2024-03-28T15:56:44.387Z

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Foto: privat
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Anpfiff in Tel Aviv

Drei Tage war Marija Kurtes in Israel. Sie sollte ihr erstes Länderspiel pfeifen +++ Nun ist sie zurück - und fragt sich, wohin die nächste Reise gehen könnte.

Marija Kurtes sitzt auf der Tribüne in der Leichtathletikhalle im Düsseldorfer Arena-Sportpark. Sie trägt
einen blauen Kapuzenpullover, ist frisch geduscht und hält ihr iPad in der Hand. In dieser Halle trainiert sie regelmäßig. Es gibt mehrere Laufstrecken und drei Krafträume. Vorher hat sie bei ihren Eltern vorbei geschaut, die in Düsseldorf leben.

Kurtes selbst wohnt seit dem Studium in Bonn. Sie pfeift aber immer noch für ihren Stammverein: die SG Benrath-Hassels. Kurtes ist im Moment vermutlich Deutschlands zweitbeste Schiedsrichterin im Männerfußball, nur Bibiana Steinhaus pfeift noch zwei Klassen höher. „Bibi hat zu mir gesagt: Es wird mal Zeit, dass eine andere nachkommt“, sagt Kurtes. Was sie nicht erwähnt, ist, dass sie dann diejenige sein könnte, die Steinhaus Gesellschaft leistet.

Das Understatement passt zur 27-Jährigen, sie hat es nicht nötig aufzutrumpfen. Marija Kurtes war gerade in Israel. Die FIFA hatte die Flugreise organisiert, der Weltfußballverband, der Schiedsrichter fortbildet, damit sie vor Millionenpublikum bestehen können. In diesem Fall sollte es nun tatsächlich so weit sein, dass Marija Kurtes ihr erstes Länderspiel pfeift. Die Einladung kam einigermaßen überraschend. Kurtes hatte kurz zuvor ein internationales Turnier abgesagt, weil es nicht in ihren privaten Zeitplan passte. Normalerweise kommt man dann auf eine Schwarze Liste und wird erst einmal nicht mehr eingeladen. Kurtes wurde aber sofort wieder nominiert und bekam das Spiel Israel gegen Serbien in Tel Aviv, Frauen-WM-Qualifikation.

Jedes Wochenende ist ein Miniabenteuer“

Sie nun in Israel, ausgerechnet. Mit 14 Jahren hatte die halbe Mädchen-Mannschaft des BV Hassels im Düsseldorfer Süden einen Schiedsrichter-Lehrgang mitgemacht. Das Motiv: Man war mit den Schwarzkitteln im Kreis Düsseldorf unzufrieden und wollte es besser machen. Die erste Partie von Marija
Kurtes hieß SFD 75 gegen Italia Hilden, ein CJugend-Spiel. Kurtes musste feststellen, dass sie noch zu sehr Spielerin war. Vor dem Spiel zog sie sich sogar Schienbeinschoner an. Heute pflegt sie den Dialog mit den Spielern, versucht, die die nächste Situation im voraus zu fühlen, und lenkt das Spiel meistens, ohne im Mittelpunkt zu stehen. Weil es ihr Spaß macht. Sie sagt: „Jedes Wochenende ist ein Miniabenteuer.“

Kurtes und die anderen erreichen Tel Aviv, im Hotel bezieht sie ein Zimmer im
22. Stock, die anderen Mitglieder ihres Gespanns wohnen auf demselben Stockwerk. Inka Müller und Christina Jaworek, ihre Frauen an der Linie, haben die modernen „Piepfahnen“ im Handgepäck transportiert. Die Zöllner kennen das schon, wenn die Frauen anrücken. Kurtes war 2013 bei Turnieren in Litauen, Russland und Nordirland im Einsatz. In Tel Aviv kutschiert sie der ranghöchste israelische FIFA-Schiedsrichter durch die Stadt. Sie schauen sich das Stadion an und schlendern über den Markt Die Fotos zeigt sie jetzt auf ihrem iPad. Kurtes hat sich nicht nur konzentriert auf das Spiel vorbereitet, sie
ist auch mindestens genauso interessiert in das Stadtleben eingetaucht. Wäre sie keine Schiedsrichterin, sie hätte das Zeug zur Travel- und Food-Bloggerin.

