2024-04-16T09:15:35.043Z

Team Rückblick
Spektakulär gelungener Klassensprung, symbolisch vorgeführt von Denis Weinecker. Beobachtet von den Routiniers Gino Parson (rechts) und Rafael Szymanski. 	Foto: Schepp
Spektakulär gelungener Klassensprung, symbolisch vorgeführt von Denis Weinecker. Beobachtet von den Routiniers Gino Parson (rechts) und Rafael Szymanski. Foto: Schepp

Ambitionen eindrucksvoll bestätigt

HESSENLIGA: +++ Gelingt Teutonia der Durchmarsch in die Regionalliga? +++SC auf Kurs des VfB 1900 und Waldgirmes +++

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Watzenborn-Steinberg. ,,Wenn man zur Winterpause auf Platz eins steht, ist es natürlich das Ziel, dort zu bleiben. Geschäftsführer Jörg Fischer müsste mich entlassen, wenn ich sagen würde, dass wir nun beispielsweise Vierter werden wollen." Daniel Steuernagel, Trainer des SC Teutonia Watzenborn-Steinberg ist kein Freund der Tiefstapelei, sondern formuliert die Ambitionen des Hessenliga-Aufsteigers deutlich.

In diesem Fall lohnt sich der Blick in die Historie, denn bislang gelang nur zwei heimischen Vertretern die Meisterschaft in Hessens höchster Spielklasse: 1963 triumphierte in grauer Vorzeit der VfB 1900 Gießen. Und 2009 mit Trainer Thorsten Krick der SC Waldgirmes , der aber freiwillig auf den Sprung in die Regionalliga verzichtete, da er sich nicht in der Lage sah, die strukturellen Bedingungen des DFB zu erfüllen.

Dass die Verantwortlichen bei der Teutonia ganz offensichtlich bereit sind, diese Anforderungen in Angriff zu nehmen, macht ,,das Projekt", wie es Coach Steuernagel nennt, besonders spannend und attraktiv. ,,Wir als Verein wollen aufsteigen", lässt der 36-Jährige keinen Zweifel daran, dass die Vokabel Profifußball an der Neumühle nicht gemieden wird. Gestützt werden die Ansprüche der Pohlheimer durch ein phänomenales Halbjahr, das sie dank des 1:0 über Flieden am vergangenen Samstag mit 41 Punkten als Tabellenführer beendeten. ,,Wir haben uns schon ausgerechnet, unter den ersten Sechs einzulaufen", räumt Steuernagel zwar ein, mit einem qualitativ wie quantitativ klasse besetzten Kader im Vorfeld der Runde das vordere Drittel des Klassements angestrebt zu haben. Mit einem derartigen Durchmarsch - der SC musste lediglich zwei Niederlagen hinnehmen - hatte aber auch er nicht gerechnet: ,,Es ist super ideal gelaufen. Wer jetzt noch meckert, dem ist nicht zu helfen."

In Erinnerung geblieben ist dem Grundschullehrer ausgerechnet eine Partie, die seine Mannen nicht gewannen, die allerdings wichtige Erkenntnisse lieferte, was möglich sein könnte. Das 2:2 gegen den Vorjahreszweiten Lehnerz im August war nicht nur Werbung für hochklassigen Amateurfußball: ,,Spätestens da war klar, dass sich der starke Eindruck aus der Vorbereitung bestätigt und es eine gute Hinrunde werden wird." Bedeutsam war auch das 2:0 über den hoch gehandelten SV Wiesbaden einen Monat darauf. Nicht, weil die Grün-Weißen ein Feuerwerk abbrannten. Nein, sie zeigten ihre Variabilität in puncto Ausrichtung. Das frühe, aggressive und äußerst laufintensive Pressing, das den Neuling in der Verbandsliga ausgezeichnet hatte, wich der Strategie, den Gegner einen Tick später zu erwarten. ,,Die Art und Weise unserer Spielweise ist gleich geblieben, die Höhe allerdings verändert sich. Wir haben gezeigt, dass wir taktisch sehr flexibel sind. Es darf kein Schema F geben", erklärt Steuernagel, der über viele personelle Optionen verfügt.

Wer sich in der Nachschau die Startformationen anschaut, erkennt gleichwohl eine gewisse Kontinuität. Yannik Dauth im Tor, Vaclav Koutny, Michael Bodnar (,,Er spielt immer seinen Part und weiß, was zu machen ist"), Viktor Talevski und Julian Simon in der Viererkette, Barbaros Koyuncu (,,Ich wusste, was er leisten kann. Vor allem die ersten Spiele waren überragend") und Denis Weinecker auf den Flügeln im Mittelfeld, Kian Golafra und Louis Goncalves oder Ilias Azaouaghi im Zentrum sowie Gino Parson und Top-Torjäger Rafael Szymanski (,,Exzellent mit 17 Treffern und neun Vorlagen") bildeten oft die Anfangself. Einen Bruch dahinter erkennt Steuernagel nicht. Im Gegenteil: ,,Von den reinen Einsatzminuten sieht das vielleicht so aus. Der Unterschied ist aber sehr gering, und dass die ersten 12, 13 so gut spielen, ist nicht zuletzt ein Verdienst der anderen." Bitter für Talente wie Marius Jörg, Mirco Freese, Marvin Helm, Julian Scheffler, Marvin Helm oder den inzwischen zu Eintracht Stadtallendorf transferierten Erdinc Solak, dennoch spricht die Punkteausbeute für die Vorgehensweise des Trainers, mit Bedacht zu rotieren, zumal der berechtigterweise ,,im Sinne des Erfolgs" denkt: ,,Man darf nicht zu oft wechseln. Und recht machen kann man es auch nicht jedem." Sorgen bereiten dem 36-Jährigen etwaige Ausfälle nicht (,,Dafür sind wir zu gut und zu breit aufgestellt"). Zudem sind die Teutonen mittlerweile bereits wieder auf dem Transfermarkt aktiv geworden: Niclas Mohr, U17-Nationalspieler der Frankfurter Eintracht und Bruder des in Wieseck spielenden Yannik Mohr, wird die Teutonen perspektivisch verstärken (wir berichten).

