Der FC Bayern dagegen spendet viel, sammelt Spenden und veranstaltet Benefizspiele. Das ist aber eher der traditionelle Weg. Ich denke, dass der Fußball mit seiner Zugkraft dafür eigene Strukturen schaffen könnte, wovon auch die Vereine profitieren und es mehr nutzen könnten. Die Fußball-Landesverbände wie in Berlin und Brandenburg haben auch beträchtliche Etats. Die könnten zwei bis drei Leute nur für soziale Projekte einstellen, zum Teil machen sie es auch schon.


Woran hapert es Ihrer Meinung nach bei der Umsetzung: An einer starken Persönlichkeit, die das voranbringt oder dem zu geringen Interesse?

Ein Verein zum Beispiel ist wie ein mittelständisches Unternehmen, manchmal mit mehr als 200 Mitarbeitern. Da wäre es schon von Vorteil, wenn es der Chef oder Vorstand gut finden würde. Es reicht nicht, nur einen Grüßaugust einzustellen. Es geht darum, Projekte zu entwerfen und zu begleiten. Nur so entsteht Nachhaltigkeit. Bei Bremen gibt es dafür eine Direktion, die direkt dem Präsidenten unterstellt ist. Beim Berliner Fußball-Verband ist zum Beispiel Vizepräsident Gerd Liesegang total engagiert. Er arbeitet vorbildlich. Aber wenn er irgendwann auf die Idee kommt, aufzuhören, dann weiß ich nicht, ob diese Strukturen und der Geist erhalten bleiben. Deswegen wäre es gut, wenn man es so breit wie möglich streut, damit es überlebt. Man muss es nicht nur in der Satzung verankern oder irgendwelche Broschüren dazu drucken. Man muss auch im Kerngeschäft dafür immer wieder Aktionen machen.


In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass gerade Gerd Liesegang auch jemand ist, der mit seinen Ideen vielerorts angeeckt ist. Es scheint offenbar ein größeres Problem zu sein, zu allen mit dem Thema durchzudringen?

Er ist ein gutes Beispiel dafür, dass man einfach zehn bis 15 Jahre sehr hartnäckig sein muss. Nicht nur gegen die äußeren Strukturen, sondern auch innerhalb des Verbandes. Die Verbandsleute sehen allmählich ein, dass man darüber auch mehr Öffentlichkeit erreicht und sich gut darstellen kann. Das ist durchaus legitim. Man kann es auch verbinden mit Initiativen, die anderen Menschen helfen. Dafür ist Gerd Liesegang ein gutes Beispiel, aber er ist manchmal auch ein Einzelkämpfer. Die starke Einzelperson verdeckt manchmal eine gewisse Trägheit im Apparat. Das ist übrigens in Großunternehmen genau so. Deswegen wäre es besser, wenn ein kleines Team für Gesellschaftliches und Soziales zum Beispiel Kontakt hält zur Fanabteilung, zur Sicherheitsabteilung oder zum Vertrieb, damit es in der Organisation stärker verankert ist.


Der lange Atem über zehn bis 15 Jahre entspricht nicht unbedingt der Philosophie vieler Vereine, die auf den schnellen sportlichen Erfolg aus sind.

Ja, das ist ein Problem. Die Launenhaftigkeit und Ergebnisorientierung im Sport machen das oft zu Nichte. Viele finden deswegen Stiftungen gut. Die sind auf die Ewigkeit angelegt. Stiftungen sind aber auch immer nur eine Auslagerung. Werder Bremen spielt seit einigen Jahren im Abstiegskampf. Die müssen sich immer wieder dafür rechtfertigen, dass sie zehn Leute für Soziales bezahlen. Aber soviel Geld kostet es eigentlich gar nicht, verglichen mit Spielergehältern oder Honoraren für Berater. Das Bewusstsein von Bremen ist so, dass sie viele Partner gewonnen haben, Bildungseinrichtungen oder Genossenschaften, die sie ohne das Engagement nicht bekommen hätten. Man kann also noch breiter als ein sozialer Träger Verantwortung übernehmen in der Gesellschaft.