In Wirklichkeit hat sie Sportmanagement und Psychologie studiert. Sie arbeitet auf dem Campus der Hochschule Koblenz. Kurtes kann Menschen sehr gut einschätzen, ist ein kommunikativer Typ und hat einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Gleichzeitig bewegt sie sich in einem Kosmos, in dem mit dem Slogan geworben wird: „Sei fair zum 23. Mann.“ Die Zuschauer singen auch schon mal: „Du hast die Haare schön.“ Wie tough muss man sein, um Spielern wie Olivier Caillas die Stirn zu bieten? Caillas, früher bei Greuther Fürth und Fortuna 95, spielt inzwischen für die 2. Mannschaft des FC Schalke 04. Er galt schon zu Bundesliga-Zeiten als Troublemaker. „Meinungsführer“, sagt Kurtes etwas verharmlosend. Aber wenn Kurtes kommt, spult Caillas inzwischen nur noch sein halbes Programm ab, versichern die Schiri-Betreuer auf Schalke.

Elfmeter in der dritten Spielminute

Sie leitet das Spiel dann im Stadion Ha Moshava. Und es läuft ausnahmslos gut für sie. Sie meistert auch das Unvorhersehbare. Bereits in der dritten Spielminute muss sie auf Elfmeter für die Gäste entscheiden. Es ist ihr erster Pfiff. Wenn es irgendwie möglich ist, informiert sie sich vorher über die Spielweise der beiden Mannschaften. Wenn es keine YouTube-Videos gibt, orientiert sie sich an
der Körpersprache in der Kabine.

Serbien geht früh mit 1:0 in Führung. Doch Fridman, Falkon und Sofer drehen die Partie. Auf der Tribüne in dem 12.000-Zuschauer-Stadion sitzen nur wenige Fans. Frauenfußball ist nicht so populär in Israel. „Ich habe zum ersten Mal keine Gänsehaut gehabt bei den Hymnen“, stellt die Frau in Schwarz hinterher fest. Kurtes zeigt jetzt ihre Souvenirs aus Israel: das Ticket zur Einreise in hebräischer Schrift, den Pokal vom israelischen Verband und die silberne Plakette vom DFB. Seit sie im Januar 2013 in Italien war, weiß sie endgültig, dass sie auf dem richtigen Weg ist. Pierluigi Collina, der legendäre Schiri mit der Glatze und dem stechenden Blick, hatte die 60 besten Schiedsrichter Europas eingeladen, darunter die besten Neulinge. Die Novizin war bei dem Lehrgang plötzlich mittendrin. Kollegen wie Wolfgang Stark, Felix Brych oder Howard Webb aus England lassen sonst die besten Mannschaften der Welt nach ihrer Pfeife tanzen. Jetzt übten sie gemeinsam mit der U19-Nationamannschaft Italiens. Collina, der alte Fuchs, unterrichtete sie in Taktik.

Wie es jetzt weitergeht? Das ist nicht zuletzt von den Männerbünden im DFB abhängig. Trauen sie es einer Frau zu, dem Druck stand zu halten? Kurtes schaut zur Laufstrecke hinüber. Dort, wo sie sich regelmäßig ihre Kondition holt, zieht sich gerade eine Schulklasse um. Sie denkt noch einmal an das köstliche israelische Essen und sagt, dass sie beim nächsten Mal unbedingt nach Jerusalem möchte. Und so endet diese Geschichte über das erste Länderspiel der Marija Kurtes, von der man noch sehr viel hören wird – soviel ist zumindest sicher.

Text: Thorsten Schaar
Fotos : Christof Wolff

Aufrufe: 023.4.2014, 11:01 Uhr
Thorsten SchaarAutor