Zum Höhepunkt der bisherigen Hessenliga-Saison avancierte Ende Oktober das Gipfeltreffen mit dem damaligen Primus Rot-Weiss Frankfurt, das die Neugier auf die Watzenborner eindrucksvoll unterstrich. 1200 Zuschauer sind auf den hiesigen Sportplätzen ein selten erreichter Wert im neuen Jahrtausend. Eindrucksvoll dabei, wie unbeeindruckt die Teutonen nach dem 1:4 gegen die Frankfurter (,,Die hatten einen sehr guten Tag, wir lediglich einen guten. Das muss man dann auch mal akzeptieren") mit dem 5:0 im nächsten Spitzenspiel in Stadtallendorf zurückschlugen und die Rot-Weißen vor der Pause vom Platz an der Sonne verdrängten.

Die Perspektive für 2016 ist glänzend, wenngleich das Fell des Bären bei Weitem nicht verteilt ist. Ein Quintett mit Rot-Weiss Frankfurt (ein Zähler Rückstand), dem SV Wiesbaden (vier), Stadtallendorf (fünf), dem FSC Lohfelden (acht mit einem Spiel weniger) und Lehnerz (neun oder sechs, je nach ausstehender Gerichtsentscheidung, mit einem Spiel weniger) verfolgt den SC, bei dem sich die Verantwortlichen bewusst sind, dass die Gelegenheit günstig ist, es in den bezahlten Fußball zu schaffen.

Womöglich sogar mittelfristig einmalig, da Vereine wie Hessen Dreieich ihre Investitionen erneut drastisch angehoben haben und ein potenzieller Absteiger TSV Steinbach sicherlich mit Macht den Wiederaufstieg anstreben würde. Die Entwicklung bei den Steinbachern, die unter Neu-Trainer Thomas Brdaric auf ein Voll-Profitum zusteuern und bei denen inzwischen bis auf Hüsni Tahiri und mit Abstrichen Daniel Waldrich keiner der Aufstiegshelden mehr eine Rolle spielt, wird nicht nur bei den Teutonen interessiert beobachtet.

Die Frage ist, welche Route die Pohlheimer einzuschlagen gedenken, um den Sprung auf das Niveau der vierten Liga zu bewerkstelligen. Antworten wird man den aktuell unter Vertrag stehenden Akteuren bereits bei den im Winter stattfindenden Gesprächen für die Planung der kommenden Spielzeit liefern müssen. ,,Es muss hier niemand Angst haben, ausgetauscht zu werden. Das ist nicht die Intention der Menschen, die sich wie Geschäftsführer Jörg Fischer mit diesem Projekt identifizieren. Wir wollen es mit Leuten hier aus der Region probieren. Ich kann auch nicht verstehen, wenn gesagt wird, der oder der kann nicht Regionalliga spielen. Den Darmstädtern ist die Drittligatauglichkeit abgesprochen worden, jetzt sind sie in der Bundesliga. Unser Ansatz ist: Wer den Weg gehen will, erhält Unterstützung", erklärt Trainer Steuernagel, der beispielsweise Kompromisse in Sachen Trainingsaufwand vorschlägt, damit berufstätigen Spielern wie dem 29-jährigen Rafael Szymanski Perspektiven eröffnet werden. ,,Wir würden ein Gerippe mitnehmen wollen, ohne naiv zu sein. Überspitzt formuliert: Wenn wir mit 14 Spielern verlängern wollten, und alle 14 könnten aus beruflichen Gründen den Mehraufwand nicht stemmen, würde man sich in beiderseitigem Einvernehmen trennen müssen. Dann wären wir gezwungen, uns neu aufzustellen", ist sich Steuernagel des Drahtseilakts bewusst, der aber noch nicht das erste Thema ist. Näher liegt die Verpflichtung eines Ersatzes für den abgewanderten Erdinc Solak. Als Gegenstück zu den kombinations- und ballsicheren Parson und Szymanski wird ein Angreifer mit Geschwindigkeit für schnelle Tempogegenstöße gesucht. Der Trainingsstart erfolgt am 11. Januar. In acht Testspielen wird Daniel Steuernagel seinem kompletten Kader die Chance bieten, auf sich aufmerksam zu machen, darunter sind mit Raul Guzu und Patrick Neubert zwei Rekonvaleszenten als ,,interne Neuzugänge". Der Start in die Restrunde erfolgt am 27. Februar mit der Auswärtspartie beim Tabellen-14. Viktoria Griesheim, die im Hinspiel mit 6:1 demontiert wurde. Eine lösbare Aufgabe, um dem Traum vom Aufstieg in die Regionalliga Südwest weitere Konturen zu verleihen.



Aufrufe: 019.12.2015, 08:20 Uhr
Thomas Suer (Gießener Anzeiger)Autor