Damit kann man auch Imageschäden wie nach der Präsentation des neuen Trikotsponsors und Geflügelfabrikanten Wiesenhof überstehen?

Wiesenhof ist ein gutes Beispiel, weil es nicht nur schwarz und weiß ist. Wiesenhof zeigt genau, dass man noch so viele gute Projekte gemacht haben kann. Eine solche Schlagzeile macht viel wieder kaputt. Wenn Bremen aber nicht so eine gute Abteilung gehabt hätte, wären die Folgen noch schlimmer gewesen. Werder ist damit durchaus kritisch umgegangen. In den Nachhaltigkeitsbericht schreiben sie schon rein, dass der Verein keine Garantie übernehmen kann, was Nike, Wiesenhof oder andere internationale Unternehmen machen und unter welchen Umständen sie produzieren. Grundsätzlich ist eben viel Bigotterie dabei: Auf der einen Seite schrauben sie sich Photovoltaikanlagen auf das Stadiondach. Gleichzeitig lassen sie sich teure Besonnungsanlagen bauen, die den Rasen auch im Winter wachsen lässt. Alle haben kleine Projekte für benachteiligte Kinder. Aber sie machen sich auch von Adidas oder Nike abhängig, die in Asien die Kinder ausbeuten. Es fehlt einfach eine Ganzhaltigkeit, weil die Vernetzung fehlt und es zu wenig Leute gibt, die sich dafür stark machen.


Das ist die Heuchelei, die Sie bei vielen Vereinen kritisieren?

Es ist nicht immer ein bewusster Vorgang: Manchmal kommen die Vereine nicht mehr hinterher und durchschauen es gar nicht. Das kritische Grundbewusstsein fehlt häufig in solchen Kreisen. Die finden Adidas einfach cool. Der Wohlstand in Europa basiert aber ganz oft darauf, dass die Konzerne zum Beispiel in Asien billig produzieren lassen. Dieses Bewusstsein fehlt nicht nur im Fußball. Ein DFB-Trikot zum Beispiel kostet mittlerweile etwa 90 Euro. Ein Prozent davon geht an die Näherinnen. Mesut Özil bekommt für seinen Adidas-Vertrag mehrere hunderttausend Euro im Jahr. Wenn man das Gehalt der Näherinnen verdoppeln würde, würden noch immer alle genug profitieren. Aber diese Debatte gibt es im Fußball überhaupt nicht.


Gesellschaftsspielchen - Fußball zwischen Hilfsbereitschaft und Heuchelei / 288 Seiten, Paperback, ISBN: 978-3-7307-0254-3


Gibt es einen Unterschied hinsichtlich des Nachhaltigkeitsgedanken zwischen den Profis und den Amateuren?

Amateurvereine basieren auf dem Ehrenamt. Da sollte man etwas moderater formulieren. Die ehrenamtlichen Funktionäre fühlen sich oft gleich angegriffen. Sie seien nicht die Reparaturwerkstatt der Gesellschaft. Der DFB hat gerade den zweiten Nachhaltigkeitsbericht herausgegeben. Darin beschreibt der Verband sich als große soziale Hilfsquelle. Wenn der Bericht aber etwas differenzierter wäre, wäre das ganze förderlicher. Der Großteil des deutschen Fußballs findet auf der Amateurebene statt. Es gibt 21 Landesverbände. Der DFB hat zwar einen sehr professionellen hauptamtlichen Stab für Gesellschaftspolitik. Aber dieser Stab kann oben noch so viele Projekte initiieren, schwierig ist die Vermittlung nach unten bis zur Kreisklasse. Und die sieht in Stuttgart anders aus als in Vorpommern.


