2024-04-25T14:35:39.956Z

Allgemeines
Launiger Redner: Ex-Schiedsrichter Lutz Wagner lässt an seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz teilhaben.	Foto: hbz/Jörg Henkel
Launiger Redner: Ex-Schiedsrichter Lutz Wagner lässt an seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz teilhaben. Foto: hbz/Jörg Henkel

Ailton auf Hessisch in die Schranken gewiesen

DFB-Lehrwart Lutz Wagner unterhält die Referees aus dem Kreis Mainz-Bingen mit einem kurzweiligen Vortrag

Mainz. Lutz Wagner kam direkt aus Litauen. Vormittags noch auf einem Uefa-Referee-Congress im Norden Europas, stand er abends schon wieder im VIP-Presseraum der 05er in der Opel Arena. Kreisschiedsrichterobmann Gerhard Ott hatte als Gastredner der monatlichen Sitzung den ehemaligen Bundesliga-Schiedsrichter eingeladen.

Der Krifteler ist mittlerweile DFB-Lehrwart und kümmert sich als Koordinator um Ausbildung und Talentförderung in Deutschland. Die Bundesliga begleitet er als Beobachter und Individualcoach einiger Schiedsrichter-Kollegen. Seit vielen Jahren tritt Wagner auch als Dozent bei Verbänden, Sportvereinen und Firmen auf und referiert über seine Erfahrungen aus dem Profifußballs und der Schiedsrichtertätigkeit.

Diese Fachkompetenz und die aktuellen Regeln und Anweisungen des DFB hat er in der Opel Arena den Kreisschiedsrichtern vermittelt. Viele waren der Einladung gefolgt. Die Zuhörer waren direkt ganz Ohr, als Wagner berichtete, wie in Litauen über die Reihenfolge des Elfmeterschießens debattiert wurde. Da Statistiken belegen, dass die beginnende Mannschaft meistens verliere, wurde über eine an das Tie-Break im Tennis angelehnte Reihenfolge der Schützen diskutiert. Team A beginnt, dann schießt Team B zweimal, dann wieder A zweimal und so weiter und so fort.

Verschiedene Szenen analysiert

Solch revolutionäre Gedanken spielten in Mainz jedoch keine Rolle. Vielmehr zeigte und analysierte Wagner Spielszenen aus unterschiedlichen Wettbewerben, wie beispielsweise das Stindl-(Hand-)Tor in Ingolstadt oder die Schwalbe von Leipzigs Timo Werner gegen Schalke. Dabei spielte nicht immer die getroffene Entscheidung eine Rolle, sondern ebenso das vorausgegangene Stellungsspiel oder die Körpersprache, wodurch sich die Unparteiischen seiner Meinung nach das Leben oft selbst schwer machten. Anstatt Werner zu fragen, ob es ein Foul gegeben hatte, wäre in besagter Szene die Frage passender gewesen, ob Schalkes Torhüter ihn berührt hatte. Denn ein Foul lag unstrittig vor, jedoch bereits schon vor der Elfmeterszene die anschließend folgte. Eine klare Entscheidungsfrage hätte eine differenzierte Antwort zur Folge gehabt – und sowohl Werner als auch dem Schiedsrichter den späteren Trubel erspart.

Neben den Kenntnissen der Regeln hob Wagner immer wieder die menschliche Komponente hervor. Ein Schiedsrichter dürfe nicht nur die Regeln kennen, sondern solle auch einen offenen Dialog mit gefrusteten Spielen ertragen können, müsse vorausschauend denken und eine kritische Selbsteinschäzung besitzen. Seine Erfahrung aus 450 geleiteten Profispielen spiegelte sich in seinem Vokabular wider. Ein Laie lief Gefahr, bei Begriffen wie Autorität, Aktionsrichtung, Souveranität, Konzession, Antizipation oder Analysefähigkeit den Überblick zu verlieren. Nicht jedoch die Schiedsrichterkollegen. Lutz Wagner nahm die Zuhörer mit, die Interaktionen belebten den Vortrag und machten die 90 Minuten zur kurzweiligen Angelegenheit. Humorvoll erzählte Wagner Anekdoten aus seinem unendlichen Erfahrungsschatz. So wies er einst Ailton auf Hessisch in die Schranken, um sein „Geplapper“ auf dem Platz nicht mehr ertragen zu müssen. Oder er unterstellte Abwehrspielern mit bunten Schuhen Dummheit: „Da sieht der Schiedsrichter doch jeden kleinen Tritt – bei so auffälligen Schuhen.“

Selbstvertrauen und ein Schuss Egoismus

Natürlich kamen auch die neuen Regeln nicht zu kurz. Hätten Sie gewusst, dass bei einer ballorientierten Notbremse im Strafraum nur die Gelbe Karte gezückt werden darf? An Erfahrung und Fachkompetenz mangelt es Wagner nicht, das hat er eindrucksvoll bewiesen. An Realitätssinn auch nicht. „Schiedsrichter werden an Fehlern gemessen. Wirklich nur an Fehlern. Wenn nach dem Spiel niemand etwas sagt, ist das das größte Lob, das Schiedsrichter bekommen können.“ Was er seinen Zuhörern noch ans Herz legte, war Selbstvertrauen und ein Schuss gesunder Egoismus: „Mutter Theresa wäre keine gute Schiedsrichterin gewesen, denn sie hätte nur an die anderen gedacht.“



Aufrufe: 016.3.2017, 10:00 Uhr
Stefan MannshausenAutor