2024-05-08T14:46:11.570Z

Allgemeines
Geld im (Fußball)-Spiel: Vereine locken potenzielle Unparteiische auch mit finanziellen Zuwendungen.getty
Geld im (Fußball)-Spiel: Vereine locken potenzielle Unparteiische auch mit finanziellen Zuwendungen.getty

Bis 1000 Euro: Wettbieten um Schiris

Das Werben um Spielleiter nimmt im nördlichen Schleswig-Holstein groteske Züge an / Zahlreiche Vereine finden keinen Nachwuchs

Bei Holger Schmidt* geht die Torschlusspanik um. Nachdem sich sein alter Verein aufgelöst hat, steht der 18-jährige Schiedsrichter ohne Club da - und das kurz vor Saisonbeginn. ,,Ich habe gedacht, nicht mehr rechtzeitig einen Verein zu finden", sagt Schmidt. In seiner Verzweiflung habe er daher in einem Onlineforum gefragt, ob noch ein Verein Schiedsrichter suche. ,,Da haben sich bestimmt 20 Clubs aus der Region gemeldet und sich gegenseitig mit Geldbeträgen überboten, um mich zu werben." Bis zu 500 Euro pro Jahr seien ihm geboten worden.

Ein Einzelfall? Mitnichten. Das bestätigen unabhängig voneinander Schiedsrichter- und Vereinsvertreter der Fußballkreise Schleswig-Flensburg und Nordfriesland. ,,Mir ist sogar ein Fall aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde bekannt, bei dem einem Schiedsrichter 1000 Euro geboten wurde", sagt Christopher Polster, Vorsitzender des Kreisschiedsrichterausschusses Schleswig-Flensburg. Der Mangel an Fußball-Schiedsrichtern sei aber auch in seinem Kreis sehr groß. ,,Das wahnsinnige Rennen um Schiris hat sich zum Trend entwickelt", ergänzt sein Stellvertreter Marc Werner. ,,Die Situation ist katastrophal."

Der Grund: Die Vereine selbst haben auf einem Verbandstag entschieden, dass seit der Saison 2012/13 Clubs mit empfindlichen Geldstrafen und Punktabzügen für die höchstklassige Mannschaft im Erwachsenenbereich sanktioniert werden, wenn sie nicht genügend Schiedsrichter stellen können. Die Daumenregel hierfür ist simpel: Pro Mannschaft ein Schiedsrichter - außer in den meisten Jugendklassen (keinen) und in den höheren Spielklassen im Erwachsenenbereich (zwei). Die können aber zahlreiche Vereine in Nordfriesland und Schleswig-Flensburg nicht stellen und locken daher Unparteiische von anderen Vereinen. ,,Ob sie das Geld an die Schiedsrichter oder als Strafe an den Verband zahlen, ist für sie unerheblich, aber so lässt sich der Punktabzug vermeiden", erläutert Polster.

Um diese Entwicklung weiß auch der Schleswig-Holsteinische Fußballverband (SHFV), der von der gelebten Praxis wenig hält. Spielbetriebs-Abteilungsleiter Fabian Thiesen: ,,Grundsätzlich sollten die Vereine eher in die Gewinnung neuer und in die Betreuung eigener Schiedsrichter investieren." Das ist leichter gesagt als getan, findet John Witt, Vorsitzender des TSV Fahretoft-Waygaard (Kreis Nordfriesland). ,,Wir haben uns überall umgehört und nachgefragt, aber mehr als 20 Absagen bekommen." Daher schaltete der Verein kürzlich sogar zwei Inserate im Nordfriesland Tageblatt - ohne Erfolg. Ein Erfolgserlebnis wird aber dringend benötigt, andernfalls drohen dem kleinen Verein für die kommende Saison im vierten Jahr ohne Schiedsrichter ein Abzug von neun Punkten und eine 500-Euro-Geldstrafe.

Für die laufende Spielzeit beträgt das Strafmaß 375 Euro und sechs Punkte Abzug. Damit stellt Fahretoft-Waygaard keine Ausnahme dar: Angaben des DFB legen nahe, dass in fast jeder der unteren Spielklassen der Kreise Nordfriesland und Schleswig-Flensburg mindestens ein Verein aus demselben Grund mit Geld- und Punktstrafe belegt wurde. In Nordfriesland liegt die Zahl der Schiedsrichter zum Stichtag 1. Januar 2015 nach SHFV-Angaben bei 146 - das sind acht mehr als ein Jahr zuvor. In Schleswig-Flensburg hingegen sank sie im gleichen Zeitraum von 229 auf 196, was einem Minus von knapp 15 Prozent entspricht. ,,Wir haben vergangenes Jahr überprüft, wer tatsächlich noch regelmäßig pfeift und die ,Karteileichen' aussortiert", sagt dazu Bernd Bleitzhofer, Vorsitzender des Kreisfußballverbandes Schleswig-Flensburg.