Der kleine Verein auf dem Dorf oder in der Gemeinde - arbeitet der nicht schon nachhaltig? Er ist tief verwurzelt und holt mit seiner Nachwuchsarbeit die Kinder von der Straße.

Ja, aber so einfach sollte man es sich nicht machen, weil damit auch immer Privilegien einhergehen. Mann muss natürlich dem Ehrenamt große Wertschätzung entgegen bringen. Aber letztendlich haben auch die Ehrenämtler etwas davon. Sie fühlen sich gebraucht und sind Teil eines Netzwerks. Die Vereine haben steuerliche Vorteile und bekommen eine hohe öffentliche Anerkennung, auch die Sportstätten werden kommunal gestützt. Auch im Ehrenamt sollte man sich fortzubilden. Gesellschaftliche Fragen gehören in die Trainer und Schiedsrichter-Qualifizierung. Auch in Landesverbänden herrschen professionelle Strukturen, die hauptamtlich besetzt sind. Die sollte man schon in die Pflicht nehmen.


Was kann ein kleiner Verein konkret tun?

Es gibt so viele Themen wie Homophobie oder Kinderschutz. Die Vereine werden mit Broschüren darüber zugeschüttet. Man sollte es nicht so akademisch machen. Aber es sollte im Verband einen kleinen engvernetzten Stab geben, der für solche Aufgaben zuständig ist. Es muss auch nicht alles immer im Verband selbst entstehen. Selbst in den dünner besiedelten Regionen gibt es Landesprogramme, Gewerkschaften, die Kirchen oder auch Bildungseinrichtungen gegen Rechtsextremismus. Da schotten sich die Fußballverbände mitunter ab oder öffnen sich nicht für Fortbildungsangebote. Man kann schon mal schauen, welche Töpfe es bei den Ministerien gibt. Vieles liegt auch brach an Fördermitteln. Das man sich auch mal Hilfe von Außen reinholt, und Hilfe akzeptiert. Das passiert inzwischen auch immer mehr, vor fünf bis zehn Jahren war es noch wesentlich schwerer. Das wäre schon mal ein großer Fortschritt.


Ist Geld ein Anreiz, um stärker in dem Bereich tätig zu werden?

Gesellschaftspolitisches Engagement scheitert nicht am Geld. Oft kann man das mit externen Organisationen vernünftig etablieren. Da gibt es wesentlich teurere Dinge wie zum Beispiel eine Stadionsanierung. Man muss in Fortbildung und Wissen investieren. Davon kann der Fußball profitieren. Und es ist doch auch ein toller Wert und nicht nur eine Bürde. Vielleicht sollte man auch so argumentieren: Man ist nicht nur immer gegen Nazis oder Rassisten, sondern für eine offene, tolerante und vielfältige Stadtgesellschaft.


Gerade politische Meinungen oder politisches Engagement bürgen aber oft auch in kleinen Vereinen, in denen sich jeder kennt, die Gefahr, dass man schnell in eine Ecke gedrängt wird.

Es gibt viele schlaue Menschen, die Methoden haben, um so etwas in einer sehr angenehmen Art zu moderieren. Es genügt nicht nur, eine Broschüre zu drucken, die danach niemand mehr liest. Wenn die Leute sich überfordert oder angegriffen fühlen, ist es nicht gut. Da sehe ich auch eine Aufgabe des Verbandes.


Fangruppen wie vom SV Babelsberg 03 und dem FC St. Pauli nutzen dagegen politische Haltung sehr bewusst für ihr Image.

Ja, das erkennen immer mehr. Es gibt viele durchaus politische Ultras, die total pfiffig sind und fortschrittlicher denken als die Fanprojekte. Es gibt immer mehr, die politisch aktiv sind, denen aber Parteien oder andere starre Vereine zu behäbig sind. Beim Fußball haben sie Spaß. Es gibt viele Bündnisse wie Pro-Fans oder Unsere Kurve. Die Leute sind gut vernetzt und organisiert. Das ist in anderen Ländern nicht so.

Dieses plumpe "Fußball ist unpolitisch" ist vorbei. Da sind wir schon zehn Jahre weiter und es gibt viele Abhandlungen darüber. Deswegen möchte ich mit meinem Buch auch die nächste Debatte anstoßen. Nicht nur: Wir sind politisch, sondern ganz konkret. Die Schlagzeilen "Der Fußball muss politischer werden" zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Rassismus sind große Worte. Aber man muss es auch konkret an Menschen und Projekten zeigen. Nur so fühlen sich die Leute abgeholt.


In den Medien spielen solche Themen nur eine kleine Rolle. Interessieren sich die Sportjournalisten zu sehr nur für das Sportliche?

Ich glaube ja. Es interessiert aber auch die Allgemeinheit zu wenig. Soziale Themen haben es generell schwer.


Das spiegelt sich unter anderem auch im TV wieder: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass der Fußball für die Gesellschaft komplett entbehrlich ist. Trotzdem werden inzwischen sogar Nachwuchsländerspiele zur besten Sendezeit übertragen. Hat der Fußball inzwischen eine Stellung erreicht, die völlig übertrieben ist?

Absolut. Das wird sich aber nicht mehr zurückdrehen lassen. Vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender sind laut Gesetz noch mehr in der Verantwortung. Den Privatsendern könnte man nicht vorschreiben, mehr über soziale Themen zu berichten. Die Zeitungen müssen sich auch am Markt behaupten. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das Publikum tatsächlich wegbleiben würde, wenn man den Fußball etwas gesellschaftlicher betrachten würde. Vielleicht würde man damit andere Leser gewinnen.


Wie lange wird es noch dauern, bis es ein Umdenken gibt?

Wie lange haben wir über Rassismus und Antisemitismus gesprochen, bevor das Thema wirklich in den Vereinen drin war? Danach kam Homophonie, jetzt kommt dieses Thema. Es gibt schon viele Arbeitskreise und es nimmt immer mehr zu. Der FC Bayern könnte da als Rekordmeister noch mehr draus machen. Der DFB macht inzwischen viel, aber da ist vieles noch nicht ganzheitlich. Die bauen ein Fußballmuseum in Dortmund, die Stadt trägt aber das Risiko bei einem Minus. Oder für die Aufarbeitung des WM-Skandals um Beckenbauer und Co. wird viel Geld für Gutachten ausgegeben. Wichtig ist, dass man die ganzen Projekte und Wohltätigkeit nicht zelebriert oder auslagert, sondern der ganze Apparat sich damit auseinandersetzt. Müssen wir zum Beispiel ein Trainingsspiel in Saudi-Arabien machen, wollen wir eine WM in Katar? Da muss der Fußball sich generell hinterfragen und es reicht nicht nur, eine Million Euro für Flüchtlinge zu spenden. Der Fußball wird uneingeschränkt akzeptiert in der Gesellschaft. Deswegen muss er sich dementsprechend auch mehr selbst beobachten. Das ist nicht zu viel verlangt.


Vielleicht ist es auch ein Stückweit Angst, dass sich dadurch irgendetwas am Fußball verändern würde?

Nein, ich glaube nicht. Es muss auch nicht unbedingt in der breiten Öffentlichkeit eine große Rolle spielen. Es geht auch mal darum, interne Strukturen zu hinterfragen. Soziale Politik vollzieht sich zumeist, wenn die Kameras nicht dabei sind. Wenn man nur ein Flüchtlingsprojekt auflegt, um es nach außen zu zeigen, kann es nicht gut werden. Man muss schon ein Interesse daran haben, dass tatsächlich Menschen geholfen wird.

Mit Ronny Blaschke sprach Sven Bock.

Aufrufe: 030.11.2016, 13:39 Uhr
Sven BockAutor