Schiri-Suche per Zeitungsanzeige.sh:z

Schiedsrichter-Ausschussvorsitzender Polster sagt: "In 10 bis 15 Jahren ist es wahrscheinlich die Regel, dass die Partien in den unteren Klassen von Laien-Schiedsrichtern gepfiffen werden. Leider." Er betont aber auch: ,,Bislang werden fast alle Spiele von ausgebildeten Schiedsrichtern geleitet." Dies sei aber nur möglich, weil alle Unparteiischen an die Grenze ihrer Belastbarkeit gingen. ,,Jeder von uns kommt auf 80 bis 110 Partien pro Saison, in Spitzenzeiten sind es bis zu fünf Spiele pro Woche", sagt Polster. ,,Dann ist es kein Wunder, wenn die Konzentration auch mal nachlässt, wofür wiederum während der Partie kein Spieler und Trainer Verständnis hat."

Doch damit nicht genug: Gerade in der ländlichen Region kämen oft lange Anfahrtswege hinzu. ,,So ein Spiel wird schnell zur Ganztags-Beschäftigung." Dies sei auch einer der Gründe, wodurch der Nachwuchsmangel verursacht werde. Polster: ,,Meistens werden Jugendliche von den Vereinen zu den Ausbildungslehrgängen geschickt." Die Jüngeren seien aber durch die Schule ohnehin schon sehr beansprucht oder verließen nach dem Abitur die Region für das Studium. ,,Es gibt auch viele, die lieber selbst kicken oder ihre Freizeit anders gestalten wollen."

Das Ergebnis: Der Ausbildungslehrgang im Winter stand mangels Interessenten kurz vor der Absage, bis die Mindestteilnehmerzahl von 15 Personen nach einer Fristverlängerung noch erreicht wurde. ,,Von den 15 Jugendlichen haben neun die Prüfung erfolgreich absolviert und von diesen sind zwei schon gar nicht erst zu ihrer ersten Ansetzung angetreten", erzählt Polster.

Ältere Interessenten für das Schiedsrichter-Ehrenamt gebe es allerdings auch nur selten. ,,Sie werden vor allem von den Beleidigungen und Beschimpfungen auf den Fußballplätzen abgeschreckt, zudem verbringen sie lieber Zeit mit der Familie", sagt Polster. Das bestätigt Ole Jöns, Fußballobmann beim PSV Flensburg. ,,Die Kritik auf den Plätzen nimmt eher zu als ab." Auch der Verein habe große Probleme, neue Schiedsrichter zu gewinnen. In der laufenden Saison wurde die 1. Herrenmannschaft (Kreisliga 2) deshalb mit einer Punkt- und der Verein mit einer Geldstrafe belegt. ,,Wir haben im Vorfeld der Saison intensiv gesucht und in allen Teams herumgefragt." Zwar habe ein Vereinsmitglied die Ausbildung absolviert, jedoch sei er zu dem Zeitpunkt noch keine 16 Jahre alt gewesen und daher zu jung, um gemäß der SHFV-Statuten als so genannter ,,Zähl-Schiedsrichter" geführt zu werden. Nicht zuletzt deshalb rät der nordfriesische Schiedsrichter-Obmann Björn Hinrichs den Vereinen dazu, ältere und erfahrene Fußballer als Spielleiter zu rekrutieren, die am Ende ihrer aktiven Zeit als Hobbykicker stehen. ,,Sie sind in ihrem Wohnort verwurzelt und genießen oft den Respekt der anderen Fußballer."

Das bestätigt Bert Paulsen vom TSV Hattstedt. ,,Ich bin als Spieler bekannt und habe einen großen Erfahrungsschatz, worauf ich jetzt auch als Schiedsrichter zurückgreifen kann", sagt der 47-Jährige. Ähnlich ist es bei Arne Rahn vom FC Langenhorn. Der 43-Jährige pfeift seit sieben Jahren, nachdem er seine aktive Laufbahn beendet hat. ,,Wer selbst gespielt hat, kann Fouls und Zweikämpfe viel besser einordnen." Es sei wie bei einem Studenten und der Theorie. ,,Besser ist es, erst eine Lehre zu machen, denn mit der Mischung aus praktischem und theoretischem Wissen lassen sich Situationen besser beurteilen."

Das weiß offenbar auch sein Verein zu schätzen: ,,Die Ausrüstung mit Trikots, Stutzen und Hosen bekomme ich gestellt", sagt Rahn. Zudem fühle er sich beim FC Langenhorn gut aufgehoben und treffe die übrigen Schiedsrichter auch für Aktivitäten außerhalb des Vereins, etwa zum Bowlen. Richtig so, sagt Obmann Hinrichs. ,,Es gibt Vereine, in denen die Integration der Schiedsrichter optimal funktioniert. Bei anderen weiß ich es nicht genau." Um so wichtiger sei es, sie zu Feiern einzuladen. ,,Ich weiß von einigen Vereinen, dass sie ihren Schiedsrichtern einmal im Jahr ein Essen spendieren oder ihnen auf andere Weise Wertschätzung entgegen bringen."

Das ist auch dem beinahe vereinslos gewordenen Schiedsrichter Holger Schmidt wichtig. Der 18-Jährige hat sich nicht für den meistbietenden Verein entschieden, sondern sich einem Flensburger Club angeschlossen, bei dem er 200 Euro weniger jährlich erhält. ,,Aber da stimmt das Umfeld und ich bekomme zudem die Möglichkeit, noch selbst Fußball zu spielen."

*Name geändert

Aufrufe: 016.4.2015, 12:00 Uhr
SHZ / Christoph KäferAutor